II. Leben
Um 480 war Salvian also noch ein rüstiger Greis; daraus läßt sich schließen, daß er etwa die Wende des 4. zum 5. Jahrhundert geboren ist. Sein Geburtsort ist im östlichen Gallien zu suchen, entweder in einer in der Provinz Belgica I, oder in Köln, m Germania 11 (inferior). Er bezeichnet nämlich Gub. VI 72 Gallien als sein „solum patrium„. Für Köln spricht der Umstand, daß er dort seinem eigenen Zeugnisse nach (Ep. I 5) nahe Verwandte hat; für Trier die Gewißheit, daß er sich in seiner Jugend dort längere Zeit aufgehalten und die dritte Zerstörung der Stadt durch die Franken mitgemacht hat. Er beschreibt seine Erlebnisse dabei mit erschütternden Worten im 6. Buch der Gubernatio (VI 12-13). Nach Hämmerle 1I 22 ist diese dritte Einnahme Triers, welche die beiden vorausgegangenen durch die Vandalen und die Franken an Schrecklichkeit bei weitem übertraf, ins Jahr 418 zu setzen. Über die Eltern und etwaigen Geschwister Salvians wissen wir nichts. Es entzieht sich sogar unserer Kenntnis, ob die Eltern Heiden oder Christen waren. Die „Cattura soror“, an die Brief V gerichtet ist, ist sicher keine leibliche Schwester Salvians, sondern eine „Schwester in Christo„, eine Gott geweihte Jungfrau. Er nennt ja nach Auflösung seiner Ehe auch seine Frau „soror“ (Ep. IV 9). Sicher ist nur, daß Salvian aus vornehmem Hause stammte; auch sein Verwandter war ja nach Ep. I 5 „domo non despicabilis ; und ein Armer und Niedriger hätte sich damals nicht die Bildung aneignen können, die Salvian besaß. Der Staatszugehörigkeit nach war er römischer Bürger; ob aber echtes Römerblut in seinen Adern floss, ist bei der damals schon sehr fortgeschrittenen Romanisierung Galliens nicht erweisbar. Salvian genoß eine gründliche rhetorische Bildung, die er trotz seiner späteren betonten Gegnerschaft gegen die Rhetorik nie verleug- S. 17 nen kann. Griechisch hat er kaum, Hebräisch sicher nicht gelernt. Trier war im 4. und anfangs des 5. Jahrhunderts der Sitz einer berühmten Rhetorenschule; es ist anzunehmen, daß Salvian dort die Beredsamkeit studiert hat. Möglicherweise hat er nach Abschluß seiner rhetorischen auch noch juristische Bildung genossen, so daß er sogar für die Rechtsgeschichte als Quelle herangezogen wurde (vgl. Zschimmer 2S. 12). Diese Studien machte er vielleicht in Gallien selbst, vielleicht in Karthago - was auch seine genaue Kenntnis der Zustände in dieser Stadt erklären würde (Gub. VII 67 ff.) -, sicher aber nicht in Rom. Seine philosophische Bildung ist sehr gering; die lateinischen Klassiker hat er wohl kaum selbst gelesen. Cicero hat er möglicherweise im Original studiert, möglicherweise aber auch die Zitate aus ihm von Laktanz, dem christlichen Cicero, übernommen (vgl. Zschimmer a.a.O. S. 62).
Etwa 420 oder 422 vermählte er sich mit Palladia, der Tochter eines Heiden Hypatius und seiner Gemahlin Quieta. Zu dieser Zeit war er sicher bereits Christ. Palladia war bei ihrer Vermählung noch Heidin, bekehrte sich aber bald darauf zum Christentum, ebenso wie ihr Vater später Christ wurde. Der Ehe Salvians entsproß eine Tochter Auspiciola. In den ersten Jahren seines Ehelebens aber trat ein radikaler Umschwung in den religiösen und asketischen Anschauungen Salvians ein: er löste seine Ehe mit Palladia auf und lebte fortan in völliger Enthaltsamkeit. Veranlassung dazu mögen ihm die erschütternden Zeitereignisse gegeben haben, vielleicht auch die Lektüre asketischer Schriften, etwa der Kassians - auch des Hieronymus Keuschheitsideal war weit verbreitet - und das Beispiel anderer vornehmer Männer, wie des Paulinus, des späteren Bischofs von Nola. Er trat in das Coenobium Lirinense ein, das Honoratus auf der zweitgrößten der Cannes gegenüberliegenden Lerinischen Inseln - heute St. Honorat - gegründet hatte. Palladia und Auspiciola zogen sich wahrscheinlich auf die Nachbarinsel St. Marguerite zurück; dort war von der Schwester des Honoratus, Margarita, ein Frauenkloster geschaffen worden. Diesen S. 18 Schritt muss Salvian 424 oder 425 getan haben; er gewann nämlich in Lerinum noch die Freundschaft des Honoratus – carorum suorum unus, nennt ihn Hilarius im 4. Kapitel seiner vita Honorati - dieser schied aber 426 aus Lerinum, weil er Bischof von Arles geworden war. Die Auflösung der Ehe erbitterte Salvians Schwiegervater Hypatius derart, daß er jeglichen Verkehr mit Tochter und Schwiegersohn abbrach. Sogar als Hypatius Christ geworden war, brachte er kein Verständnis dafür auf. Wir besitzen den Brief (Ep. IV), in dem Salvian sieben Jahre später die Verzeihung seiner Schwiegereltern erflehte. Ob er damit Erfolg hatte, ist uns unbekannt. Von Palladia und Auspiciola wissen wir nach 430 oder 431, der Abfassungszeit dieses vierten Briefes, nichts mehr. In Lerinum weilte auch der vornehme Römer Eucherius mit seinen Söhnen Salonius und Veranus. Als dieser 428 oder 429 Bischof von Lyon wurde, übergab er die Erziehung seiner im Kloster bleibenden Söhne dem Salvian. Da beide Zöglinge Bischöfe wurden (vgl. einl. Bern, zu Brief II s. u. S. 385), nennt Gennadius den Salvian mit Recht episcoporum magister. In Lerinum hat Salvian in diesen Jahren auch die Priesterweihe empfangen. Möglicherweise bald nach der Priesterweihe, sicher aber vor 439'40, verließ er die Einöde und wurde Presbyter von Massilia. Als solchen kennt ihn, wie gesagt, Gennadius noch um 480. Wann er gestorben ist, wissen wir nicht; jedenfalls hat er ein sehr hohes Alter erreicht.
