2.
Kann uns jemand ein kleines oder größeres Unrecht nachweisen, dann sind wir die letzten, die um Abwendung der Strafe bitten, ja wir verlangen in diesem Falle die empfindlichste und schonungsloseste Ahndung. Wenn aber die Anklage kein anderes Objekt hat als den Namen (bis zur Stunde bestehen ihre Faseleien über uns in albernem Geschwätz, das einer dem andern nachsagt, und es ist noch keinem Christen ein Unrecht nachgewiesen worden), so ist es nunmehr an Euch, so mächtigen, so menschenfreundlichen und einem aufklärenden Worte gewiß zugänglichen Fürsten, uns durch ein Gesetz gegen die brutale Behandlung in Schutz zu nehmen. Denn wie der ganze Erdkreis Eurer Wohltaten teilhaftig ist, sowohl die einzelnen Bürger als die Gemeinden, so möchten auch wir Euch danken können in dem erhebenden Gefühle, endlich einmal vor den Treibereien der Angeber Ruhe zu haben. Es entspricht nämlich keineswegs Eurer Gerechtigkeit, daß bei uns der Name schwerer ins Gewicht fällt als die im Prozesse konstatierten Tatsachen. Während die Richter über andere Angeklagte nicht eher eine Strafe verhängen, als bis diesen ein Unrecht nachgewiesen ist, untersuchen sie bei uns nicht dies, ob der Angeklagte ein Unrecht begangen hat, sondern sind auf den Namen erbost, wie wenn schon dieser ein Unrecht wäre. Und doch gilt sonst S. 276 kein Name als solcher für schlecht oder recht, sondern erst wegen der schlechten oder guten Werke, die sich dahinter verbergen, erscheinen die einen Namen als schlimm, die andern als gut. Indes, auf gründliche philosophische Bildung gestützt, wißt Ihr selbst dies besser. Daher kennen auch alle, die vor Euch abgeurteilt werden, auch wenn in ihrem Prozeß gar Wichtiges auf dem Spiele steht, kein Zagen; wissen sie ja doch, daß Ihr ihren Lebenswandel prüfet und weder auf die Namen etwas gebt, wenn nichts dahintersteckt, noch auf die in den Anklagen enthaltenen Beschuldigungen, wenn sie falsch sind. So nehmen sie dann die verurteilende Stimme mit der gleichen Gelassenheit hin wie die freisprechende. Von der gegen alle geübten Unparteilichkeit erwarten nun auch wir, daß wir nicht deshalb gehaßt und bestraft werden, weil wir Christen heißen (wie kann denn der Name uns schlecht machen?), sondern daß bei jeder Anklage, die man gegen uns erhebt, eine Untersuchung stattfindet und dann die von der Anklage Freigesprochenen entlassen, die als schlecht Befundenen bestraft werden, nicht auf den Namen hin (denn kein Christ ist schlecht, es müßte denn nur sein, daß er sich heuchlerisch so nennt), sondern auf Grund des Unrechtes. Das gleiche Gerichtsverfahren sehen wir den Philosophen gegenüber beobachtet. Vor der Untersuchung erscheint keiner von ihnen dem Richter wegen seiner Wissenschaft oder Kunst gut oder schlecht; erst wenn sich bei einem herausgestellt hat, daß er ein Unrecht begangen hat, wird er bestraft; damit bringt er aber keineswegs die Philosophie in Mißkredit; schlecht ist nur ein Philosoph, der sich um ein Gesetz nichts kümmert, die Wissenschaft als solche trifft kein Tadel; kann sich dagegen einer gegen die Verleumdungen rechtfertigen, wird er frei entlassen. So mache man es auch bei uns; man prüfe den Lebenswandel der Angeklagten, der Name selbst aber bleibe vor jeder Anschuldigung verschont.
Wenn ich mich nun anschicke, unseren Standpunkt zu verteidigen, muß ich Euch, mächtigste Herrscher, bitten, uns unparteiisch anzuhören, und, anstatt Euch S. 277 durch das alberne Tagesgeschwätz zu einem Vorurteil hinreißen zu lassen, Euren Wissensdrang und Eure Wahrheitsliebe unserer Sache zuzuwenden. Dann werdet weder Ihr infolge mangelhafter Belehrung Fehler machen, noch werden wir länger bekriegt werden, wenn es uns gelingt, die auf dem gedankenlosen Gerede der Menge beruhenden Beschuldigungen zu widerlegen.
