IV.
Höre, welche weise Betrachtungen die hl. Schrift über Job anstellt! Höre, was der hl. Paulus verlangt: „Weinen mit den Weinden“ und „Herablassung zu den Niedrigen,“1 Theilnahme für die Trauernden pflegt die Trauer zu stillen. Wie bei einer Last für den ächzenden Träger eine Erleichterung eintritt, wenn ein Anderer mitträgt, so auch in allen übrigen Dingen. Nun aber, wenn Jemand von unseren Hausgenossen stirbt, so haben wir viele Besucher, viele Tröster; wenn ein Esel stürzt, helfen wir ihm auf; fallen aber die Seelen unserer Brüder, dann machen wirs nicht wie beim Esel, wir übersehen sie und laufen daran vorbei. Und sehen wir den Mitbruder schon angetrunken in eine Kneipe treten, so halten wir ihn nicht zurück; wir S. 263 haben kein abmahnendes Wort, wenn er sich betrinkt, oder wenn er etwas anderes Ungehöriges thut, im Gegentheil, wir halten sogar mit. Deßhalb spricht Paulus: „Sie thun Das nicht bloß selbst, sondern halten es auch mit Denen, welche es thun.“2 Die Meisten gesellen sich zusammen zum Trinken und Zechen. O Mensch, stifte lieber Gesellschaften zur Beseitigung der Trinkwuth. Für Gefangene, für Bedrängte sind solche Vereine am Platz. Etwas Aehnliches hat Paulus auch den Korinthern aufgetragen: „Es sollen nicht erst bei meiner Ankunft Sammlungen veranstaltet werden.“3 Nun aber veranstalten wir für Trinken, Essen und Schwelgen alles Mögliche: da ist das Ruhebett, der Tisch, der Wein, die Kasse gemeinschaftlich! Almosen aber geben wir nicht in Gesellschaft. Solche Vereine gab es in apostolischen Zeiten: Alles, was sie hatten, legten sie in die gemeinsame Kasse. Ich aber will nicht Alles haben, sondern nur einen Theil. Was Einem beliebt, heißt es, bestimme er für einen Sabbath, um gleichsam für die sieben Tage eine Steuer zu geben, und lege es zurück! Und so gebe man Almosen, sei es groß oder klein. „Du wirst nicht mit leeren Händen vor Gott erscheinen,“ heißt es in der Schrift.4 So wurde den Juden gesagt, um wie viel mehr dann uns! Deßhalb stehen die Armen vor den Thüren (der Kirche), damit Keiner mit leeren Händen hineingehe, daß er mit Almosen eintrete. Du gehst hinein, um Erbarmen zu finden! Fühle es erst selber! Wer später kommt, ist mehr schuldig; wenn wir den Anfang machen, dann legt der Zweite noch mehr ein. Mach’ dir Gott zum Schuldner und dann stelle deine Forderung! Erst spende, dann verlange, damit du mit Zinsen erhältst! Gott will Das, und er tritt nicht zurück. Wenn du mit Almosen bittest, dann ist er dir geneigt; wenn du mit Almosen Etwas verlangst, dann leihst du aus und erhältst Zinsen. Ja, ich bitte (dieß zu thun)! Nicht das Ausstrecken S. 264 der Hände schafft Erhörung. Strecke deine Hand aus, aber nicht zum Himmel, sondern zu den Händen der Armen. Wenn du deine Hand ausstreckst zu den Händen der Armen, dann greifst du damit an den Himmel. Wenn der dort oben sitzt, der nimmt das Almosen in Empfang. Streckst du sie leer empor, so hast du keinen Nutzen. Sage mir, wenn der König in seinem Purpur vor dich hinträte und betteln würde, gäbest du nicht mit Freuden deine ganze Habe weg? Nun aber, wo du nicht von einem irdischen, sondern von dem himmlischen König durch die Armen angebettelt wirst, stehst du mit abgewandten Augen da und schiebst das Gehen auf? Und welche Strafe verdienst du dafür? Ja, nicht im Ausstrecken der Hände, nicht im Schwall der Worte, sondern in den Werken liegt die Erhörung. Höre, was der Prophet spricht: „Wenn ihr eure Hände ausstreckt, werde ich meine Augen von euch abwenden, und wenn ihr euere Bitten häufet, werde ich euch nicht erhören.“5 Denn wer des Erbarmens bedarf, der soll schweigen und nicht einmal die Augen zum Himmel aufschlagen; nur wer Vertrauen hegt, der kann viele Worte machen. Wie heißt es in der Schrift? „Schaffet Recht der Waise und dem Armen, beschützet die Wittwe und lernt Gutes thun.“6 Auf solche Weise werden wir Erhörung finden können, auch wenn wir die Hände herabhängen lassen, wenn wir kein Wort sprechen und Nichts erlangen. Solches also wollen wir mit Eifer thun, damit wir der verheissenen Seligkeit theilhaftig werden.7
