c) Briefe
Ähnlich wie der hl. Augustinus oder Hieronymus stand auch Fulgentius nach dem Zeugnis seines Biographen in einem lebhaften brieflichen Gedankenaustausch mit berühmten Männern und Frauen seiner Zeit in Rom und Afrika. Einzelne seiner Briefe sind umfassende dogmatische Abhandlungen, andere mehr moralischen oder aszetischen Inhaltes.
Die Ausgaben überliefern uns eine Sammlung von 18 Briefen unter dem Namen des Fulgentius.1 Fünf dieser Briefe sind nicht von Fulgentius, sondern an Fulgentius bzw. die in Sardinien weilenden Bischöfe geschrieben, nämlich der 11. und 13. Brief, den der Diakon Ferran-dus, der 9. Brief mit der beigelegten Predigt des Apostaten Fastidiosus, den der schon erwähnte Viktor, ferner der 10. Brief, den Scarila über die beim Gastmahl im Hause S. 24 des Eventus behandelten theologischen Fragen an Fulgentius geschrieben hat, und schließlich der 16, Brief, den die skythischen Mönche durch den Diakon Petrus an die Gesamtheit der in Sardinien weilenden afrikanischen Bischöfe richteten.
Zwei Briefe, der 15. und 17., sind dogmatische Kollektivschreiben der in Sardinien lebenden afrikanischen Bischöfe, in deren Auftrag Fulgentius, wie wir aus der Vita wissen, schriftliche Antworten erteilte. Der 15. Brief ist an die schon erwähnten Kleriker Johannes und Ve-nerius in Konstantinopel gerichtet; er handelt von dem Verhältnis der Gnade zum freien Willen, Wenn auch der Name des Fulgentius unter den Absendern nicht genannt wird, wird man doch nicht bezweifeln dürfen, daß er im Auftrag seiner Amtsbrüder dieses Schreiben abgefaßt hat. Der Brief genoß so hohes Ansehen, daß er in mehrere Sammlungen von Konzilsakten auf genommen wurde.2
Der interessanteste unter den Fulgentiusbriefen ist unstreitig der 31 Kapitel umfassende 17. Brief, den Fulgentius mit noch 15 anderen Bischöfen, deren Namen im Eingang aufgezählt werden, über die Frage der Inkarnation und der Gnade von Sardinien aus an den Diakon Petrus und die übrigen skythischen Mönche richtete. Die skythischen Mönche wollten im Kampf gegen die Nestorianer und Monophysiten den Satz: „einer aus der Dreifaltigkeit habe im Fleisch gelitten" als Formel der Rechtgläubigkeit anerkannt wissen. Ferner verlangten sie die Verurteilung des kurz zuvor verstorbenen Semipelagianers Faustus von Reji, Sie brachten ihre Angelegenheit vor die Legaten des Papstes Hormisdas, die am 15, März 519 nach Konstantinopel gekommen waren, um mit dem Nachfolger des verstorbenen Kaisers Anastasius, dem Kaiser Justin, und seinem Neffen Justinian über die Beilegung des akazianischen Schismas zu verhandeln. Die skythischen Mönche überreichten dem Führer der päpstlichen Gesandtschaft Dioscorus ein Glaubensbekenntnis, einen libellus fidei. Als aber ihre Forderungen auf Widerstand stießen, schickten sie vier Abgesandte nach Rom zu Papst Hormisdas, der sich jedoch weigerte, ihnen eine bestimmte Antwort S. 25 zu geben und sie schließlich sogar, da sie sich in ihrem Ungestüm an die Öffentlichkeit gewendet und Beunruhigung hervorgerufen hatten, aus Rom verwies. Nun schickten sie durch den Diakon Petrus einen längeren Brief, den schon erwähnten 16, der fulgentianischen Sammlung, an die verbannten afrikanischen Bischöfe mit der Bitte, ihre Lehre gutzuheißen. Dies geschah tatsächlich mit einigen Modifikationen in dem 17. Brief unter Weglassung oder Verbesserung anstößiger Stellen aus dem Schreiben der Mönche.3
Vorwiegend dogmatischen Inhaltes sind der 12. und 14. Brief, in denen Fulgentius auf Anfragen des Diakons Ferrandus antwortet. In dem letzten Schreiben wird auch die Frage behandelt, ob die menschliche Seele Christi eine volle Erkenntnis ihrer Gottheit besaß. Schulte4 hat nachgewiesen, daß die von Fulgentius bei dieser Gelegenheit entwickelten Gedanken die späteren Theologen wie Alkuin, Hugo von St. Victor, Beda Ve-nerabilis, Walafried Strabo und manche mittelalterlichen Sentenzenbücher beeinflußt haben. Hierher gehört auch seines Inhaltes wegen der 8. Brief über den rechten Glauben und verschiedene Irrtümer der Häretiker an einen gewissen Donatus sowie der 18. Brief an den Comes Reginus. In diesem Brief, der kurz vor dem Tod des Fulgentius verfaßt wurde, hat dieser noch die Frage nach der Korruptibilität des Leibes Christi, über die im Jahre 519 bei den Monophysiten zwischen Severus und Julian von Halikarnaß ein lebhafter Streit ausgebrochen war, beantwortet; die Belehrung über die Pflichten eines christlichen Militärbefehlshabers hat sein Schüler Ferrandus angefügt.
Unter den Adressaten der sieben ersten Briefe, die vorwiegend moralischen Inhalt haben, finden wir be- S. 26 kannte Persönlichkeiten der Kirchengeschichte wie den Abt Eugippius von Lucullanum bei Neapel, den Verfasser der Vita des hl. Severin (Ep. 5), ferner die als Heilige verehrte Römerin Galla, die Tochter des im Jahre 525 ermordeten Konsuls Symmachus, die sich nach dem Zeugnis Gregors des Großen, als sie nach einjähriger Ehe ihren Gemahl verloren hatte, in ein Kloster am Vatikan zurückzog. Fulgentius tröstete sie über den Verlust ihres Gatten und schilderte ihr die Verdienstlichkeit des Witwenlebens (Ep. 2). An eine andere vornehme Römerin, Proba, die vielleicht eine Nichte des berühmten Staatsmannes Kassiodor ist,5 ist der 3. Brief gerichtet, der von der Jungfräulichkeit und Demut, sowie der 4., der vom Gebet und der Reuegesinnung handelt. Zu den Mitgliedern des stadtrömischen Adels gehört auch der Empfänger des 6. Briefes, der Senator und Konsul Theodorus, der sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, um ein Leben der Frömmigkeit zu führen. Nicht genannt wird der Empfänger des ersten Briefes,6 ein junger Ehemann, der sich in seiner Gewissensnot wegen der von seiner Gattin ohne sein Wissen übernommenen Verpflichtung der ehelichen Enthaltsamkeit an Fulgentius wendet. Dieser entscheidet die Frage dahin, daß eine mit beiderseitiger Zustimmung eingegangene Verpflichtung gehalten werden muß, daß aber ein einseitig ohne Einwilligung des Ehegatten abgelegtes Versprechen nicht im Gewissen bindet. Unbekannt ist uns die Adressatin des 7. Briefes, eine gewisse Venantia, an die Fulgentius ein Schreiben über die rechte Buße und die zukünftige Belohnung gesandt hat. Verloren ist uns der im 25. Kapitel der Vita erwähnte Brief, den Fulgentius aus der zweiten Verbannung auf Sardinien an die Katholiken in Karthago richtete, sowie die zwei Briefe, die er nach seinem eigenen Zeugnis in S. 27 der Abhandlung Contra sermonem Fastidiosi ariani 7 im Auftrag der mitverbannten Bischöfe an eine vornehme Dame mit Namen Stephania schrieb. Auch andere Briefe sind untergegangen.8
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ML. 65, 303—498; Hurter, SS. Patr. opusc. sei 45, 46. Oenip. 1884. ↩
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Tixeront, Histoire des dogmes. Paris 1922 III 300. ↩
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Eine eingehende Analyse des Briefes an die skythischen Mönche gibt Bernhard Nisters: Die Christologie des hl. Fulgentius von Ruspe (Münsterische Beiträge zur Theologie Heft 16, 1930) S. 80—95. ↩
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Die Entwicklung der Lehre vom menschlichen Wissen Christi bis zum Beginn der Scholastik. In: Forschungen zur christl. Literatur- und Dogmengeschichte XII 2. Paderborn 1914. ↩
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Lapeyre St. F. 231. ↩
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Wenn in dem ältesten Manuskript, dem Reg. 267, und in einer Handschrift aus Corbie der Name des Empfängers als Optatus angegeben wird, so vermutet Lapeyre a. a. O. 230 unter Berufung auf den heiklen Gegenstand der Erörterung wohl mit Recht, daß es sich nur um einen fiktiven Namen handelt wie etwa den Namen Titius in den Handbüchern der Moral und Kasuistik. ↩
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ML. 65, 318. ↩
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Vgl. Bardcnhewer a. a. O. 314; Lapeyre St. F. 239. ↩
