II.
Nur ein einziges Ich hattest du zwar, o greiser Vater, aber Tausende von Zierden, deren jede einzeln für sich betrachtet die andern zu übertreffen schien. Wer es sah, staunte und wunderte sich, wie in einem einzigen Menschen die Ebenbilder so vieler verschiedener S. 80Heiligen vereinigt sein konnten. [10] Deinem Leibe war deine reine Jungfräulichkeit eingepflanzt; ihr Glanz blieb in dir, weil ihre Furcht in dir Bestand hatte; darum bereicherte sie dich mit ihrer Kostbarkeit. In dir verbreitete sie ihr Licht, weil sie dich als geeignete Wohnung erfunden hatte, und obgleich sie verborgen war, strahlte ihr Glanz doch aus dir hervor, damit auch du durch sie geziert werden möchtest. [20] Dagegen hatte auch dein Wille die Lust aus deinem Leibe vertrieben, damit du die Unreinheit nicht erst wieder abwaschen müßtest, welche die Klarheit einer reinen Seele trübt. Nie verweilte auch nur vorübergehende Lüsternheit in deinem Leibe; deshalb brauchte auch deine keusche Jungfräulichkeit nicht zu zürnen, sondern blieb dein ganzes Leben hindurch bei dir. [30]
Neben der Reinheit glänzten aber auch ihre Freundinnen, das Fasten und das Almosengeben, indem sie in deinem Tempel die Keuschheit unterstützten. Bleibend ist dir das Gute, das du den Notleidenden gespendet hast; nicht unvergolten lässt es das Haus, in welchem du es niedergelegt hast, sondern im Himmel wirst du den Lohn dafür empfangen. [40] Deine Stärke, o Held, hat alle Schwierigkeiten in dir überwunden; denn die Fesseln deines Leibes zerschnitt dein Wille mit dem Schwerte deiner Keuschheit. Offen und deutlich zeigten sich schon in deinem Äußeren alle diese Tugenden, von denen wir gesprochen haben, obgleich wir noch viele mit Stillschweigen übergangen haben. [50]
Den Glanz deiner Kindheit bewahrte dein Jünglingsalter, denn vom Mutterschoße an warst du rein und bis zum Grabe heilig; in der Auferstehung wirst du zu den Auserwählten gehören. Rein war deine Geburt und heilig dein Hingang; gleichwie dich die Geburt in die Welt einführte, so empfing dich der Tod und überlieferte dich schuldfrei dem Grabe. [60] Und weil das Grab deine Reinheit nicht behalten kann, so gebiert es dich wieder und übergibt dich dem Schoße des Himmelreiches, indem deine Zierde dir immer noch anhaftet. Dein Kampf zog sich in die Länge, aber dein Sieg wurde nur um so herrlicher; denn je länger er sich hinzog, um so überwältigender wurde seine Übermacht und sein S. 81Triumph. [70] Sonst wird den Greisen der Kampf schwer, der den Jünglingen leicht fällt; aber über die angestrengte Arbeit deines Greisenalters staunten die Jünglinge und konnten dich nicht überholen, wie sehr sie auch liefen. Stark war dein Fuß beim Wandeln auf dem Wege; denn deine Reinheit säuberte den Pfad von Steinen, um furchtlos wandeln zu können. [80] Dein Leib war schwach, aber deine Arbeit gewaltig, dein Körper war klein, aber deine Tätigkeit groß, denn dein Herr war deine Stärke. Abtötung machte deinen Leib fast zum Leichnam, denn du züchtigtest ihn bis an die Grenze der Vernichtung. Welches Wunder! Dein Leib war dahingeschwunden, während doch die Seele immer noch wach in ihm blieb! [90] Nicht bedrängten die Angelegenheiten des Leibes deine Seele, denn deine Reinheit trieb die Gewohnheiten des Fleisches hinweg, um deinen Geist zu retten. Deine Ferse trat stets auf das Haupt der Schlange, damit sie dich nicht etwa biss, während du deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenktest und du so durch sie den Tod erlittest. [100] Und dein Herr, den du liebtest, stärkte deine Gesinnung, dass du in ihr beharrtest und die schlangengleichen, dem Fleische entstammenden Gedanken tötetest. Alle Lüste schliefen und schwiegen in dir, ja sie waren erstorben, denn als ihre Monate herannahten, kam ihre Brut nicht zum Vorschein1 . [110] Die Wahrheit gebarst du, die Sünde tötetest du; denn dein Wille schlachtete gleich einem Schwerte alles Böse und rief das Gute ins Leben. Weil du deinen Leib überwandest, hast du die Festung in deine Gewalt gebracht. Wer der Herrschaft seines Leibes zu entgehen versteht, den kann niemand besiegen; indem du jenen besiegtest, hast du alles besiegt. [120] Pinhas der Eiferer tötete die beiden Unreinen, welche vor ihm Frevel begingen, weil er zuvor durch die Kraft seiner Reinheit den eigenen Leib besiegt hatte2 . Auch dir, o Seliger, riet dein Eifer, deinen Leib abzutöten und deiner Seele Gehör zu schenken, damit beiden das Leben zuteil werde. [130]
