§ 3. Der Schriftsteller Makarius im Lichte der Literatur1.
S. 011 Das erste literargeschichtliche Zeugnis für ein von Makarius dem Ägypter stammendes schriftliches Dokument findet sich in dem 467—480 verfaßten Schriftstellerkatalog des Presbyters Gennadius von Marseille. Er weiß von dem berühmten, ägyptischen Mönche Makarius nur einen Brief an jüngere Mönche anzuführen. Er kennzeichnet ihn kurz nach seinem Inhalt, offenbar auf Grund persönlicher Lektüre2. Ein anderes Schriftstück von Makarius kennt er nicht. Makarius-Homilien sind ihm völlig fremd. Und doch, wie hätte ein so bedeutsames Schriftwerk dem Literarhistoriker entgehen können? Dazu kommt, daß Gennadius Semipelagianer war. Nun enthält das Homilienkorpus verschiedene semipelagianisch gefärbte Stellen, die auffallende Ähnlichkeit mit Stellen in den semipelagianischen Schriften eines Kassian, Faustus u. a. haben. Darum bestehen Verbindungslinien zwischen dem Homilienwerk und dieser semipelagianischen Literatur. Gleichwohl sind die Homilien dem Gennadius und den anderen Vertretern des Semipelagianismus gänzlich unbekannt. Das wäre undenkbar, hätten sie damals als geschlossenes Ganze existiert. Hätte nicht Kassian, der Kollator, der eine innige Vertrautheit mit der griechischen Sprache und Literatur bekundet und in persönliche Beziehungen zu den Vätern der Skete trat, von einem so gewaltigen Werke des Altvaters der sketischen Wüste Kunde erhalten müssen? Aber auch er gibt durch verschiedene Äußerungen3 genugsam zu erkennen, daß er von einem Homilienkorpus oder einem ähnlichen Schrifterzeugnis des Makarius nichts weiß. Desgleichen erwähnen die Schriftsteller, die über das Leben des sketischen Mönches berichten, Palladius, Rufinus, Evagrius, Sokrates, Sozomenus, nichts von einer literarischen Tätigkeit des Makarius. Asketische Schriftsteller, die der Zeit des Makarius nahe stehen, wie Isidor von Pelusium († um 440) und Nilus († um 430) deuten mit keiner Silbe dieses Homilienwerk an, das doch ganz in der Art und Sphäre ihres literarischen Schaffens liegt. Umgekehrt aber werden S. 012 seltenere Termini und Wendungen dieser Schriftsteller in den Homilien gebraucht. Ohne Beweiskraft ist das Zeugnis des Isaak von Ninive, eines gegen Ende des siebten Jahrhunderts4 lebenden Syrers, der in seinen asketischen Schriften sich auf Makarius als Gewährsmann beruft. Der byzantinische Schriftsteller Suidas, Mitte des zehnten Jahrhunderts, kommt auch auf Makarius den Ägypter zu sprechen. Er erwähnt jedoch von ihm keine Schriften, wohl aber solche von seinem Schüler Evagrius Pontikus5. Der erste und unzweifelhafte Zeuge für die Existenz von Makarius-Homilien ist Simeon Metaphrastes aus der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts. Wie oben erwähnt6, hat er sie zu sieben asketischen Abhandlungen verarbeitet. Der Patriarch Johann von Antiochien um 1100 spricht von einem „Buch des heiligen Makarius“7. Der Abt Johannes Trithemius († um 1516 zu Würzburg) zählt Makarius zu den Kirchenschriftstellern, Schriften von ihm führt er nicht an8.
Gegen Makarius als Verfasser der Homilien wendet sich mit Entschiedenheit der gelehrte Prämonstratenser Kasimir Oudin9, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. Die Homilien sind keine eigentlichen, an das Volk gehaltenen Vorträge, sondern ein Allerlei (farrago), eine private Sammlung und lose Zusammenstellung verschiedener Materien von der Hand eines Archimandriten, vielleicht des Markus Eremita in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. 2. Die Homilien lehren „den feinsten und reinsten Pelagianismus“. Nun war aber Makarius der Ägypter längst tot, als Pelagius mit seiner Irrlehre auftrat. Darum kann Makarius von Ägypten nicht der Autor sein. Oudin beruft sich auf den gelehrten Elias du Pin10 als Vertreter derselben Ansicht. Aus Unerfahrenheit habe Pritzius die Homilien dem Makarius zugeschrieben. Der anglikanische Kirchenhistoriker William Cave († 1713)11 vermutet Interpolationen von späterer Hand im Text und möchte Makarius dem Alexandriner die Autorschaft zuerkennen. Der berühmte Kirchenhistoriker Tillemont († 1698)12 will an der Echtheit der Homilien nicht rütteln. Gallandi13 tritt entschieden für die volle Authentizität ein. Daran habe bis auf Petrus Possinus14 niemand gezweifelt. Erst S. 013 dieser habe einen anderen Makarius, einen Genossen des Amathas und Schüler Antonius des Großen als Verfasser ausgedacht. Ihm gegenüber verweist er auf die Autorität der Gelehrten Cave, Pritzius und besonders Tillemont, die an der Echtheit festhalten. Desgleichen verwirft er die Ansicht Oudins, Markus Eremita sei der Autor. Der theologische Literarhistoriker Ceillier (O. S. B. † 1761)15 dagegen spricht das Homilienwerk Makarius dem Ägypter ab und drückt es ins fünfte Jahrhundert herab hauptsächlich deshalb, weil darin der Pelagianismus vorgetragen werde. Ebenso bekämpft der protestantische Theologe Joh. Salomon Semler († 1791) 16 aus äußeren und inneren Gründen die Echtheit der Homilien. Die geschichtliche Beglaubigung sei sehr schwach und ungenügend. Die zeitgenössischen wie späteren Schriftsteller schweigen. Ein so bedeutendes Werk wäre einem Hieronymus und Gennadius nicht unbekannt geblieben. Letzterer erwähne nur einen Brief von Makarius. Auch innere Kriterien sprechen gegen die Authentizität. Das Werk weise keine einheitliche Komposition auf, sondern sei ein Konglomerat. Das zeigen die vielen Wiederholungen, die in den Text eingestreuten, den Zusammenhang unterbrechenden Fragen, auf die nicht selten unpassende Antworten folgen, die vielfach keine Antworten zu sein scheinen.
Die neueren Forscher halten fast ausnahmslos an der Autorschaft Makarius des Ägypters fest, so Th. Förster17, R. Löbe18, Schiwietz19, C. Gore20 und J. Stoffels21. Bardenhewer22 urteilt: „Die äußeren Zeugnisse sind freilich ungenügend. Der Text aber scheint allerdings nach dem Ägypter zu rufen“. Allerneuestens nun haben C. Flemming23 und besonders J. Stiglmayr24 die Frage nach dem Verfasser der Homilien zum Gegenstand eingehender Forschung gemacht und beide sind zu dem Resultat gekommen, daß Makarius der Ägypter nicht der Autor des Homilienwerkes ist. Stiglmayr faßt das Ergebnis seiner gründlichen Untersuchungen in die vier Punkte zusammen: 1. Das Homilienwerk als Ganzes ist nicht in der sketischen Wüste in Ägypten entstanden. 2. Es kann nicht dem Abt Makarius von Ägypten zugeschrieben werden. 3. Es muß chronologisch über das S. 014 vierte Jahrhundert herab in spätere Zeit verlegt werden. 4. Es ist eine lose Zusammenstellung25. Sowohl die formale Redaktion wie der materielle Inhalt des Homilien-Werkes nötigen zu diesem Resultat. Im folgenden sollen die gewichtigen Gründe Stiglmayrs und Flemmings kurz angeführt werden.
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[Nr. 53:] C. Flemming l. c. p. 19, 23 sqq.; J. Stiglmayr, Sachl. und Sprachl. b. Mak. S. 1—13. ↩
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[Nr. 54:] De vir. ill. c. 10: Macarius monachus ille Aegyptius, signis et virtutibus clarus, unam tantum ad iuniores professionis suae scripsit epistulam . . . ↩
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[Nr. 55:] Stiglmayr a. a. O. S. 2 f., 4 f. ↩
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[Nr. 56:] Bardenhewer a. a. O. S. 88 f. ↩
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[Nr. 57:] Migne P. G. XXXIV 309. 310. ↩
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[Nr. 58:] S. IV. ↩
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[Nr. 59:] Περὶ μοναστικῆς διδασκαλίας [Peri monastikēs didaskalias]. Migne P. G. CXXXII 1125 A. ↩
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[Nr. 60:] Migne P. G. XXXIV 309. 310. ↩
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[Nr. 61:] Commentarius de scriptoribus et scriptis ecclesiasticis I (Lips. 1722), 476 ff. = Migne P. G. XXXIV 378 ff. ↩
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[Nr. 62:] Nov. Biblioth. Script. Eccles. T. II Saec. IV p. 70. ↩
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[Nr. 63:] Scriptor. ecclesiast. Hist. literaria I (ed. Basil. 1741), 256 f. = Migne P. G. XXXIV 383. 384 f. ↩
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[Nr. 64:] Mémoires pour servir à l’hist. ecclés. VIII (Paris 1713), 619. ↩
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[Nr. 65:] Proleg. in vit. et script. SS. Macarior. Aegyptii et Alexandrini = Migne P. G. XXXIV 371. 372 n. III. ↩
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[Nr. 66:] Proleg. ad Thesaur. Ascet. § VI = Migne P. G. XXXIV 334 ff. n. VI. ↩
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[Nr. 67:] Histoire générale des auteurs sacrés et eccl. VII (Paris 1738), 717. ↩
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[Nr. 68:] Specimen examinis critici operum quae ita feruntur Macarii etc. Halae Magdeburg. 1745. ― Dissertatio prior p. 7 sqq. = Migne P. G. XXXIV 265 ff. ↩
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[Nr. 69:] Makarius von Ägypten: Jahrb. f. deutsche Theol. 18, 1873, 439 ff. ↩
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[Nr. 70:] Makarius von Ägypten. Leben u. Lehre. Mit besonderer Berücksichtigung seiner ethischen Grundgedanken: Kirchl. Jahrb. f. d. Herzogtum Sachsen-Altenburg 6, 1900, 37 ff. ↩
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[Nr. 71:] A. a. O. S. 100. ↩
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[Nr. 72:] Über Makarius im Journal of theol. Studies VIII (1907), 90. ↩
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[Nr. 73:] A. a. O. S. 11 ff. ↩
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[Nr. 74:] A. a. O. S. 89. ↩
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[Nr. 75:] De Macarii Aegyptii scriptis quaestiones, Gottingae 1911. ↩
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[Nr. 76:] Sachliches und Sprachliches bei Makarius von Ägypten, Innsbruck 1912. ↩
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[Nr. 77:] A. a. O. S. IV. ↩
