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Der vornehmlichste Weg aber, den Pflichtenkreis kennen zu lernen, ist gerade die Betrachtung der göttlich inspirierten Schriften . Denn hier findet man die Richtlinien für das Handeln angegeben wie den Lebenswandel der gottseligen Männer schriftlich überliefert, die wie lebende Bilder eines S. 15 gottgefälligen Wandels zur Nachahmung der guten Werke aufrufen. Worin also immer einer sich schwach fühlen mag — wenn er es mit der Nachahmung ernst nimmt, er findet dort gleichsam wie in einer Universalapotheke die zuträgliche Arznei für sein Gebrechen. Der Freund der Keuschheit wählt sich immer wieder die Geschichte Josephs zur Lektüre und lernt von ihm sittsames Betragen, indem er findet, wie dieser nicht bloß die Sinnenlust meisterte, sondern auch standhaft in der Tugend beharrte. Starkmut aber lernt man von Job. Als sein Lebenslos ins Gegenteil umschlug, er mit einem Schlag aus einem Reichen ein Armer, aus einem kinderreichen Vater kinderlos wurde, da blieb er derselbe und bewahrte unerschütterlich den Gleichmut der Seele; ja auch als seine Freunde kamen, ihn zu trösten, ihm aber dann Vorhalt machten und seine Leiden miterhöhten, ließ er sich nicht aufregen. Wem es darum zu tun ist, sich mild und großmütig zu zeigen, d. h. den Unmut gegen die Sünde und zugleich Sanftmut gegen die Menschen walten zu lassen, der wird in David einen hochgemuten Kriegshelden finden, der aber doch wieder sanft und versöhnlich ist in der Bestrafung seiner Feinde. So war auch Moses, der mit Feuereifer gegen die auftrat, die wider Gott frevelten, mit Gelassenheit aber persönliche Verunglimpfungen ertrug. Kurz, wie die Maler, die Kopien von Bildern herstellen, häufig auf das Original schauen, um dessen Züge auf ihr Werk zu übertragen, so muß auch derjenige, der nach Vollkommenheit in all den Einzeltugenden strebt, auf das Leben der Heiligen wie auf lebende und handelnde Bilder sehen und das Gute an ihnen durch Nachahmung sich zu eigen machen.
