III. Beziehungen des Dionysius zur kirchlichen Umwelt1
Von Interesse ist die Begründung, mit der Dionysius seine schriftstellerische Tätigkeit rechtfertigt DN. III 2. Er fühlt nicht bloß in sich selbst ein unwiderstehliches Verlangen, in der übersinnlichen Welt betrachtend zu verweilen, er glaubt sich vielmehr vor Gott verpflichtet, die Früchte seiner Beschauung den Mitmenschen mitzuteilen, die weniger Muße und Anlage besitzen, sich in S. 14 die göttlichen Geheimnisse zu versenken. Ohne einer Ermüdung nachzugeben, hat er sich deshalb an die Abfassung der vorliegenden Schrift (DN.) gemacht. — Bei Belehrung über die Taufe schildert er musterhaft, wie die Gesinnung des das Sakrament spendenden Bischofs ganz und gar die Gefühle des „Guten Hirten“ widerspiegeln soll EH. II, III 3. „Er ist ein Nachahmer Gottes, von ganzem Herzen bereit, den Ankömmling zu erleuchten. Ohne Mißgunst, ohne unheiligen Zorn über die frühere Abtrünnigkeit oder Maßlosigkeit des Täuflings zu kennen, läßt er gotterfüllt die Strahlen seiner lichtvollen Unterweisungen allzeit den Katechumenen leuchten usw.“ — Besonders charakteristisch ist die zum Verzeihen geneigte Nachsicht gegen einen reuigen Sünder Ep. VIII. „In Milde belehrt ja Christus selbst die Widersacher der göttlichen Lehre, daß man die Unwissenden aufkläre, nicht aber, daß man sie schlage, wie wir auch die Blinden nicht schlagen, sondern an der Hand führen.“ Im gleichen Briefe weiß Dionysius auch strenge Töne gegen den fanatischen Mönch Demophilus anzuschlagen, der eigenmächtig und herzlos einen Pönitenten von dem Priester, der ihn absolvieren wollte, hinwegstieß. Das ganze umfangreiche Schreiben ist ein Meisterstück. Psychologische Feinheit, schlagende, auf biblisches Material gestützte Argumentation, überlegener, autoritativer Ton, scharfe Zurückweisung in die untergeordnete hierarchische Stellung des Laienmönchs und doch wieder versöhnlich ausklingende Gedanken und Beispiele durchziehen die Epistel. Sie gehört, wie es scheint, an eine andere, öffentliche Adresse, an die Mönchswelt überhaupt in der um jene Zeit die Aspirationen auf Ausübung der Absolutionsgewalt recht lebendig waren.2 —Schöne Ermahnungen zum Frieden in der Kirche sind DN. XI 5 an die Öffentlichkeit gerichtet, an Menschen, welche von den Segnungen des Friedens nichts wissen wollen, sondern an Streit und Zorn ihre Freude haben. Wie sehr Dionysius für die Hoheit und Schönheit des kirchlichen Organismus begeistert ist, S. 15 verrät er u. a. CH. VIII 2. „Wenn sich ihr (sc. der himmlischen Hierarchie) die Ordnung unserer Hierarchie nach Möglichkeit verähnlicht, so wird sie die Engelschöne wie im Abbilde besitzen.“ Vgl. CH. II 3, wo die kirchliche Hierarchie mit der himmlischen in Parallele gesetzt wird, ein Zug, der allerdings schon vor Dionysius bei Klemens von Alexandrien sich findet (s. Strom. 6, 13).
Die Eingangsworte zu EH. (I 1) erwecken den Eindruck, daß Dionysius es als seine heilige Aufgabe betrachtet, seine den Bischöfen gewidmeten Erklärungen über die kirchliche Hierarchie aus den ,,überweltlichen, hochheiligen Schriftworten“ zu entnehmen. An ihnen muß er das Gesagte für diejenigen nachweisen, welche kraft der hierarchischen Mysterien und Überlieferungen zum Weihegrad der heiligen Mystagogie (des höhern sakramentalen Dienstes) konsekriert worden sind. Ihnen allein, den Heiligen der Heiligen (d. i. den Bischöfen), darf Timotheus auf heilige Weise mit heiliger Erleuchtung (von den geheimen Lehren) mitteilen. … „Uns aber schenkt Jesus die heilige Gewalt des göttlichen Priestertums. Indem wir dieses betätigen, gelangen wir selbst in größere Nähe der über uns stehenden Wesen, und zwar durch die möglichste Verähnlichung mit dem Beharrlichen und Unveränderlichen ihres Zustandes. Wir werden, mit der Erkenntnis der geschauten Dinge erleuchtet, in den Stand gesetzt werden, nicht nur selbst in das Heiligtum der mystischen Wissenschaft einzutreten, sondern auch Führer dahin zu sein. Wir werden in uns selbst lichtgestaltig werden und göttliche Wirksamkeit in andern entfalten. Wir werden selbst zur Vollendung gelangen und zugleich zu Lehrern der Vollkommenheit ausgebildet werden.“ Offensichtlich umschreibt hier Dionysius den Charakter und die Tätigkeit des bischöflichen und priesterlichen Standes und bekennt sich voll hohen Standesgefühls zu dem letztern, der ihm selbst den mystischen Aufstieg durch Läuterung, Erleuchtung und Vollendung ermöglicht und ihn zur Emporführung anderer befähigt.
Ein von der priesterlichen Würde und von Verant- S. 16 wortlichkeitsgefühl durchdrungener Mann scheint auch EH. III. III 14 zu warnen, wenn es in ernstem Tone heißt: „Diejenigen, welche das göttliche Lehramt verwegen ausüben, bevor sie ihren eigenen Lebenswandel und Zustand damit in Einklang gebracht haben, sind unrein und geradezu von der heiligen Amtshandlung ausgeschlossen. Es geht da wie mit den Sonnenstrahlen. Wie die feinern und durchsichtigem Substanzen zuerst mit dem einströmenden Licht der Sonne erfüllt werden und dann nach Art neuer Sonnen das sie ganz überflutende Licht den Gegenständen der nächstfolgenden Ordnung vermitteln, so darf es keiner wagen, andern ein Führer zum göttlichen Lichte zu sein, wenn er nicht in all seinem Verhalten ganz und gar gottähnlich gestaltet und durch Gottes Inspiration und Urteil zum Vorsteher bestellt ist.“3
Kirchlich-praktischen Sinn verraten die Bemerkungen, die Dionysius im 7. Kapitel der kirchlichen Hierarchie über die Bestattung der im Herrn Verstorbenen einfließen läßt.4 Nach einer energischen Abwehr der falschen Ansichten über den Tod (EH. VII, I 2) schildert er das glückliche Sterben der Gerechten. „Sie wissen, daß sie nach ihrem ganzen Wesen die Ruhe in Gott finden werden, wenn sie ans Ende dieses Lebens gelangen, und sehen den Pfad zu ihrer Unsterblichkeit, weil bereits näher gerückt, in hellerem Lichte…“ Denjenigen dagegen, welche voll Flecken und unheiliger Makeln sind und keine heilige Belehrung angenommen haben, werden beim Sterben die Augen aufgehen. „Jämmerlich und gegen ihren Willen werden sie aus dem Leben gerissen, und kein heiliger Hoffnungsstrahl dient ihnen als Führer.“ Die Ungläubigen haben für die tiefsinnigen Zeremonien der Beerdigung kein Verständnis und würden bei ihrem Anblick in höhnisches Lachen ausbrechen. Kein Wunder, denn wo kein Glaube, da kein Verstehen. „Wir aber schauen den geistigen Sinn der Zeremonien, weil Jesus uns mit seinem Lichte vor- S. 17 aufgeht, und so wollen wir behaupten, daß der Hierarch mit gutem Grunde den Entschlafenen an den Ort bringen und niederlegen läßt, der dem Stande desselben entspricht“ l. c. VII, III 1. — Ganz annehmbar, gemäß der alten Kirchendisziplin, rechtfertigt Dionysius die Gepflogenheit, die Katechumenen nach den Lesungen und Psalmengesängen der Totenfeier zu entlassen, die Energumenen und Büßer dagegen auch bei den übrigen Teilen des Ritus zurückzuhalten. Auf die Einwendung, daß dem Verstorbenen die Gebete der Hinterbliebenen nichts mehr nützen können, weiß er eine korrekte Lösung zu geben.5 Das Recht, Unwürdige aus der Kirche auszuschließen, gesteht Dionysius den Hierarchen unbedingt zu, aber er unterläßt nicht zu sagen: es müssen die gotterfüllten Hierarchen sowohl der Trennungsgewalt als aller hierarchischen Vollmachten nicht willkürlich, sondern in der Weise sich bedienen, wie sie von der Urgottheit, der Urquelle aller geistlichen Funktionen, inspiriert werden l. c. VII, III 7.
In den Kreis praktischer Seelsorgsfragen gehört bei Dionysius auch die Gepflogenheit, die kleinen Kinder zu taufen und ihnen die heilige Kommunion zu reichen. EH. VII, III 11 gibt Dionysius gerne zu, daß die Außerkirchlichen es lächerlich finden, wenn unmündige Kinder von den Hierarchen gleichwie Erwachsene belehrt und der heiligen Mysterien teilhaftig gemacht werden, ja wenn sogar andere an ihrer statt abschwören und geloben. Es sind natürlich die Taufpaten gemeint. Dionysius mahnt nun den Adressaten Timotheus: „Deine hierarchische Einsicht soll über die Irrenden nicht zürnen, sondern mit Ehrfurcht und Liebe auf ihre Einwendungen antworten.“ Der Taufpate verpflichtet sich, als geistlicher Vater des Kindes für dessen religiöse Erziehung zu sorgen EH. VII, III 11.
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Eingehendere Ausführungen siehe in den Artikeln: „Dionysius und Severus“ (Scholastik III 1928), ferner „Aszese und Mystik des sog. Dionysius Areopagita“ (Scholastik II 1927). Ein interessanter Brief des kirchlichen Altertums (Ep. VIII). Zschr. f. kath. Theol. XXIX (1900). ↩
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Vgl. „Untersuchungen zur griechischen Laienbeicht“, von Dr. Jos. Hörmann, S. 273f. S. unten die beigegebene Übersetzung mit eigener Einleitung. ↩
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Vgl. CH. XIII 3, wo dasselbe physikalische Gleichnis benutzt wird, um die erleuchtende Einwirkung der höhern Engel auf die niedern zu zeigen. ↩
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Ergänzendes vgl. oben S. 9. ↩
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Sie beruht auf der Analogie: Wenn jemand in der entsprechenden Stimmung und Weise sich an einen frommen Mann wendet, um einen Mithelfer zu gewinnen, so wird er eines großen Gewinnes teilhaftig werden. Cyr. v. Jerusalem führt einen ähnlichen Einwurf mit ähnlicher Lösung an. M. 33, 1116 B. Vgl. Übersetzung der EH. S. 200. ↩
