4.
Als nun die Märtyrer in der Mitte standen, sagte Polemon: Es wäre gut, Pionius, wenn du und die andern gehorchtet, die Befehle erfülltet und so den Strafen entginget. 2 Jedoch der selige Märtyrer Pionius antwortete auf diese Worte mit erhobener Hand und mit fröhlichem, heiterem Angesicht in folgender Rede:
„Ihr Männer, die ihr frohlocket über die Schönheit eurer Mauern, die ihr euch freuet der Zierde eurer Stadt Smyrna und euch rühmt des Dichters Homer, und wenn etwa unter euch auch Juden sind, höret auf die wenigen Worte, die ich zu euch rede. 3 Ich höre nämlich, daß ihr über die spottet, die entweder freiwillig sich zum Opfern melden oder bei Anwendung von Zwang sich zu opfern nicht weigern, daß ihr in diesen die Seelenschwäche, in jenen die freiwillige Irrung verurteilt; 4 ihr müßtet vielmehr eurem Lehrer und Meister Homer folgen, der es für unrecht erklärt, sich über die Toten zu freuen, da mit den des Lichtes Beraubten kein Streit, mit den Toten kein Kampf mehr sein soll. 5 Ihr Juden aber solltet den Gesetzen des Moses folgen, der sagt : Wenn deines Feindes Tier fällt, so sollst du nicht vorbeigehen, ohne ihm aufzuhelfen. 6 Im gleichen Sinne und in ähnlicher Rede hat Salomon gesagt: Über einen gefallenen Feind frohlocke nicht und erfreue dich nicht an fremdem Unglücke. 7 Darum will ich lieber sterben und alle Strafen erdulden und, in die größten Drangsale gebracht, unermeßliche Qualen empfinden wenn ich nur nicht das, was ich gelernt oder S. 348 was ich gelehrt habe, verkehre. 8 Wie aber können Juden in ein schallendes Gelächter ausbrechen, um die zu verspotten, die gezwungen oder freiwillig opfern? Auch uns verschonen sie nicht mit ihrem Hohngelächter und rufen es mit schmähsüchtigen Worten uns nach, daß wir Zeit genug zur Freiheit gehabt haben. Sind wir auch ihre Feinde, so sind wir doch auch Menschen. 9 Was für Verluste haben sie denn durch uns erlitten? Welche Strafen haben sie durch uns zu fühlen bekommen? Wen haben wir mit Worten verletzt? Wen haben wir mit ungerechtem Hasse verfolgt? Wen haben wir, mit viehischer Grausamkeit einschreitend, zum Opfern getrieben? 10 Haben sie nicht die nämlichen Sünden auf sich, die jetzt aus Menschenfurcht begangen werden? Es ist ein großer Unterschied, ob man wider Willen oder mit Willen sündigt; und zwar ist zwischen dem, der gezwungen wird, und dem, welchen niemand zwingt, der Unterschied, daß bei diesem die Seele, bei jenem die Umstände die Schuld tragen. 11 Wer hat die Juden gezwungen, den Götzendienst des Beelphegor mitzumachen oder den Totenfeiern beizuwohnen oder von den Opfern der Toten zu essen oder mit den Töchtern der Madianiter schändliche Unzucht und hurerische Wollust zu treiben? Oder ihre Kinder zu verbrennen, gegen Gott Murren zu erregen oder von Moses heimlich Böses zu reden? Wer hat so viele Wohltaten vergessen, wer hat solche Undankbarkeit bewirkt? Wer hat sie gezwungen, daß sie wieder nach Ägypten zurückkehren wollten? Oder wer hat, als Moses zum Empfang des Gesetzes auf den Berg gestiegen war, den Aaron dazu gebracht, zu sprechen: Mach uns Götter, mach uns ein Kalb, und das andere, was sie getan haben? 12 Allerdings euch, Heiden, könnten sie vielleicht betrügen, durch irgendeine List eure Ohren täuschen; bei uns aber S. 349 wird keiner von ihnen eine Lüge anbringen können. Sie mögen euch die Bücher der Richter, der Könige und den Exodus hersagen und das übrige zeigen, wodurch sie überführt werden. 13 Allein ihr fragt, warum so viele freiwillig zum Opfern hingehen, und wegen dieser wenigen verspottet ihr die übrigen. 14 Stellt euch eine Tenne vor, die mit Weizen angefüllt ist. Ist der Haufen der Spreu größer oder der des Weizens? Wenn nämlich der Bauer mit der zweispitzigen Gabel oder mit der Hand den Weizen umwendet, so wird die leichte Spreu vom Winde weggeweht, das schwere und feste Korn aber bleibt an seinem Orte liegen. 15 Wenn man im Meere die Netze auswirft, kann dann alles, was man herauszieht, vortrefflich sein? Wisset also, daß die, welche ihr sehet, solche sind und daß das der Grund dafür ist, daß Böses mit Gutem und Gutes mit Bösem vermischt ist; wenn du die Wage nehmen willst, zeigt sich der Unterschied, und was das Bessere ist, wird beim Vergleich offenkundig. 16 Auf welche Weise also wollt ihr, daß wir die Strafen, die ihr uns antut, ertragen? Als Gerechte oder als Ungerechte? Wenn als Ungerechte, so beweiset ihr euch auf diese Weise als noch ungerechter, da gar kein Grund da ist, uns zu verfolgen. Wenn aber als Gerechte, so bleibt euch keine Hoffnung, da schon Gerechte so viel leiden müssen. Denn wenn der Gerechte kaum selig wird, wie wird es dem Sünder und Gottlosen ergehen? 17 Denn ein Gericht steht der Welt bevor, über dessen Nähe wir aus vielen Anzeichen gewiß sind. 18 Denn ich habe das ganze Land der Juden durchwandert und habe alles gesehen; ich bin über den Jordan gegangen und habe das Land gesehen, das in seiner Verwüstung ein Zeuge war für den Zorn Gottes, weil seine Einwohner entweder Fremde ohne alle Menschlichkeit töteten oder mit Verletzung des Gastrechtes Männer in unnatürlicher Unzucht wie Weiber vergewaltigten. 19 Ich habe den Boden gesehen, der, durch die Gewalt himmlischen Feuers ausgebrannt, in Staub und Asche verwandelt ist, trocken und unfruchtbar da liegt. 20 Ich habe das Tote S. 350 Meer gesehen, in welchem das flüssige Element aus Furcht vor Gott seine Natur geändert hat; ich sah das Wasser, das kein Lebewesen ernährt und aufnimmt, sogar den Menschen, wenn es ihn aufnimmt, sofort wieder auswirft, damit es nicht wieder wegen des Menschen in Schuld und Strafe falle. 21 Doch was rede ich zu euch von so weit entlegenen Dingen? Ihr Heiden seht und erzählet von dem Brande, von dem an Felsen glühenden Feuer, berichtet auch von dem in Lykien und auf verschiedenen Inseln aus dem Innersten der Erde hervorbrechenden Feuer. 22 Oder wenn ihr das nicht sehen konntet, so betrachtet die heißen Wasser, ich meine nicht jene, die man warm macht, sondern die es von Natur sind; blicket auf die lauen und dort kochenden Quellen, wo sonst das Feuer zu erlöschen pflegt; woher soll dies Feuer sein, wenn es nicht mit dem Höllenfeuer in Verbindung steht? 23 Ihr sagt ja, daß die Welt teils durch Feuer, teils durch Überschwemmungen gelitten habe, nach eurer Auffassung unter Deukalion, nach der unsrigen unter Noe. So kommt es, daß aus den verschiedenen Tatsachen die allgemeinen Wahrheiten erkannt werden. 24 Darum predigen wir euch von dem Gerichte durch den Logos Gottes, Jesus Christus, der im Feuer kommen wird. Darum beten wir eure Götter nicht an und verehren auch eure goldenen Statuen nicht, weil in ihnen nicht die Religion geübt, sondern die Menge geschätzt wird.“
