6.
Einige Heiden, die vom Wege abirrten und Christum nicht kannten, haben sich zwar dahin ausgesprochen, daß das Böse als Substanz und an und für sich S. 538 existiere1. Damit irrten sie im einen wie im anderen Falle: sei es, daß sie den Schöpfer nicht als den Urheber des Seienden gelten lassen — denn er wäre nicht Herr des Seienden, wenn ja, wie sie meinen, das Böse an sich Existenz und Wesenheit hätte —, oder daß sie andernfalls, wenn sie ihn Schöpfer aller Dinge sein lassen, ihn notwendig auch als Urheber des Bösen erklären, — denn zum Seienden gehörte nach ihnen auch das Böse. Dies ist aber doch wohl offenbar ungereimt und unmöglich. Denn das Böse kommt nicht vom Guten, ist nicht in ihm, noch durch dasselbe. Das Gute könnte doch nicht mehr gut sein, wenn es eine Mischnatur wäre oder Quelle von Bösem. Die Häretiker2 freilich, die von der kirchlichen Lehre abgefallen sind und im Glauben Schiffbruch gelitten haben, sie faseln ja auch von einer Substanz des Bösen und stellen sich außer dem wahren Vater Christi einen zweiten Gott vor, und zwar als ungewordenen Schöpfer des Bösen und Urheber der Bosheit wie als Gründer der Schöpfung. Doch diese sind leicht zu widerlegen sowohl aus den göttlichen Schriften wie auch aus der menschlichen Vernunft selbst3, laut der sie auch mit diesen Vorstellungen zu den Wahnwitzigen gehören. So sagt zur Bekräftigung der Worte Mosis unser Herr und Heiland Jesus Christus in seinen Evangelien: „Gott der Herr ist einer“4, und: „Ich preise Dich, Vater, Herr Himmels und der Erde“5. Wenn aber Gott einer ist, und dieser der Herr Himmels und der Erde, wie kann es neben diesem einen zweiten Gott geben? Und wo wird auch dieser ihr Gott sein, wenn der Eine und Wahre im Umkreis des Himmels und der Erde alles erfüllt? Wie könnte auch ein anderer der Schöpfer dessen sein, worüber nach dem Worte des Heilandes Gott selbst und der Vater Christi S. 539 der Herr ist? Sie müßten denn im Sinne einer Gleichsetzung sagen, der Herr des guten Gottes könne auch der böse Herr sein. Aber wenn sie das behaupten, dann sieh, in welche Gottlosigkeit sie fallen! Bei gleich Mächtigen kann man doch keinen Vorrang oder Vorzug entdecken. Wenn nämlich das eine6 gegen den Willen des anderen7 ist, so liegt bei beiden die gleiche Macht und Ohnmacht: gleiche Macht, weil sie mit ihrer (bloßen) Existenz den beiderseitigen Willen überwinden, gleiche Ohnmacht, weil die Dinge auch ohne und gegen ihren Willen ihren Lauf nehmen. Denn es existiert der Gute wider den Beschluß des Bösen, und es besteht der Böse gegen den Willen des Guten.
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Unter die Heiden, die das Böse für etwas Substantielles halten, mochte Athanasius in erster Linie Plato gezählt haben mit seiner Lehre von der guten und bösen Weltseele, welche letztere ihm wieder Quelle allen Bösen ist (de legibus X). ↩
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Die Gnostiker und vornehmlich die Manichäer. ↩
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Siehe besonders in c. 7. ↩
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Mark. 12, 29 = Deut. 6, 4. ↩
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Matth. 11, 25. ↩
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Das Gute. ↩
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Das Böse. ↩
