I. Die Schrift von „Göttlichen Namen“
Bezüglich der allgemeinen Daten über den sog. Dionysius Areopagita und seine Schriften sei auf Bardenhewers klare und übersichtliche Zusammenstellung verwiesen1. Hier nur einige zweckdienliche Bemerkungen über das Werk „De Divinis Nominibus“ (περὶ θείων ὀνομάτων) insbesondere. Nicht über die göttlichen Namen im weitesten Umfange will Dionysius seine spekulativ-mystischen nähern Belehrungen darbieten, sondern nur über eine Anzahl der hervorragendsten, die Gott in der Heiligen Schrift beigelegt werden. Er wird da genannt der Eine und Dreifaltige (Unus et Trinus), der Seiende, der Gute, der Schöne, der Liebenswerte, der Mächtige, der Gerechte usw. Die Abhandlung bildet, wie schon erwähnt, den Grundstock der Areopagitika. Allerdings gibt sich Dionysius den Anschein, daß er vor DN. schon eine noch ausführlichere Abhandlung über ein verwandtes Thema, „Theologische Grundlinien“ (θεολογικαὶ ὑποτυπώσεις) verfaßt habe, aber diese Angabe verdient nebst einigen andern Bemerkungen über seine weitere Schriftstellern keinen Glauben, weil er mit sich selbst in offenbare Widersprüche gerät (Bardenhewer a. a. O. 285ff.).
Der Titel vorliegender Hauptschrift des Dionysius ist durch Textstellen DN. I 1 und MTh. III hinreichend gesichert, aber lange vor ihm war er schon bekannt und verwendet.2 Man suchte ehedem aus den Namen durch naive etymologische Erwägungen Aufschluß über das Wesen der Götter zu gewinnen. Die Gottesnamen sind S. 6 nach Philo (Euseb, HE. II 17) „Spiegel“ und nach Proklus „Plastische Bilder“ der Götter. Dionysius betritt denselben Weg, wenn er den Namen Gott und andere Namen erklären will. So spricht er nach Aufzählung verschiedener Bezeichnungen Gottes von ἀγάλματα θεωνυμιῶν (divinorum nominum simulacra).3 Grundsätzlich betrachtet er die in der Hl. Schrift vorkommenden Gottesnamen unter diesem Gesichtspunkt.4 In dem Werke über die „Himmlische Hierarchie“ sieht sich Dionysius bei der Erklärung der Engelnamen in Ermangelung positiver Überlieferung vor allem auf dieses Mittel angewiesen. Jeder Name der himmlischen Geister enthält einen Aufschluß über gottähnliche Eigentümlichkeiten eines jeden (Engels) CH. VI 2; VII 1. Wie sehr sich Dionysius hierbei in synonymen Wendungen und Tautologien abquält, mag man z. B. bei den Bezeichnungen θρόνοι, δυνάμεις, κυριότητες u. a. ersehen. Er ist sich auch seiner Fertigkeit in diesem Verfahren wohl bewußt und erinnert zum Beweise auf sein (nicht vorhandenes!) Werk über die „Symbolische Theologie“; diese sei eine „gute Deutung“ aller sinnbildlichen Bezeichnungen.5 Die kirchlichen Schriftsteller (Origenes, Gregor von Nazianz u. a.) hatten natürlich auch Gelegenheit und Veranlassung, über die Namen Gottes zu sprechen.6 Interessant ist die derbe Abfuhr, welche Gregor von Nyssa dem aus Platons Kratylos „läppische Flicken“ stehlenden Eunomius bereitet, mit denen derselbe aus den Namen Beweise für seine Irrlehre entnehmen will M. 45, 1045 f. —
Das Werk DN. gibt sich gleich den andern drei Abhandlungen CH., EH., MTh.) als eine dem „Mitpresbyter Timotheus gewidmete Schrift des priesterlichen Verfassers. Man wird nicht umhin können, diese an den heiligen Paulusschüler gerichtete Adresse als pseudepigraphisch zu betrachten, denn der gleiche Timotheus wird an drei Stellen deutlich als Bischof S. 7 bezeichnet.7 Auffälligerweise spricht Dionysius ihn an παίδων ἱερῶν ἱερώτατε „heiligster Sohn unter heiligen Söhnen“. Es sei erlaubt, hier auf „Scholastik“ III (1928) S. 12 f. hinzuweisen, wo ich versucht habe, den Lieblingsschüler des Severus, Petrus von Cäsarea, mit diesem „Timotheus“ zu identifizieren. Die Fiktion, nach der Dionysius ein Zeitgenosse des heiligen Paulus sein will, erklärt hinreichend, warum er auch für die andern Adressaten seiner Briefe Namen aus jener frühern Periode gewählt hat. Zugleich möge hier schon an das erinnert werden, was wir „Scholastik“ a. a. O. S. 20 f. über die Beziehungen der areopagitischen Schriften zum berüchtigten Henotikon beigebracht haben. Nach unserer Voraussetzung sind die aszetisch-mystischen Schriften des Dionysius, insbesondere DN., in Mönchskreisen (Majuma!) von Dionysius verfaßt worden, um zur Belehrung von Neugetauften (ψυχαὶ νεοτελεῖς) zu dienen. Dionysius-Severus war von Anfang seiner Bekehrung an einem gemäßigten Monophysitismus zugetan. Als er schon ein bedeutendes Ansehen in der Mönchswelt seiner Zeit erlangt hatte, wurde die Frage über das Verhältnis der beiden Naturen in Christo brennend, und da der Kaiser Anastasius (491—518) auf eine kirchenpolitische Ausgleichung der Gegensätze hinarbeitete, glaubte er in Dionysius-Severus den geeigneten Mann zu finden, der seine irenisch gehaltene Schriftstellerei in den Dienst des kaiserlichen Henotikon, einer verschwommenen Einigungsformel, zu stellen vermöchte. „Es bedurfte nicht mehr vieler Modifikationen“, so schrieben wir „Aszetik“ III S. 179, in der bereits vorhandenen Schriftenmasse des Ps-Dionysius. An geeigneten Orten konnten die irreführenden Lichter, die in die apostolische Zeit hinaufweisen, aufgesteckt wer- S. 8 den, und viele Spuren, die allzu deutlich zeitgenössische Verhältnisse verrieten, waren zu verwischen, wobei allerdings manches einem prüfenden Blick Verdächtige stehen blieb. Beachtenswert ist auf jeden Fall, daß gerade solche Stellen, die am aufdringlichsten das apostolische Zeitalter vortäuschen, als Einschiebsel in den Text erscheinen und stilistisch unangenehm wirken. Es sei auf DN. III 2 verwiesen, wo die lange Parenthese über die Anwesenheit der Apostel bei der Schau des „gottaufnehmenden Leibes“ einem fast den Atem benehmen möchte. Auch die Parenthese CH. IX 3, die von der Bekehrung des Dionysius aus dem Heidentum handelt, kommt abrupt in den Zusammenhang. Die Anspielung auf die Sonnenfinsternis bei der Kreuzigung Christi (Ep. VII 2), die Dionysius mit seinem Freund Apollophanes beobachtet haben will, verrät den Charakter eines dreisten, dem Korpus der Schriften einverleibten Nachtrags, und das gleiche gilt von Ep. X, gerichtet an den Apostel Johannes auf Patmos. Selbst der Text von Ep. IV stellt sich als eine später angebrachte schärfere Fassung von DN. II 10 (Ende) dar, wo das vielbesprochene καινήν τινα ἐνέργειαν eingesetzt ist, das hinwieder von Severus aufgenommen und noch deutlicher in monophysitischem Sinne zugespitzt wird: μίαν ἐννοήσαμεν σύνθετον καὶ νοοῦμεν καινήν τινα τὴν θεανδρικὴν ἐνέργειαν (vgl. Aszetik III 175).
Was die sprachliche Form der Dionysischen Schriften betrifft, so ist an andern Stellen hinreichend darüber gesprochen worden. Den oft wörtlichen Entlehnungen aus neuplatonisch stilisierten Werken sucht sich Dionysius auch in der Darstellung seiner eigenen Gedanken anzugleichen, mitunter sie sogar zu überbieten. Es wimmelt in seinen metaphysischen Spekulationen von hypostasierten abstrakten Begriffen. Aus Platons Ideenlehre übernimmt er die Grundanschauung, daß alles Sein mit seinen unendlichen Differenzierungen nur insofern ein Sein besitzt, als es an der entsprechenden Idee Anteil hat. Jede logische Beziehung und auch das reine Sein hat zur Voraussetzung die betreffende Idee. Immerhin liebt es Dionysius, gelegentlich Gleichnisse aus dem gewöhnlichen Leben einzuflechten, die keines- S. 9 wegs immer originell sind. So veranschaulicht er die verschieden geartete Empfänglichkeit für die Mitteilungen des göttlichen Lichtes durch das Gleichnis vom Siegel, das, in sich immer ein und dasselbe, doch ungleiche Abdrücke liefert, je nachdem die Siegelmaterie (Siegelwachs) beschaffen ist (DN. II), Wie sehr sich Proklus mit diesem Gleichnis befaßt hat, zeigt Koch a. a. O. 248. Ergänzend kann darauf aufmerksam gemacht werden, daß Dionysius ganz minutiös das besser oder minder gelungene Prägebild beschreibt, das von der Beschaffenheit der Siegelmaterie abhängt. Auch darin liegt u. E. ein Fingerzeig, daß er früher mit Herstellung juristischer Dokumente beschäftigt gewesen ist. Auf die weiteren Bilder von der Sonne, den Radien des Kreises, der menschlichen Stimme, den physikalischen Gesetzen des Lichtes und Schalles u. a. werden wir im Anschluß an die Übersetzung der betreffenden Texte zurückkommen. Aus EH. IV, III 1 fügen wir ergänzend das Gleichnis vom Porträtmaler an, das dazu dient, die Nachbildung der göttlichen Schönheit in der Menschenseele zu illustrieren. Etwas umgebogen und aus Gregor von Nyssa (M. 44, 596) entlehnt erscheint das EH. III, III 6 verwendete Gleichnis, das die Praxis des Katechumenats beleuchtet. Man begegnet ihm heute wohl selten. Es ist von der Fehlgeburt (Frühgeburt) eines Menschen hergenommen.
„Weil die Katechumenen noch nicht das gottbegnadete Dasein besitzen, das aus der Wiedergeburt in der Taufe stammt, so müssen sie erst durch väterliche Belehrungen zur (geistigen) Entbindung gebracht und für die Annäherung an die Urquelle des Lebens und Lichtes ausgebildet werden. Sonst wäre die Gefahr einer geistigen Fehlgeburt zu besorgen. Wenn die fleischliche Leibesfrucht unausgetragen und unausgebildet als Frühgeburt … ausfällt, so bedeutet das ein lebloses, lichtloses Fallen zur Erde. Man wird nicht sagen, daß solche Wesen ans Licht gebracht seien, obwohl sie aus dem Dunkel des Mutterschoßes ausgeschieden sind.“ … Die Anwendung des realistischen Vergleiches ergibt sich leicht. Auch die Kirche wartet mit der Taufe, bis die Katechumenen zur vollen Reife gefördert sind.“
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Geschichte der altkirchlichen Literatur IV2 282—300. Vgl. die Einleitung zu meiner Übersetzung der „Himmlischen“ und „Kirchlichen Hierarchie“. ↩
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Vgl. Koch, S. 9 f.; 224 f. ↩
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τούτων τῶν θεωνυμιῶν ἀγαλμάτων DN. IX 1. ↩
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πᾶσαν ὡς εἰπεῖν τὴν ἱερὰν τῶν θεολόγων ὑμνολογίαν εὑρήσεις ἐκφαντοοικῶς καὶ ὑμνητικῶς τὰς θεωνυμίας διασκευάζουσαν. ↩
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Ep. IX 6 εὑρέτις ἀγαθή ↩
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Vgl. meine Übersetzung CH. VI 2 A. 1. ↩
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EH, I 1 mahnt Dionysius den Empfänger Timotheus, die ihm gewidmeten Erklärungen der kirchlichen Riten nur „den Heiligen der Heiligen“, d. h. den Bischöfen, mitzuteilen (ὅρα ὅπως οὐκ ἐξορχήσῃ τὰ ἅγια τῶν ἁγίων κτλ.) EH. VII, III 11 ergeht an Timotheus die Aufforderung δεῖ τὴν σὴν ἱεραρχικὴν σύεσιν μὴ χαλεπαίνειν. EH. IV, III 12 wird ihm bischöfliche Einsicht beigelegt τοῦτο δὲ ἱεραρχικῶς ἐννόησον. Dionysius über seine eigene Stellung DN. III 2; XIII 4. ↩
