IV. Die Schrift: Ad Ecclesiam
Das andere, bedeutend kleinere Werk Salvians, das uns noch erhalten ist, sind die in jeder Hinsicht viel umstrittenen „Timothei ad Ecclesiam libri IV„; Gennadius nennt die Schrift „Adversus avaritiam“. Viel umstritten ist diese Schrift schon deswegen, weil sie lange nicht als salvianisch erkannt wurde. Noch 1528 erschien sie unter dem Namen eines Bischofs Timotheus. Erst Ritters-husius sprach anfangs des 17. Jahrhunderts die bestimmte Vermutung aus, dass „Adversus avaritiam“ von Salvian sei. Viel umstritten ist „Ad Ecclesiam„ aber auch wegen des Inhalts. In dieser Schrift fordert Salvian klar und deutlich, dass alle Besitzenden mindestens beim Tode ihr Vermögen der Kirche und damit den Armen vermachen sollten. Nicht einmal den Kindern, auf keinen Fall aber Verwandten, soll ein reiches Erbe hinterlassen werden. Zschimmer a.a.O. S. 77 meint, Salvian setze „Himmel und Hölle in Bewegung, um zu S. 25 seinem Ziel zu gelangen“. Klostermann spricht S. 434 von „allen Künsten ränkevoller Beweisführung„, mit denen Salvian arbeite. Manche, so z. B. C. A. Hase, 1wollten die Schrift als eine Satire auf die Habsucht des Klerus auffassen (vgl. Zschimmer a.a.O. S. 78), Verschiedentlich mußte sich Salvian den Vorwurf gefallen lassen, er sei ein klerikaler Erbschleicher, so z.B. von Schröckh. 2Ebert 3meint (S. 244), die Forderung, sein ganzes Vermögen der Kirche zu vermachen, sei eine rhetorische Übertreibung. Um wenigstens etwas zu erreichen, spanne Salvian seine Forderung so hoch. Aber es kann keine Rede davon sein, daß Salvian nicht ganz ernst genommen werden wollte und auch von seinen Lesern ernst genommen wurde. Um es einigermaßen zu verstehen - einige Züge darin werden uns ja immer zum mindesten fremd bleiben -, müssen wir das Werk von den Anschauungen und Verhältnissen des 5. Jahrhunderts aus beurteilen. Es herrschte damals bei den Gläubigen die Meinung, was der Kirche oder dem Klerus geschenkt werde, gehe unmittelbar in die Hand Gottes über. Ferner huldigte ein großer Teil gerade der vornehmen römischen Zeitgenossen Salvians sehr strengen asketischen Anschauungen, wie wir ja schon gesehen haben. Salvian setzte selbst sein mönchisches Asketenideal in Wirklichkeit um durch seinen Eintritt in Lerinum. Dabei wird er wohl auch den größten Teil seines Besitzes der Kirche geschenkt haben, Zschimmer meint (a.a.O. S. 81), Salvian könne ..höchstens als frommer Fanatiker gewertet“ werden. Alle die anderen Vorwürfe treffen auf ihn in keiner Weise zu. Neben dieser persönlichen Einstellung Salvians und seiner Zeitgenossen waren aber in noch höherem Maße die wirklichen Bedürfnisse der damaligen Christenwelt maßgebend für dieses uns Heutigen so sonderbar anmutende Werk, Gerade die größere Schrift Salvians lehrt uns ja - ohne Absicht des Verfassers -, wie unglaublich arm und hilfsbedürftig der weitaus größte Teil des römischen S. 26 Volkes damals war. Durch die Sklavenwirtschaft wurde die freie Arbeit zurückgedrängt; der Bauernaufstand verarmte infolge der unerträglichen Steuerlast und durch den immer mehr anwachsenden Großgrundbesitz. Daher oblag die gesamte Armenpflege der Kirche; der Staat tat nichts um die Not zu lindern. An fast allen Bischofssitzen wurden Armen- und Krankenhäuser, Asyle für Witwen und Waisen errichtet. Sogar Kriegsgefangene wurden durch die Kirche losgekauft (vgl. Zschimmer a. a. O. S. 81-82). Daher wollte Salvian möglicherweise mit seiner Schrift eine „durchgreifende Reform der ganzen bestehenden Gesellschaftsverhältnisse„ (Zschimmer a.a.O. S. 85) anbahnen. Er wollte den Kommunismus der Mönche auf das ganze Volk ausdehnen. Ein großer Teil des Werkes ist ja auch zunächst gegen diejenigen gerichtet, die sich dem geistlichen Leben weihen oder ihre Kinder in dasselbe eintreten lassen, ohne ihr Vermögen zu opfern. Wenn Salvian dann diesen Kreis erweitert auf alle Christen, so liegt darin etwas „revolutionär Neues“ (Schaefer S. 24); was Salvian hier verlangt, ist eine Art Pflichtkommunismus. In der Urkirche gibt es einen solchen nicht; dort ist der Kommunismus freiwillig. Salvian ist sich auch wohl bewußt, daß seine Forderung Aufsehen erregend sei und nicht von allen gleich günstig aufgenommen werden würde; darum verschweigt er der Öffentlichkeit seinen Namen. Die Gründe hierfür gibt er im IX. Brief (an Salonras) an. Aus diesem Brief und einem Zitat in der Gubernatio läßt sich auch die ungefähre Abfassungszeit der Schrift Ad Ecclesiam erschließen. Gub. IV 1 zitiert nämlich Salvian eine Stelle aus seinem älteren Werk 4, indem er sagt; „sicut ait quidam in scriptis suis“. Also muss Ad Ecclesiam vor zirka 440 geschrieben sein. Da ferner das erwähnte Erklärungsschreiben ad Salonium episcoporum gerichtet ist, Salonius aber um die Mitte der dreissiger Jahre Bischof wurde, so müssen die vier Bücher des Timotheus an die Kirche bald nach 435 erschienen sein. S. 27
-
C. A. Hase, Kirchengeschichte. Leipzig 1867, S. 164. ↩
-
Schröckh. Christliche Kirchengeschichte XVI 432; vgl. Schäfer a.a.O. S. 22. ↩
-
Vgl. Bibliographie S. 33. ↩
-
Ad Eccl. II 37; Quid est (enim) aliud principatus sine meritorum sublimitate nisi honoris titulus sine nomine, aut quid est dignitas in indigno nis ornamentum in luto? ↩
