Missionsauftrag
(23) So war ich denn nach etlichen1 Jahren wieder in Britannien bei meinen Eltern, die mich als ihren S. 23 Sohn aufnahmen und herzlich baten, ich sollte doch nach den Mühsalen, die ich ertragen hatte, nie wieder von ihnen fortgehen. Ich hatte nämlich in einem nächtlichen Gesicht einen Mann gesehen, der von Irland zu kommen schien — er hieß Victoricus — mit unzähligen Briefen. Er gab mir einen davon, und ich las den Anfang, der lautete: Die Stimme der Bewohner Irlands.... Und als ich den Anfang des Briefes las, glaubte ich im selben Augenblick die Stimme der Menschen zu hören, die im Fochlad-Walde nahe am Westmeer wohnen2• Und sie riefen wie aus einem Munde „Wir bitten dich, heiliger Knabe, daß du kommst und weiter unter uns wandelst." Ich war sehr erschüttert im Herzen und konnte nicht weiterlesen. Darauf erwachte ich. Gott sei es gedankt, nach vielen Jahren hat der Herr ihnen ihre Bitte erf üllt.
(24) In einer andern Nacht — ich weiß nicht, Gott weiß es, ob in mir oder nur in meiner Nähe — hörte ich ein formvollendetes Gebet, konnte es aber nicht verstehen, nur daß es zum Schluß hieß „Der seine Seele für dich hingegeben hat, er ist es, der in dir spricht." Darauf erwachte ich voll Freude.
S. 24 (25) Noch ein anderes Mal nahm ich wahr, wie es in mir betete — diesmal schien es mir, daß ich in meinem Korper sei —, und ich hörte es über mir, d. h. über dem innern Menschen, und dort betete es laut unter Seufzern. Da war ich voll Staunen und Verwunderung und dachte nach, wer wohl in mir beten mochte. Am Schluß des Gebetes sagte er jedoch, daß er der Geist sei. Da erwachte ich und erinnerte mich der Worte des Apostels: Der Geist kommt der Schwachheit unseres Gebetes zu Hilfe. Denn um was wir in gebührender Weise bitten sollen, wissen wir nicht, aber der Geist selber bittet für uns mit unaussprechlichen Seufzern, was mit Worten nicht ausgedrückt werden kann. Und ein andermal: Der Herr, unser Fürsprecher, bittet für uns.
(26) Und als ich vonseiten meiner Vorgesetzten auf die Probe gestellt wurde3, die kamen und S. 25 meine Sünden gegen mein mühereiches Bischofsamt vorbrachten — an jenem Tag wurde ich gar sehr gestoßen, um zu fallen hier und in Ewigkeit. Aber der Herr verschonte gütig den Eingewanderten und Fremdling um seines Namens willen. Er kam mir in dieser Bedrängnis kräftig zu Hilfe, so daß ich nicht jämmerlich in Schmach und Schande geriet. Ich bete zu Gott, daß es ihnen nicht zur Sünde angerechnet werde. (27) Nach dreßig Jahren fanden sie den Anhaltspunkt, und zwar in einem Bekenntnis, das ich gemacht hatte, bevor ich Diakon wurde. In Gewissensangst hatte ich kummervollen Hcrzens meinem vertrautesten Freund mitgeteilt, was ich in meiner Kindheit einen Tag, eigentlich nur eine Stunde, getan hatte, weil ich mich noch nicht in der Gewalt hatte. Ich weiß es nicht, Gott weiß es, ob ich damals schon fünfzehn Jahre zählte. Ebenso wie in meiner frühesten Kindheit glaubte ich damals nicht an den lebendigen Gott, sondern verharrte in Tod und Unglauben, bis ich kräftig gezüchtigt und in Wahrheit erniedrigt wurde durch Hunger und Blöße, und das Tag für Tag. (28) Ja, keineswegs freiwillig ging ich nach Irland, bis ich fast gänzlich vernichtet wurde. Aber es war gut für mich, denn da wurde ich vom Herm gebessert. Und er formte mich, so daß ich heute bin, was mir einst fern lag, nämlich daß ich mich um das Heil anderer S. 26 bemühe, während ich doch damals nicht einmal an mich selber dachte.
(29>An dem Tag nun, an dem ich von den oben bezeichneten Personen verschmäht wurde, hatte ich eine nächtliche Erscheinung. Neben meinem Gesicht stand etwas geschrieben, aber ohne ehrende Bezeichnung4. Und zugleich hörte ich einen göttlichen Bescheid, der mir sagte: „Wir sind unzufrieden mit dem Gesicht dessen, der mit dem bloßen Namen bezeichnet ist." Er sagte nicht: „Du bist unzufrieden", sondern: „Wir sind unzufrieden", weil er sich selbst eingeschlossen hatte. So wie er gesagt hat: Wenn einer euch antastet, ist es, wie wenn er den Apfel meines Auges antastet.
(30)Deswegen danke ich dem, der mich in allem gestärkt hat, daß er das Hindernis für die Reise, die ich beschlossen, und für das Werk, das mich Christus, mein Herr, gelehrt hatte, aus dem Wege räumte. Ich fühlte vielmehr von da an in mir eine nicht geringe Kraft, und mein Glaube wurde bestätigt vor Gott und vor den Menschen. (31) Deshalb spreche ich freimütig, ohne daß mich hier und in der Zukunft mein Gewissen tadelt. Ich habe Gott zum Zeugen, daß ich in den Berichten, die ich euch gab, nicht gelogen habe. (32) Schmerz S. 27 aber empfinde ich über meinen vertrauten Freund, daß ich diese Antwort zu hören bekam. Hatte ich ihm doch sogar meine Seele anvertraut! Ich habe von einigen Brüdern erfahren, daß er vor jener Verteidigung in meiner Abwesenheit — ich war nicht einmal in Britannien, und es kann nicht von mir ausgegangen sein —, daß er in meiner Abwesenheit für mich anklopfte.5 Auch mir hatte er selber ausdrücklich gesagt: „Du solltest zum bischöflichen Rang erhoben werden." Dessen war ich wohl nicht würdig. Aber woher kam ihm später der Gedanke, vor allen, Guten und Bosen, mich öffentlich zu beschämen, während er selber es mir früher aus freien Stücken und gern zugebilligt hatte, ebenso wie der Herr, der größler ist als alle.
(33) Ich habe schon genug gesprochen. Aber ich darf doch die Gabe Gottes nicht verbergen, die er uns im Land meiner Gefangenschaft geschenkt hat. Denn damals habe ich ihn eifrig gesucht, und dort habe ich ihn gefunden, und er hat mich bewahrt vor allen Ungerechtigkeiten. Davon bin ich überzeugt wegen seines Geistes, der in mir wohnt, und der bis heute in mir wirksam ist. Ich spreche wiederum mit Freimut. Aber Gott weiß, wenn es nur ein Mensch gewesen wäre, der mir dies sagte, so hatte ich mich wohl still verhalten wegen der S. 28 Liebe Christi. (34) Deshalb sage ich also unermüdlich meinem Gott Dank, der mir den Glauben bewahrt hat am Tag meiner Versuchung, so daß ich heute vertrauensvoll ihm meine Seele als lebendiges Opfer darbringe, Christus, meinem Herrn, der mich aus allen Nöten gerettet hat, so daß ich sage: Wer bin ich, Herr, und was ist meine Berufung, der du mir so viel Göttlichkeit enthüllt hast, daß ich heute unter den Völkern beständig deinen Namen erhebe und preise, wo immer ich bin, nicht nur, wenn es mir gut geht, sondern auch in der Not. Denn was immer mir zustößt, Gutes oder Böses, muß ich in gleicher Weise aufnehmen und Gott immer Dank sagen, der mir gezeigt hat, daß ich an ihn, den nicht bezweifelbaren, ohne Ende glauben soll, und der mich erhört hat, so daß ich Unwissender in den letzten Tagen dieses fromme und wunderbare Werk in Angriff nehmen durfte und als ein Geringer jenen nachfolgte, von denen der Herr schon lange vorausgesagt hatte, daß sie sein Evangelium verkünden würden zum Zeugnis für alle Völker vor dem Ende der Welt*. Das also hat sich, wie wir gesehen haben, erfüllt. Sind wir doch Zeugen, daß das Evangelium bis dorthin verkündet worden ist, wo es weiter hinaus niemanden gibt.
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In diese Jahre dürfte der sicher, aber ohne Zeitangabe bezeugte Aufenthalt des Patricius in Italien und besonders in der Mönchsgemeinschaft von Lérins fallen. Dort mochte sein religiöses Leben gefestigt und geformt worden sein, so daß er bei seiner Rückkehr in die Heimat auf die Berufung zur Mission innerlich vorbereitet war. ↩
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Den Fochlad-Wald dürfte Patricius bei seinem ersten irischen Aufenthalt, sofern die Überlieferung der Örtlichkeit richtig ist (siehe Einleitung S. 3), höchstens durch Erzählungen kennen gelernt haben. Wenn er nun die westlichsten Bewohner Irlands als Vertreter der Gesamtbevëlkerung reden hört, so liegt darin ein wichtiger Hinweis auf die Ausdehnung seines Missionsgebietes. ↩
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Die Widerstände, die Patricius zu überwinden hatte, gehen darauf zurück, daß man an seiner Bildung und anscheinend auch an seinem Charakter manches auszusetzen fand. Ein vertrauter Freund des Patricius hatte eine Sünde vorgebracht, die dieser als Knabe vor „dreißig Jahren" (runde Zahl!) begangen und später einmal seinem Freunde bekannt hatte. Daß man an seinen Bildungsmangeln Anstoß nahm, konnte Patricius verstehen (vgl. S. 8), aber der Vertrauensbruch hat ihn tief getroffen. — Diese Vorgänge dürften sich abgespielt haben, als sich Patricius um das „mühereiche Bischofsamt" bewarb, also vor dem Beginn der irischen Mission. Der Wortlaut der Texte schließt allerdings die von einigen Erklärern vertretene Auffassung nicht aus, daß sich Patricius, als er schon Bischof war, bei einem Aufenthalt in Gallien oder Britannien gegen die erwähnten Anschuldigungen verteidigen mußte. ↩
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Man wird sich wohl vorzustellen haben, daß Patricius eine in etwa den Heiligenmosaiken in den Apsiden byzantinischer Kirchen ähnliche bildliche Darstellung mehrerer Personen sah, wo neben jedem Kopf Name und Rang bezeichnet war. Bei seinem Namen jedoch fehlte die erwartete Bezeichnung „episcopus". ↩
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Der Freund hatte sich früher einmal, vielleicht als der Bischof Germanus in Britannien weilte (vgl. Einleitung S. 5) für Patricius eingesetzt. Um so unverständlicher ist diesem seine spätere Handlungsweise. ↩
