III.
Hören wir also nicht auf Forschungen! Gläubige heissen wir deßhalb, damit wir dem Gesagten zweifellos glauben und in keiner Weise schwanken. Freilich, wenn das Gesagte Menschenworte wären, dann müßte man sie prüfen; wenn aber Gotteswort, dann hat man sich bloß zu beugen und zu glauben. Glauben wir es nicht, dann glauben wir auch nicht an die Existenz Gottes. Denn wie kannst du Etwas von der Existenz Gottes wissen, wenn du Argumente von ihm verlangst? Dieß ist der erste Beweis von der Erkenntniß Gottes, daß man an seine Worte glaubt ohne Zeugnisse und Beweise. Das wissen sogar die Heiden. Denn sie glaubten ihren Göttern, obschon dieselben für ihre Worte keine Beweise beibrachten. Warum? Weil sie dem Geschlechte der Götter angehörten. Man sieht, daß auch die Heiden Das wissen. Und was rede ich von Göttern? Sie thaten Das bei einem Menschen, einem Zauberer und Magier, bei Pythagoras meine ich: „Er selber hat’s gesagt“ (αὐτὸς ἔφα). Und auf den Tempeln war die Gestalt der Schweigsamkeit eingemeißelt; sie hielt den Finger an den Mund, und indem sie die Lippen zusammenpreßte, gebot sie allen Vorübergehenden Schweigen. Also die heidnischen Dinge waren so ehrwürdig, die unsrigen aber wären es nicht, im Gegentheile sie wären lächerlich? Die heidnische Religion unterliegt mit Recht der Forschung, — dahin ge S. 21 hören die wissenschaftlichen Kämpfe, das Bezweifeln und die logischen Operationen, — aber die unsere steht allem Dem ferne. Jene ist eine Erfindung der Menschenweisheit, diese wurde gepredigt durch die Gnade des heiligen Geistes. Jenes sind Lehrsätze der Thorheit und des Unverstandes, Dieses Dogmen der wahren Weisheit. Dort gibt es nicht Schüler und nicht Lehrer, sondern nur Forscher; hier muß Einer, sei er Lehrer oder Schüler, lernen von dem wahren Lehrer; er muß gehorchen, nicht zweifeln; glauben, nicht Syllogismen bauen. Durch den Glauben sind die Männer der alten Zeit berühmt geworden, und ohne ihn geht Alles zu Grunde. Und was rede ich von himmlischen Dingen? Auch wenn wir die irdischen betrachten, wird man finden, daß sie auf dem Glauben beruhen. Weder ein Vertrag noch eine Kunst noch irgend etwas Anderes wird ohne ihn bestehen. Wenn es aber hienieden, hier, wo Alles Täuschung ist, des Glaubens bedarf, um wie viel mehr in himmlischen Dingen. Am Glauben also wollen wir festhalten, ihm wollen wir nachgehen! Auf diese Weise werden wir die verderblichen Lehrsätze aus unserer Seele entfernen, z. B. die fatalistische Weltanschauung.1 Glaubst du, daß es eine Auferstehung und ein Gericht gibt, dann wirst du alles Das aus deinem Herzen entfernen können. Glaube, daß Gott gerecht ist, und du wirst nicht glauben, daß es ein ungerechtes Fatum gibt! Glaube an die Vorsehung, und du wirst nicht glauben, daß das Fatum Alles beherrscht! Glaube, daß es Hölle und Himmel gibt, und du wirst nicht glauben, daß das Fatum unsere Persönlichkeit aufhebt und uns dem Zwang und der Nothwendigkeit S. 22 unterwirft! Säe nicht, pflanze nicht, thue keinen Kriegsdienst, thue überhaupt Nichts mehr! Das Fatum hat ja jedenfalls seinen Lauf mit und ohne deinen Willen! Was brauchen wir weiter Gebete? Warum willst du ein Christ sein, wenn das Fatum regiert? Es gibt ja kein Gericht mehr für dich! Woher kommen die technischen Fertigkeiten? Vom Fatum? Ja, heißt es; es ist eben Dem oder Jenem vom Fatum bestimmt, daß er durch eigenes Bestreben Etwas lerne. Zeige mir aber Einen, der irgend eine Kunst gelernt hat ohne eigenes Bestreben! Du kannst es nicht. Also liegt es nicht an dem (zwingenden) Fatum, sondern an dem (freien) Bestreben. Warum, sagt man, ist Der oder Jener reich, obwohl ein Verbrecher und Schuft, indem er vom Vater das Erbe übernahm? Ein Anderer aber, der sich endlos abmüht, bleibt arm? Darauf läuft ja die ganze Argumentation immer hinaus, auf Reichthum und Armuth, nicht auf Laster und Tugend. Allein bei dieser Frage muß man nicht von solchen Dingen reden, sondern man muß zeigen, ob schon Einer, der guten Willen hat, ein schlechter Mensch, und Einer, der schlecht gesinnt ist, ein guter Mensch geworden ist. Wenn nämlich das Fatum eine Gewalt hat, dann muß es diese Gewalt an großen Dingen beweisen, an Laster und Tugend, nicht an Reichthum und Armuth. Und warum, heißt es weiter, ist Der und Der kränklich und der Andere strotzt von Gesundheit? Warum ist der Eine berühmt, der Andere verrufen? Warum geht dem Einen Alles nach Wunsch, dem Andern Alles krumm? Entsage der fatalistischen Weltanschauung, dann wirst du’s wissen! Glaube fest an Gottes Vorsehung, dann wird dir Das ganz klar sein! Ich kann es nicht, sagt man. Der Wirwarr in der Welt läßt den Gedanken an eine Vorsehung nicht aufkommen. Wenn Das Werke Gottes sind, wie kann ich denn glauben, daß Gott, der die Güte ist, einem Lüstling, einem Schuft, einem Geizigen Schätze in den Schoß wirft und dem Braven nicht? Wie soll ich Das glauben? Auf Thatsachen muß der Glaube beruhen. Ganz recht. Sind Das Werke eines gerechten S. 23 oder ungerechten Fatums? Eines ungerechten, sagst du. Wer hat nun ein solches in’s Dasein gerufen? Etwa Gott? Nein, antwortet man, es ist von Ewigkeit. Und wenn es von Ewigkeit ist, wie kann es in solcher Weise wirken? Das ist ein Widerspruch! Also Gott ist ganz und gar nicht der Urheber von diesen Dingen. Gut, untersuchen wir: Wer hat den Himmel geschaffen? „Der blinde Zufall.“ Wer die Erde? wer das Meer? wer die Jahreszeiten? Also bei den leblosen Dingen hat der blinde Zufall eine so schöne Ordnung bethätigt, eine solche Harmonie, bei uns aber, derentwegen Alles da ist, solche Mißverhältnisse? Gerade als ob Einer für ein Haus Sorge trüge, daß es ganz vortrefflich sei, für die Bewohner aber nicht. Wer wacht über den Wechsel der Jahreszeiten? Wer hat die wohlgeordneten Naturgesetze gegeben? Wer hat den Lauf von Tag und Nacht vorgezeichnet? Das sind Dinge, die über jenen blinden Zufall hinausgehen. Nein, erwidert man; Das ist von selber so geworden. Wie könnte eine so schöne Ordnung von selber entstehen! Woher also, frägt man, kommen die reichen, gesunden, berühmten Leute, reich theils durch Geiz, theils durch Erbschaft, theils durch Gewaltthat? Warum hat Gott zugegeben, daß die schlechten Menschen glücklich sind? Weil es sich nicht in dieser Welt um Belohnung und Bestrafung nach Verdienst handelt, sondern erst im Jenseits. Dort zeige mir einen solchen Fall! Einstweilen will ich’s hier auf Erden haben, sagt man; was im Jenseits geschieht, darum kümmere ich mich nicht. Allein deßhalb bekommst du das irdische Gut nicht, weil du dich (gerade darum) so kümmerst. Wenn du schon ohne den Genuß desselben dich so sehr darum kümmerst, daß du es dem jenseitigen vorziehst, so wäre es noch viel ärger, wenn du in lauter Genuß schwimmen würdest. Das beweist dir also, daß irdisches Gut Nichts ist, daß es gleichgiltig ist. Denn wenn es nicht gleichgiltig wäre, so hätte Gott dasselbe auch den Andern mitgetheilt. Sage mir, ist es nicht etwas Gleichgiltiges, schwarz zu sein oder klein oder groß? So verhält es sich auch mit dem Reichthum. S. 24 Sage mir, was die nothwenigen Dinge betrifft, sind sie nicht Allen gleichmäßig verliehen, z. B. die Disposition zur Tugend, die Vertheilung der Geistesgaben? Wenn du die Wohlthaten Gottes kennen würdest, dann würdest du nicht, während du an geistigen Gütern gleichen Antheil hast, wegen der materiellen dich alteriren und würdest nicht Angesichts der Gleichstellung in Bezug auf erstere nach einem Mehrbesitz bei den letzteren trachten. Es ist Das gerade, als wenn ein Knecht, welcher vom Herrn Nahrung, Kleidung und Wohnung hat und in allem Übrigen gerade so gehalten wird wie seine Mitknechte, sich den Anderen gegenüber Etwas darauf zu Gute thun würde, wenn er mehr Haare auf dem Kopf oder längere Nägel besäße. Auf dieselbe Weise bildet sich also auch der oben geschilderte Mensch umsonst Etwas auf solche Dinge ein, die er nur eine Zeit lang genießen darf. Deßhalb hat Gott uns diese Dinge versagt, damit er diesen rasenden Durst nach denselben in uns auslösche, damit er das Verlangen, das auf sie gerichtet ist, zum Himmel ablenke. Wir kommen ja nicht einmal so zur Vernunft. Gleichwie der Vater, wenn das Kind ein Spielzeug hat und sich mit demselben mehr abgibt als mit den nothwendigen Dingen, ihm das Spielzeug wegnimmt, damit er es auch wider seinen Willen zum Rechten hinlenke: so thut auch Gott Alles, um uns zum Himmel emporzulenken. Warum läßt also Gott die Schlechten reich werden? frägst du. Weil er sich um dieselben nicht mehr viel kümmert. Und warum die Gerechten? Er macht sie nicht selber reich, er gestattet bloß, daß sie es sind.
Ich habe über diesen Punkt für jetzt nur flüchtig zu euch gesprochen als zu Leuten, welche die hl. Schrift nicht kennen. Wenn ihr aber den Worten Gottes Glauben und Gehör schenken wolltet, dann würde ich darüber kein Wort zu verlieren brauchen. Aus der Schrift könnten wir Alles lernen. Und damit du lernest, daß der Reichthum Nichts ist, sowie Gesundheit und Ruhm, so weise ich dich hin auf Viele, die einen Geldgewinn machen könnten und es nicht S. 25 thun, auf Viele, die gesund sein könnten und ihren Körper abmagern lassen, auf Viele, die Ruhm ärnten könnten und Alles aufwenden, um gering geachtet zu werden. Einen Menschen aber, der gut ist und schlecht werden möchte, gibt es nicht. Also hören wir auf, nach den Gütern dieser Erde zu streben und streben wir nach den himmlischen! Auf diese Weise können wir derselben auch theilhaftig werden und in die ewigen Freuden eingehen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater und zugleich dem hl. Geiste sei Lob, Ruhm und Ehre jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen.
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Chrysostomus polemisirt hier wie öfters gegen eine materialistischfatalistische Weltanschauung (γένεσις καὶ εἱμαρμένη). Wir übersetzen γένεσις mit „Fatum“ oder „blinder Zufall“, insofern mit diesem Worte eine Personifikation der Welt als absolutem Werden (γένεσις), als ewigem, nothwendigem Proceß ausgedrückt ist. ↩
