b) Dogmatische Werke
Die dogmatischen Abhandlungen des hl. Fulgentius tragen fast durchwegs polemisch-apologetischen Charakter. Sie sind entstanden in der Abwehr gegen die Irrlehre des Arianismus und Semipelagianismus.
Zeitlich ist unter den antiarianischen Schriften an erster Stelle zu nennen die Schrift: „Contra Arianos liber unus".1 Sie enthält die auf zehn Artikel zurückgeführte Erwiderung und Widerlegung auf die Fragen und Einwände, die König Thrasamund gegen die Trinität und besonders gegen das Ursprungsverhältnis des Sohnes zum Vater an den von Sardinien nach Karthago gerufenen Fulgentius gerichtet hatte. Die philosophischen Ausführungen dieser Schrift über die Relationen der Personen in der Trinität sind wohl fremdes Gedankengut.
Auf diese Erwiderung ließ Thrasamund, der die Veröffentlichung der von ihm vorgebrachten Einwände durch Fulgentius nicht gern gesehen haben mochte, diesem eine S. 18 neue Schrift mit Einwänden gegen den katholischen Glauben überreichen, ohne ihm jedoch Zeit zu längerem Studium oder schriftlichen Aufzeichnungen zu lassen. Nach längerem Zögern widerlegte Fulgentius die neuen Angriffe in der Abhandlung: „Ad Thrasamundum regem Vandalorum libri tres“. 2 In ihr wird vor allem die Gottheit Christi verteidigt und gegenüber den Einwendungen, welche die Eutychianer gegen die Trinität mit Berufung auf die Menschwerdung des Gottessohnes erhoben, eine genaue Erklärung der Inkarnation gegeben.
Nach der Erzählung des Biographen wurde die theologische Disputation von dem arianischen Bischof Pinta fortgeführt, den Fulgentius sofort durch die uns verloren gegangene Streitschrift: „Adversus Pintam" in die Schranken zurückwies. Das bei Migne abgedruckte Werk: „S. Fulgentii pro fide adversus Pintam episcopum arianum liber unus"3 ist schon lang als unecht erkannt worden.
In dieselbe Zeit des Aufenthaltes in Karthago fällt die Abfassung der Schrift: „De Spiritu Sancto ad Abragilam presbyterum commonitorium parvissimum", die uns durch die Vita bezeugt ist, A, Souter4 glaubt in dem lateinischen Manuskript Nr. 635 der Bibliotheque Nationale in Paris die bisher verschollene Abhandlung des Fulgentius entdeckt zu haben.
Nach der Rückkehr aus der zweiten Verbannung, also nach dem Jahre 523, erhielt Fulgentius von einem gewissen Viktor einen Brief5 mit einer beigelegten Predigt eines Arianers Fastidiosus, der vorher Katholik, Mönch und Priester gewesen war. In dieser Predigt hatte Fastidiosus die Behauptung aufgestellt, die heiligste Dreifaltigkeit sei entweder teilbar, und dann sei die Ansicht der Arianer über den Sohn Gottes bestätigt, oder unteilbar, dann seien offensichtlich nach der katholischen Lehre alle drei Personen der Trinität Mensch geworden. Demgegenüber legte Fulgentius in der Schrift: „Contra sermonem Fastidiosi Ariani ad Victorem liber unus“ 6 dar, S. 19 daß die Trinität in ihrer Natur und Wirksamkeit unteilbar ist. Der Gottessohn hat einen Leib und eine Seele angenommen in der Einheit der Natur, nicht in der Einheit der Person. So ist die Inkarnation das Werk der gesamten Dreifaltigkeit, aber eine Proprietät des Sohnes,
Nur noch in Exzerpten vorhanden sind die ebenfalls nach dem zweiten Exil geschriebenen zehn Bücher Contra Fabianum,7 in denen die Entstellungen des Arianers Fabianus in seinem Protokoll über mündliche theologische Verhandlungen mit Fulgentius über die Trinität und Inkarnation richtiggestellt werden. Die vorhandenen Exzerpte, die uns kein klares Bild der ursprünglichen Komposition geben, wurden von Chifflet nach einer nunmehr in Grenoble befindlichen Handschrift veröffentlicht. Von besonderem Interesse ist das 36. Fragment aus dem 10, Buch, in dem Fulgentius eine Auslegung eines afrikanischen Glaubenssymbols, und zwar wohl des in Ruspe gebräuchlichen, gibt,8 Der Text des Symbolums ist hier nicht angegeben; ein Zitat aus dem afrikanischen Glaubensbekenntnis findet sich im 32. Fragment. In diesem Zusammenhang ist anzuführen die lateinische Handschrift 13208 der Pariser Nationalbibliothek, die eine Erklärung des Symbolums unter dem Titel: „Expositio symboli apostolici sancti Fulgentii episcopi" enthält. Es ist nachgewiesen,9 daß diese Auslegung nichts anderes ist als die Zusammenfassung des Inhaltes des 10. Buches der Abwehrschrift gegen Fabianus.
Unbekannt ist die Abfassungszeit eines kleineren Werkes: „De Trinitate ad Felicem notarium liber unus;"10 es ist wohl in der ersten Periode der literarischen Tätigkeit des Bischofs von Ruspe entstanden. Hier werden einem unter Häretikern lebenden Felix die wichtigsten Glaubenswahrheiten auseinandergesetzt. S. 20
Ähnlichen Inhaltes ist das wichtige Büchlein: „De fide seu regula verae fidei ad Petrum liber unus",11 von dem noch im Folgenden eingehend die Rede sein wird.
Das Buch an Scarila: „De incarnatione filii Dei et vilium animalium auctore" 12 gibt Antwort auf theologische Probleme, die bei einem Gastmahl im Hause eines gewissen Eventus behandelt worden waren. Im ersten Teil ist die irrige Ansicht von der Menschwerdung des einen Gottes in drei Personen widerlegt durch die Unterscheidung zwischen solchen Eigenschaften, die der Natur der drei göttlichen Personen gemeinsam, und solchen, die den einzelnen Personen eigentümlich sind; es ist die Eigentümlichkeit der zweiten Person, allein geboren zu werden. Im zweiten Teil wird die von einem Teilnehmer am Gastmahl geäußerte Ansicht, die Mücken, Skorpione, Flöhe und Wanzen seien nach Luzifers Sturz von diesem erschaffen worden, durch den Hinweis auf die Zweckmäßigkeit ihres Organismus widerlegt; der Mensch hat durch die Sünde die volle Herrschaft über die von Gott als gut geschaffene Natur verloren.
Das letzte der antiarianischen Werke: „De remissione peccatorum ad Euthymium libri duo"13 ist nach dem Zeugnis der Vita während des zweiten Exils auf Sardinien verfaßt worden. Im ersten Buch beantwortet Ful-gentius die Anfrage, ob Gott den Menschen nur in diesem Leben oder auf Grund seiner Allmacht auch im Jenseits, sei es vor oder am Tage des Jüngsten Gerichtes die Sünden nachlassen könne, mit der Feststellung, daß unter Sündennachlaß die Rechtfertigung zu verstehen ist, durch welche der Mensch von Gott dem Reich der Finsternis entrissen und in das Reich der Liebe seines Sohnes erhoben wird. Die Rechtfertigung aber setzt drei Bedingungen voraus: den Besitz des wahren Glaubens, die Ausübung guter Werke und die Benützung der von Gott für den Glauben und die guten Werke geschenkten Zeit (fides, operatio, tempus). Im zweiten Buch wird unter S. 21 Anführung zahlreicher Mahnungen der Hl. Schrift bewiesen, daß Sündennachlaß bloß auf Erden möglich ist.
Ganz in die Zeit der zweiten Verbannung fällt die literarische Bekämpfung des Semipelagianismtis.14 Von den drei Werken, die sich mit der Gnadenlehre befassen, sind uns die durch die Vita und das gemeinsame Schreiben der verbannten afrikanischen Bischöfe an Johannes und Venerius15 bezeugten sieben Bücher Contra Faustum Reiensem verloren. Diese Schrift war gerichtet gegen das Buch: „De gratia et libero arbitrio" des bekannten Verfechters des Semipelagianismus. Nach den Angaben im 25. Kapitel der Vita war die Schrift des Faustus von Konstantinopel aus an Fulgentius zur Prüfung gesandt worden, vielleicht von den skythischen Mönchen, die sich auch gegen Faustus an die Legaten des Papstes Hor-misdas und an den verbannten afrikanischen Bischof Possessor in Konstantinopel gewandt hatten.
Die antipelagianische Abhandlung: „Ad Monimum libri tres",16die Fulgentius selbst in seinem Brief an den Abt Eugippius erwähnt,17ist veranlaßt durch die irrige Auf- S. 22 fassung eines uns sonst nicht bekannten Laien, Monimus mit Namen, den Fulgentius in Karthago kennen lernte; Monimus legte die Gnadenlehre des hl. Augustinus so aus, als ob die Menschen von Gott in gleicher Weise zum Guten wie zum Bösen vorherbestimmt seien. Zur Widerlegung dieses Irrtums unterscheidet Fulgentius im ersten Buch bei den zum Verderben Vorherbestimmten den interitus supplicii vom interitus delicti. Gott bestimmt die Menschen nicht zur Sünde, zum interitus delicti, sondern zum interitus supplicii, zu der durch ihre Sünden, die er im voraus kennt, verdienten Strafe. Im zweiten Buch wird die arianische Auffassung zurückgewiesen, das Opfer des Leibes und Blutes Jesu Christi werde nur Gott Vater als dem allein wahren Gott dargebracht. Das dritte Buch wendet sich gleichfalls gegen die Arianer, die aus dem Anfang des Johannesevangeliums: "Verbum erat apud Deum" beweisen wollten, daß der Sohn im Anfang nur beim Vater und nicht im Vater war.
Das bedeutendste Werk des Bischofs von Ruspe über die Gnade sind die drei Bücher "De veritate praedestinationis et gratiae Dei ad Joannem et Venerium“. 18 Der Presbyter und Archimandrit Johannes und Venerius, Diakon an der Kirche von Konstantinopel, hatten sich mit einigen Gläubigen, die den Brief mit unterzeichneten, an die nach Sardinien verbannten afrikanischen Bischöfe mit der Bitte um Auskunft über die Lehre von der Gnade und Vorherbestimmung gewandt. Nach der Lehre einiger Theologen ihres Landes gäbe Gott den Menschen keine Gnade, die sie nicht verdient hätten, und von der er nicht vorher wisse, daß sie diese verdienten. Fulgentius zeigt im ersten Buch an Jakob und Esau ein Beispiel der Praedestination; dann geht er auf das Los der ohne Taufe sterbenden Kinder ein, die nach ihm mit der ewigen Verdammnis bestraft werden, wenn auch ihre Strafe leichter ist wie die der Erwachsenen; schließlich wird die Notwendigkeit der zuvorkommenden Gnade für die S. 23 Rechtfertigung gezeigt. Das zweite Buch behandelt mit Berufung auf die Autorität des hl. Augustinus das Verhältnis von Gnade und freiem Willen. Der freie Wille ist bei jedem Menschen vorhanden; er ist aber krank, und zu seiner Heilung hat uns Jesus Christus zuerst das Gesetz und dann die Gnade gegeben. Das dritte Buch zeigt, wie die Praedestination zur Seligkeit, die auch die Praedestination zur Gnade ist, in der Unveränderlichkeit Gottes ihren Grund hat. Der Böse wird nicht zur Schuld, sondern zum Gericht vorherbestimmt. Ferner werden einige Einwände gegen die Praedestinationslehre widerlegt, so aus der Natur der den Praedestinierten verliehenen Gnade und aus den Mahnungen der Hl. Schrift der Einwand, daß die Auserwählten nichts Gutes zu tun vermöchten. Den Abschluß des Werkes bildet eine Darlegung über den Ursprung der menschlichen Seele, über den Johannes und Venerius ebenfalls Auskunft wünschten, ohne daß jedoch Fulgentius zwischen Kreatianismus und Traduzianismus eine klare Entscheidung trifft.
Der in der Migneschen Sammlung aufgenommene Traktat: „De praedestinatione et gratia"19 stammt nicht von Fulgentius.
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ML. 65, 205—224. ↩
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ML. 65, 223–304. ↩
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ML. 65, 707–720. ↩
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The Journal of Theological Studies, July 1923, 483 ff. ↩
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Viktors Brief ist abgedruckt bei ML. 65, 372—377, ↩
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ML. 65, 507—528. ↩
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ML. 65, 749—834. ↩
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Auf die Bedeutung dieses Fragmentes hat zum ersten mal hingewiesen C. P. Caspari in der Abhandlung: Das carthaginiensisch-afrikanische Symbol nach Fulgentius von Ruspe in: „Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensreger. Christiania II S. 245 ff.; vgl. auch F. Kattenbusch: Das apostolische Symbol I, Leipzig 1894, S. 140 f. ↩
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Kattenbusch a. a. O. L. 211. ↩
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ML. 65, 497—508. ↩
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ML. 65, 671–706. ↩
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ML. 65, 573-^602. Die briefliche Anfrage des Scarila steht unter den Briefen des Fulgentius ib. S. 377. ↩
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ML. 65, 527—574. ↩
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In der Abhandlung: „Zur Dogmengeschichte des Semi pelagianismus" (Kirchengesch. Studien V 2, Münster i. W. 1899, S. 104—155) hat Fr. Wörter die Lehre des Fulgentius über den Urständ des Menschen, die Erbsünde und ihre Folgen, das Verhältnis von Gnade und freiem Willen und die Praedestination eingehend behandelt. ↩
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Das Schreiben befindet sich unter den Briefen des Fulgentius Ep. 15, ML. 65, 442. ↩
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ML. 65, 151—156. ↩
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„Libros, sicut praecepisti, ad Monimum datos, in quaternionibus destinavi, in quibus, si aliquid placuerit, utinam veritatis et non solum amoris esse cognoscam." ML. 65, 348. Daß der Satz im Anfang des 28. Kapitels der Vita: „Testimonia quoque praedestinationis et gratiae differentias cupientem nosse salubriter disputans docuit" sich auf die Bücher an Monimus beziehen sollen, wie u. a. Bardenhewer meint, er scheint mir nicht wahrscheinlich. Er schließt sich an den vorhergehenden Satz: „Tunc etiam de remissione peccatorum consulenti Euthymio, viro religioso, duobus libellis sine mora respondit" so unvermittelt an, daß sprachlich keine andere Möglichkeit bleibt, als das Objekt „cupientem" auf Euthymius zu beziehen. Ein Objektswechsel hätte mindestens durch einen Zusatz zu cupientem, etwa das Wörtchen: „alium" kenntlich gemacht werden müssen. Vielleicht soll der Satz: Testimonia quoque ...ebenfalls eine, allerdings sehr ungenaue, Inhaltsangabe des Werkes an Euthymius enthalten. ↩
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ML. 65, 603—672. ↩
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ML. 65, 843—854. ↩
