3. Hymnus über die Fußwaschung.
Text: Cod.add. Mus. Br. 14 591. S. 59-61; Bickell. ZDMG. 27 [1873] S. 566ff. - Dieses Gedicht steht zwar in der Handschrift nach dem folgenden; da aber S. 26in demselben die Fußwaschung bereits als geschehen erwähnt wird, empfiehlt sich die umgekehrte Reihenfolge. Die Überschrift lautet wie beim vorigen: "Sugitha zu dem Mimra"; für die Erklärung derselben verweisen wir daher auf das bereits Bemerkte. Das Gedicht besteht aus Strophen zu je vier siebensilbigen Versen. Die alphabetische Gliederung der Strophen ist hier außer acht gelassen1 . Dass der Dichter sich selbst als Augenzeugen im Cönakulum gegenwärtig schildert und die Propheten des Alten Bundes um Aufschluss über die Herablassung des Sohnes Gottes bittet, ist für den eigentümlichen Charakter der Sugitha recht bezeichnend.
Unser Herr führte die Zwölfe und brachte sie in das Haus, um ihnen die Füße zu waschen2 . Er wies ihnen ihre Plätze an als der Erbe und erhob sich dann, um ihnen als Freund zu dienen. Er goss das wohltuende Wasser ein und trug das Waschbecken, nahm das Tuch und gürtete es um seine Lenden. Da vergoss ich heiße Tränen und mein Geist ward verwirrt. Mein Angesicht verhüllte ich vor Furcht [10] und wandte meinen Blick vor Bestürzung ab. Ich eilte hinaus, denn ich konnte es nicht ansehen, wie er sich niederbeugte und jene abwusch. Deshalb verließ ich das Haus und rief laut: „Weshalb geschieht dies, dass der Staub vor seinem Schöpfer sitzt, während sein Herr dasteht und ihm die Füße wäscht?"
Ich befragte die Propheten, konnte aber nicht von ihnen erfahren, ob sie dies geschrieben hätten. Da ergriff mich der Geist wie einst den Ezechiel3 [20] und versetzte mich in einem Augenblick zu den Vorherverkündigern. Ich sah sie niedergestreckt im Hades4 liegen, und dies schmerzte mich noch mehr als jenes erste Ereignis. Meine Tränen flossen wieder reichlich und mit viel Seufzen und Wehklagen fragte ich sie: "O ihr Propheten meines Herrn, ich bitte euch, mich auf kurze Zeit ruhig anzuhören!"
S. 27"Meine Augen haben einen Staunen erregenden Anblick gehabt, den ich vor euch allen darstellen will. Mein Sinn ist verwirrt vor Furcht [30] und mein Geist gequält von Bestürzung. Ich bitte euch also, ihr Propheten meines Herrn, hört mich auf kurze Zeit geduldig an! Der, welchen ihr verkündigt habt als Feuer und Geist, als allmächtige Flamme5 , als Unsichtbaren gleich dem schwerzuschauenden "Seienden"6 , von welchem ihr verkündigt habt, dass kein Mensch in der Welt ihn erblicken und am Leben bleiben könne7 , der, von dem ihr gesagt habt, dass aus Furcht vor ihm [40] die Engel sich das Angesicht mit ihren Flügeln verhüllen8 , der, von dem ihr erzählt habt, dass ihn Daniel9 als den Alten der Tage auf dem Throne sah, der, von dem ihr gelehrt habt, dass sein Blick die Welt erschreckt und die Schöpfung erbeben macht10 ; eben derselbe ist zum Knechte geworden, trägt das Waschbecken, wäscht Fischern die Füße und trocknet sie mit dem Tuch ab, ja er tut das gleiche sogar an seinem Verräter!"
"Schweige, o Mann, belästige uns nicht weiter! [50] Eine frohe Botschaft hast du uns verkündigt. Wenn dies wirklich also geschehen ist, so wird der ganzen Welt Hoffnung und Heil zu teil. Schon seit langer Zeit weilen wir hier und harren darauf, dass wir dies hören möchten. Nun sind wir alle froh, denn siehe, die Worte unserer Bücher haben sich als wahr erwiesen. Gehe nun, sei unbesorgt; danke und preise Gott, trauere nicht!"
Darauf kehrte ich voll Beängstigung zurück [60] und in einem Augenblick kam ich wieder in das Haus. Ich sah, wie er freudig jene abwusch und mit heiterem Gesicht ihnen diente. Er erfasste ihre Füße, ohne dass sie verbrannt wurden, und goss Wasser über sie, ohne dass sie in Flammen aufgingen. Er reinigte sie von den S. 28Spuren der Anstrengung und Ermüdung und kräftigte sie zum Wandern auf dem Wege. An allen ging er so liebevoll vorüber, in gleicher Weise, ohne einen Unterschied zu machen. So kam er auch zu Judas und ergriff dessen Füße. [70] Da wehklagte ohne Mund die Erde; die Steine in den Mauern erhoben ihre Stimme, als sie sahen, wie das Feuer ihn verschonte. Ich neigte mein Haupt zur Erde und meine Ohren hörten Stimmen des Weinens, welche es verkündigten. Und so wurde wohl auch diese bestürzte Rede aus dem Munde ihrer Lämmer ausgestoßen: "Worüber sollen wir staunen und auf wen blicken? Denn nach zwei Seiten hin richtet sich unser Staunen. Sollen wir den betrachten, der da sitzt, das Herz voll [80] Mord und Trug, ohne sich rühren zu lassen, oder auf den andern, der voll Barmherzigkeit seinem Mörder die Füße wäscht?" Mächtiges Erstaunen erregte es, als die Hand unseres Herrn seinen Mörder berührte. Er offenbarte nicht dessen Bosheit, sondern bedeckte seinen Frevel und behandelte ihn ganz wie die übrigen.
Nun kam er zu Simon; aber dessen Herz geriet in Unruhe, er erhob sich vor ihm und flehte ihn an: "Die Engel im Himmel verhüllen ihre Füße aus Furcht, [90] sie möchten verbrennen11 , und Du, o mein Herr, bist gekommen, um die Füße Simons mit Deiner Hand zu erfassen und mir zu dienen! Dies alles, Deine Demut und Deine Liebe, hast Du uns ja schon längst bewiesen, durch alles das hast Du uns ja schon geehrt; so bringe uns doch jetzt nicht wieder in Verlegenheit! Die Seraphim wagen nie, Deinen Saum zu berühren, und siehe, Du wäschst die Füße elender Menschen! Du, o Herr, willst meine Füße waschen! [100] Wer könnte dies hören, ohne bestürzt zu werden? Du, o Herr, willst meine Füße waschen! Wie könnte dies die Erde ertragen? Die Kunde von dieser Deiner Tat würde die ganze Schöpfung in Staunen versetzen; diese Nachricht, dass solches auf Erden vorgehe, würde die Scharen der himmlischen Geister in Verwirrung bringen. Halte ein, o Herr, damit mir dies erspart bleibe; darum flehe ich S. 29Dich an, denn ich bin ein sündiger Mensch! Nach Deinem Befehl bin ich auf dem Meere gewandelt [110] und nach Deinem Geheiß habe ich die Wogen beschritten12 . Und nun soll dies erste noch nicht genug sein für mich, sondern ein anderes noch größeres willst Du mir auferlegen! O Herr, dies kann nicht geschehen, denn schon die bloße Kunde davon erschüttert die Schöpfung! O Herr, dies kann nicht geschehen, denn diese Last wäre schwerer, als dass sie gewogen werden könnte!"
"Wenn dies nicht geschehen kann, so hast du keinen Anteil am Throne mit mir. Wenn dies nicht geschehen kann, [120] so gib mir die Schlüssel zurück, die ich dir anvertraut habe. Wenn dies nicht geschehen kann, so wird auch deine Herrschaft von dir genommen werden13 . Wenn es, wie du sagst, nicht geschehen kann, so kannst du auch mein Jünger nicht sein. Wenn es, wie du sagst, nicht geschehen kann, so kannst du auch keinen Anteil an meinem Leibe kosten."
Da begann Simon den Gnädigen anzuflehen und zu sagen: "O Herr, nicht nur meine Füße sollst Du waschen, [130] sondern auch meine Hände und mein Haupt!" "Simon, Simon, es gibt nur eine einmalige Waschung für den ganzen Leib im heiligen Wasser!"14 Er vollendete die Handlung der Abwaschung und gebot ihnen aus Liebe also: "Sehet, meine Jünger, wie ich euch gedient und welches Werk ich euch vorgeschrieben habe! Sehet, ich habe euch gewaschen und gereinigt; nun eilt freudig in die Kirche und betretet ihre Tore als Erben! [140] Tretet furchtlos auf den Bösen und unerschrocken auf das Haupt der Schlange! Zieht ohne Furcht eures Weges und verkündigt mein Wort in den Städten! Sät das Evangelium in den Ländern und senkt S. 30die Liebe in die Herzen der Menschen! Verkündigt mein Evangelium vor den Königen und offenbart meinen Glauben vor den Richtern! Seht, ich, der ich euer Gott bin, habe mich erniedrigt und euch bedient, [150] damit ich euch ein vollkommenes Pascha bereite und das Angesicht der ganzen Welt erfreue!"15
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Sie sind darum auch in der Übersetzung nicht berücksichtigt worden ↩
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Vergl. Johannes 13,5ff. und 14 ff ↩
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Vergl. Ezechiel 8,1; 37,1; 40,1. ↩
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d.h. in der Vorhölle, dem Limbus patrum ↩
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Vergl. Deuteronomium 4,24; 9,3; Jesaja 66,5 [65,5?]; Daniel 3,22ff.; 7,9b. ↩
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Im Syrischen Umschreibung des alttestamentlichen Gottesnamens JaHWeH. ↩
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Exodus 33, 20. ↩
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Jesaja 6,2. ↩
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Daniel 7,9a ↩
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Ezechiel 38,20 ↩
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Jesaja 6,2 ↩
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Matthäus 14,29 ↩
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Matthäus 16,19. Vorliegende Stelle ist ein unzweideutiges Zeugnis für den Primat des hl. Petrus. Dadurch, dass die ihm übertragene Schlüsselgewalt mit einem Thron und einer Herrschaft in Parallele gestellt wird, wird sie inhaltlich in ganz unmissverständlicher Weise als wirkliche Regierungsgewalt erklärt. ↩
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Cyrillonas spielt hier auf das hl. Sakrament der Taufe an. ↩
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Im Syrischen bilden die Wörter "Pascha" und "erfreuen" ein Wortspiel ↩
