3.
Das sind die Gedanken und Erwägungen, zu denen der Neumondstag und der Ablauf des Jahres uns veranlassen sollen. Des Gerichtstages sollen wir gedenken, damit Niemand zu uns sagen könne, was einst der Prophet zu den Juden gesagt hat: Es entschwanden ihre Tage in Nichtigkeit, ihre Jahre in Eile.“1Dieses immerwährende Fest, von dem ich sprach, das den Umlauf des Jahres nicht abwartet, das an keinen Tag gebunden ist, kann der Arme und der Reiche gleichermaßen begehen. Denn da bedarf es keines Geldes und keiner Schätze, sondern nur einer tugendhaften Gesinnung. Du hast vielleicht kein Geld? Aber du hast die Furcht Gottes, und Das ist ein Schatz, der dich reicher macht als alles Gold der Welt, der auf Niemand übergehen, der niemals verbraucht, niemals erschöpft werden kann. Sieh den Himmel an, sieh den Himmel des Himmels, die Erde, das Meer, die Luft, die verschiedenen Arten der Thiere, die vielfältigen Gewächse, das ganze Geschlecht der Menschen; denke an die Engel, die Erzengel, die Heerschaaren des Himmels, S. 17 und dann erinnere dich, daß Dieß alles deinem Herrn gehört. Wie kann denn der Knecht eines so reichen Herrn arm sein, wenn sein Herr ihm gewogen ist?
Die Tagwählerei ist ein Ausfluß heidnischen Wahns und hat Nichts mit der christlichen Wahrheit zu schaffen. Dein Name ist eingetragen in das Verzeichniß der Himmelsbürger, du hast dich den Engeln zugesellt, und seitdem gehörst du zur himmlischen Gemeinde. Das Licht, das dort leuchtet, wandelt sich nie in Finsterniß, nie geht dort der Tag in nächtliches Dunkel über, der Tag und das Licht dauert für und für. Dahin laßt uns unablässig schauen! Denn Paulus sagt: „Was droben ist, suchet, wo Christus ist zur Rechten Gottes sitzend.“2 Mit dieser Welt, wo die Sonne auf und untergeht, die Zeiten und die Tage stetig wechseln, hast du Nichts gemein. Wenn du tugendhaft lebst, dann wird für dich die Nacht zum Tage, wie auch umgekehrt den Prassern, den Trunkenbolden und Wollüstlingen der Tag sich in nächtliche Finsterniß wandelt — nicht als ob für sie die Sonne verlöschte, sondern weil ihr Geist umnachtet ist durch das Laster der Unmäßigkeit. Solche Tage leidenschaftlich lieben, an ihnen sich mehr als sonst dem Vergnügen hingeben, auf dem Markte Laternen anzünden und Kränze winden — das sind kindische Thorheiten. Du hast dich doch von diesen Schwächen losgesagt, du zählst zu den Männern und bist sogar unter die Himmelsbürger gerechnet. Anstatt auf dem Markte ein sichtbares Licht anzuzünden, entzünde ein übersinnliches Licht in deiner Seele. Denn so sagt der Herr: „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, auf daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der in den Himmeln ist.“3 Dieses Licht wird dir großen Lohn einbringen. Anstatt deine Hausthür zu bekränzen, befleisse dich eines solchen Wandels, daß einst die Hand des Erlösers deinem Haupte die Krone der S. 18 Gerechtigkeit aufsetze. Nichts geschehe vergeblich, Nichts in Gleichgültigkeit. So gebietet uns Paulus, Alles zur Ehre Gottes zu thun: „Ihr möget essen oder trinken,“ sagt er, „thut Alles zur Ehre Gottes.“4
Wie ist es denn möglich, sagt man, zur Ehre Gottes zu essen und zu trinken? Lade einen Armen zu Tische, mache dadurch Christum zu deinem Tischgenossen, dann wirst du zur Ehre Gottes essen und trinken. Aber nicht allein Das, sondern auch alles Andere will der Apostel zur Ehre Gottes gethan wissen, z. B. ausgehen und zu Hause bleiben — Beides um Gottes willen. Wie kann man denn Beides um Gottes willen thun? Wenn du in die Kirche gehst, wenn du am Gebete und am christlichen Unterrichte Theil nimmst, dann ist dein Ausgang zur Ehre Gottes. Ein anderes Mal kannst du zur Ehre Gottes zu Hause bleiben. Wie Das denn? Wenn du hörst, wie draussen in dem wilden, zügellosen Lärm die Teufel ihren Aufzug halten, wenn nichtswürdige, zuchtlose Menschen sich auf den Strassen drängen, dann bleibe zu Hause, halte dich fern von dieser Unordnung — und du bist zur Ehre Gottes zu Hause geblieben.
Zur Ehre Gottes kann man nicht bloß daheim bleiben, und ausgehen, sondern auch loben und tadeln. Wie kann man denn Jemand zur Ehre Gottes loben oder heruntersetzen? Manchmal sitzt ihr in eurer Werkstätte, und seht dann schlechte, nichtswürdige Menschen vorübergehen, die in ihrer Aufgeblasenheit hochmüthig um sich her sehen, einen ganzen Schwarm von Schmarotzern und Speichelleckern hinter sich haben, kostbare Kleider tragen, mit vielem Prunk umgeben sind — Menschen, die in ihrer Habsucht Jedermanns Gut an sich reissen. Wenn dann Einer sagt: Ist Das nicht ein beneidenswerther, ein glücklicher Mann? — S. 19 so fahr’ ihn an, schilt, stopf’ ihm den Mund, bedauere und beklage den Vorübergehenden: das heißt tadeln um Gottes Willen. Ein solcher Tadel ist für deine Kameraden eine Unterweisung in der christlichen Tugend und Weisheit, eine Mahnung, nicht so übermäßig an den Dingen dieser Welt zu hängen. Zu Demjenigen, der solche Worte geredet hat, sollst du sagen: Warum ist dieser Mensch denn glücklich? Weil er einen goldgezäumten Gaul hat, der Bewunderung erregt? weil er viele Sklaven besitzt, einen prächtigen Rock trägt und alle Tage beinahe erstickt in Unmäßigkeit und Wollust? Deßwegen ist er gerade zu bedauern, zu beklagen, unendlich zu beweinen. Ich sehe, daß ihr an ihm selbst Nichts zu loben findet, und nur lobt, was um ihn und neben ihm ist und nicht zu seiner Person gehört, z. B. seine Pferde, Zügel, Kleider. Nein, einen elendern Menschen gibt es nicht. Sein Pferd und der Zügel seines Pferdes, die Schönheit seiner Kleider, die Wohlgestalt seiner Sklaven wird bewundert — er selbst geht vorüber und wird nicht gelobt. Niemand kann ärmer sein als dieser Mensch, der nichts Gutes und Schönes recht zu eigen hat, Nichts, was er aus dieser Welt mitnehmen kann, und sich nur allein mit fremden Federn schmückt. Denn der Schmuck und Reichthum, der wahrhaft unser eigen ist, besteht nicht in Kleidern, Rossen oder Sklaven, sondern in der Tugend des Herzens, im Reichthum an guten Werken, in der Freundschaft mit Gott.
