3.
So faseln diese Leute. Die göttliche Lehre aber und der christliche Glaube verurteilen solch törichtes Gerede als Gottlosigkeit. Sie sagen uns, daß die Dinge nicht von selbst entstanden sind, da sie ja unter einer Vorsehung stehen, noch auch aus einem bereits vorhandenen Stoff, weil ja Gott nicht schwach, daß vielmehr Gott durch seinen Logos alle Dinge aus dem reinen Nichts ins Dasein gerufen habe, wie es bei Moses heißt: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“1, und im sehr nützlichen Buch vom Hirten: „Allererst glaube, daß nur einer Gott ist, der alles erschaffen und angeordnet und aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat“2. Dasselbe lehrt Paulus mit den Worten: „Im Glauben erkennen wir, daß die Welten durch das Wort Gottes geschaffen worden sind, so daß also nicht das Sichtbare aus der Erscheinungswelt hervorgegangen ist“3. Denn Gott ist gut, oder vielmehr er ist die Quelle der Güte. Den Guten aber kann keinerlei Neid befallen, weshalb er niemand das Dasein vergönnte und alles aus dem Nichts geschaffen hat durch seinen eigenen Logos, unseren Herrn Jesum Christum. Unter den irdischen Kreaturen aber erregte vor allen das Menschengeschlecht sein Mitleid, und weil er sah, daß es nach dem S. 606 Gesetze seines eigenen Werdens außerstande wäre, immerdar fortzubestehen, gewährte er ihnen einen Vorzug und schuf die Menschen nicht einfach wie die ganze vernunftlose Lebewelt auf der Erde, sondern er machte sie nach seinem Bilde und teilte ihnen von der Kraft seines eigenen Logos mit, damit sie gleichsam einen Schatten vom Logos hätten und so, vernünftig4 geworden, in seligem Zustand verbleiben könnten - im Besitze des wahren und wahrhaft heiligen Paradieseslebens. Da er ferner die doppelte Wahlfreiheit der Menschen kannte, so traf er Vorsorge und suchte ihnen durch Gesetz und Ort die ihnen gewährte Gnade zu sichern: Er führte sie in sein Paradies ein und gab ihnen ein Gebot, damit sie, im Falle, daß sie die Gnade bewahrten und gut blieben, zu der Verheißung ihrer himmlischen Unsterblichkeit hin auch im Paradiese ein Leben ohne Kummer, Schmerzen und Sorgen hätten, im Falle, daß sie aber das Gebot überträten und nach ihrer Abkehr von Gott schlecht würden, zur Einsicht kommen sollten, daß sie der natürlichen Verwesung im Tode unterworfen wären und nicht mehr im Paradiese leben, sondern nunmehr aus ihm verbannt und in Tod und Verwesung verbleiben würden. Dies verkündet ganz offen auch die göttliche Schrift, die in der Person Gottes also redet: „Von allen Bäumen des Gartens magst du essen, aber vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollt ihr nicht essen. Am Tage, da ihr davon esset, sollt ihr des Todes sterben“5. „Ihr werdet des Todes sterben“, was soll das anderes bedeuten, als nicht nur sterben, sondern auch in der Verwesung des Todes verbleiben?
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Gen. 1, 1. ↩
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Buch II, Gebot 1. Der „Hirte des Hernias“ wird von Athanasius wiederholt zitiert, so im 11. Festbrief (Fr. Larsow, die Festbriefe des hl. Athanasius, aus dem Syrischen übersetzt, Leipzig 1852, S. 117), in de decretis Nicaenae Synodi cc. 4, 18, ohne ihn je als kanonisches Buch zu werten. ↩
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Hebr. 11, 3. Nach der Vulgata: „damit (oder: so dass) aus dem Unsichtbaren das Sichtbare würde (wurde).“ ↩
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λογικοί = dem Logos ähnlich geworden. ↩
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Gen. 2, 10. ↩
