Einführung in die Briefe der hl. Theresia
Wenn der Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet bei der vorliegenden Neuausgabe der Schriften der heiligen Theresia von Ávila entgegen der bisherigen Gepflogenheit dem »Leben« und dem »Buche der Klosterstiftungen« der Heiligen unmittelbar deren Briefsammlung folgen läßt, so will der Verlag damit nicht nur der großen Nachfrage des interessierten Lesepublikums nach den Briefen Rechnung tragen, sondern m. E. damit zum Ausdruck bringen, daß die Briefe der heiligen Theresia nur eine Weiterführung und Vertiefung der aus der Autobiographie und der Reformtätigkeit gewonnenen Kenntnisse über die Lebensumstände unserer Heiligen sind. In diesen Briefen offenbart sich die Heilige in einem ganz neuen Licht. Wenn wir sie in ihrer Autobiographie und in den »Klosterstiftungen« als die große Reformatorin des Karmelitenordens und als die bewährte Klostergründerin schauen, im »Weg der Vollkommenheit« und in der »Seelenburg« als die unerreichte Lehrerin der Mystik, so lernen wir in ihren Briefen ihre unendlich feine weibliche Psyche kennen, ihre mütterlich besorgte Liebe zu ihren geistlichen Töchtern, ihr in echt menschlicher Liebe schlagendes Herz für alle jene, die ihr besonders nahestanden, ihre männliche Energie, kurz, die wunderbare Schönheit und den Zauber ihrer gotterfüllten Seele. Ihre rein menschliche Gestalt wird uns in den Briefen nähergerückt als in ihren übrigen Schriften, da sie sich darin, zumal in denen an ihre nächsten Freunde und Familienangehörigen, in ihrer entzückend ungezwungenen Natürlichkeit gibt.
Der Erste, der auf die eigenartige Schönheit und den hohen Wert der Briefe der heiligen Theresia aufmerksam machte, war der besondere Freund der Heiligen und ihr großer Helfer im Reformwerk des Karmelitenordens, Pater Hieronymus Gracián, der in seinen »Dialogen über den Tod der Mutter Theresia von Jesu« (verfaßt um 1590, erstmals veröffentlicht von Pater Silverio de S. Teresa C. D., Burgos 1913) schreibt: »Wenn man die Briefe, die unsere heilige Mutter Theresia von Jesu an die verschiedenen Personen richtete, mit all den Lehren und Mahnungen, die darin enthalten sind, zusammenstellen würde, ergäbe das eines der vorzüglichsten und schönsten Bücher, die je geschrieben wurden ... Gleich einem Apostel Paulus ... leitet sie die von ihr gegründeten Klöster, indem sie sich brieflich an die einzelnen Oberinnen wie Untergebenen wendet, und an alle, die bei ihr Rat und Trost suchten; indem sie auch an die Oberen und Religiosen (des männlichen Zweiges) ihres Ordens, zumal in den schweren Stürmen der jungen Reform, schreibt, die einen anfeuernd und lobend, die anderen zufriedenstellend oder aber warnend, und das mit so viel Zartgefühl und Höflichkeit, mit so viel Geist und verstehendem Sinn, daß ich in meinem Leben wenig Briefe gefunden habe, die eine gleiche Wertschätzung verdienten wie die ihrigen.«
Gleichwohl vergingen seit dem Tode der heiligen Theresia bis zur ersten Veröffentlichung eines kleinen Teiles ihrer Briefe an die achtzig Jahre. Was war der Grund hiervon? Einerseits legte man in damaliger Zeit der literarischen Bedeutung der Briefe keinen so großen Wert bei wie heutzutage. Anderseits ließen sich die Oberen der noch jungen Reform des Karmel, denen die Aussicht über eine möglichst lückenlose Veröffentlichung des hinterlassenen Schrifttums der heiligen Mutter oblag, von verschiedenen kleinlichen, heute nicht mehr verständlichen Rücksichten leiten. So wollte man z. B. nicht, daß die in den Briefen der heiligen Mutter des öfteren vorkommenden familiären Ausdrücke, zumal in denen an ihre besten Freunde und Familienangehörigen, gedruckt würden, weil man befürchtete, sie könnten Anstoß erregen und das Bild der Heiligen verdunkeln. Des weiteren wollte man Personen, die in den Briefen in wenig rühmlicher Weise erwähnt werden und die etwa noch am Leben waren, nicht kompromittieren. Endlich wollte man verhüten, daß der Streit zwischen den beiden Richtungen innerhalb des Karmelitenordens, den Mitgliedern der Theresianischen Reform und denen der alten Observanz, durch gelegentliche Bemerkungen der Heiligen in gewissen Briefen, die speziell jener heißen Kampfesperiode um Sein oder Nichtsein der Reform angehörten, neu angefacht werde. So kam es, daß erst 1658 in der von den Karmeliten zu Zaragoza veranstalteten Ausgabe erstmals 65 Briefe der Heiligen mit Anmerkungen des ehrwürdigen Bischofs Palafox veröffentlicht wurden. Diese Ausgabe brachte die Briefe nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern dem Geschmack jener Zeit entsprechend unter dem Gesichtspunkt der sozialen Zugehörigkeit des Standes der betreffenden Briefempfänger. So begann die Sammlung mit einem Brief an König Philipp II., brachte sodann eine Anzahl von solchen an Prälaten und illustre Persönlichkeiten; des weiteren folgten solche an Religiosen und Doktoren der Theologie; die 24 letzten waren an die geistlichen Töchter der Heiligen gerichtet. Diese Einteilung wurde auch in den folgenden Ausgaben beibehalten. Der Text war nicht einwandfrei wiedergegeben, vielfach verstümmelt und willkürlich geändert; zudem waren die Anmerkungen des frommen Bischofs, durchaus moralischaszetischen Inhalts, mehr für fromme Seelen bestimmt als für ein historisch sicheres Verständnis der Briefe berechnet. Doch fanden die Briefe mit ihren Anmerkungen großen Beifall und begeisterte Aufnahme. Weitere 108 Briefe der Heiligen wurden in einem neuen Band im spanischen Original 1674 zu Brüssel veröffentlicht mit Anmerkungen des Paters Petrus ab Annuntiatione, welch letztere denen des Bischofs Palafox weit vorzuziehen sind, da sie vor allem dem inhaltlichen und historischen Erfassen der Briefe dienen wollen. Leider war auch bei dieser Briefsammlung die Textgestaltung noch sehr mangelhaft und unvollständig. In der Folge wurden in der Madrider Ausgabe (Doblado) in den Jahren 1771 und 1778/82 weitere Briefe den bisherigen hinzugefügt und 1793 in einer neuen Sammlung desselben Verlags weitere 77 Briefe und 87 Bruchstücke. Beide Ausgaben hatten sich jedoch leider nicht die kostbaren kritischen Arbeiten und Untersuchungen des Paters Andreas von der Menschwerdung zunutze gemacht, die dieser in langwieriger Forschung behufs einer kritischen Neuausgabe der Werke der heiligen Theresia um die Mitte des 18. Jahrhunderts gemacht hatte. Die erste spanische Gesamtausgabe der Briefe S. Theresias, die auf den genannten Vorarbeiten des Paters Andreas fußten, war die des Don Vicente de la Fuente bei Rivadeneyra in Madrid (Biblioteca de autores españoles) von 1862, die im ganzen 403 Briefe enthielt, von denen allerdings nach den neuesten Forschungsresultaten des Paters Silverio verschiedene keinen Anspruch auf Echtheit erheben können.
Die verschiedenen Übersetzungen dieser Briefe, die in den einzelnen Kultursprachen erschienen, teilten natürlich mit den bisher genannten Originalausgaben auch deren Mängel, da sie sich von diesen vollständig abhängig machten. Eine rühmliche Ausnahme hiervon macht die französische Übersetzung der Briefe, die zuerst 1900 bei Poussielgue, Paris, dann 1906 bei Pustet in Rom durch Pater Gregorius vom heiligen Joseph besorgt wurde, der sich von den spanischen Ausgaben nahezu ganz frei hielt und fast ausschließlich nach Handschriften übersetzte, die er zu Rate zog. Außerdem war es ihm auch möglich, verschiedene bis dahin unedierte Briefe und Bruchstücke zu entdecken und seiner Ausgabe einzuverleiben, sowie verschiedene Daten der de la FuenteAusgabe richtigzustellen.
Einen Höhepunkt in der Veröffentlichung der Briefe der heiligen Theresia bildet unstreitig die Ausgabe des Paters Silverio de S. Teresa C. D. (Burgos, Tipogr. »El Monte carmelo«, 3 Bde. i. Gr. 8° 1922/24), der seine ganze Lebensarbeit einer möglichst einwandfreien Ausgabe der Schriften der heiligen Theresia und des heiligen Johannes vom Kreuz weiht, der zu diesem Zweck keine Arbeit und Mühe scheut, alle irgendwie erreichbaren Handschriften nach ihrem Ursprung und ihren Lesarten zu untersuchen. So gelang es ihm denn, wie bei den übrigen Schriften der Heiligen, auch bei deren Briefen unter Zurückstellung all der Vorurteile und Rücksichten der vergangenen Jahrhunderte den reinen und unverfälschten Text der Briefe herzustellen und in dieser prächtigen Ausgabe den Verehrern und Freunden der großen Heiligen darzubieten, genau so, wie sie einst der Feder der Heiligen entflossen sind. Die Liebe zur Wahrheit und die Hochachtung vor der Person der Reformatorin waren ihm hierbei Führer. So tritt uns in diesen Briefen die Heilige genau so entgegen, wie sie zur Zeit der Abfassung derselben in Wirklichkeit war, nicht geschmückt mit dem Strahlenkranz der Heiligkeit, mit dem wir sie zu sehen gewohnt sind, sondern als arme, schlichte Karmelitin. In reichlichen Einleitungen und Anmerkungen gibt er außerdem Rechenschaft über Fundort und Geschichte der Handschriften, gibt Nachricht über die in den Briefen erwähnten Persönlichkeiten und geschichtlichen Begebenheiten; er hat die chronologische Reihenfolge der Briefe neuerdings festgestellt bzw. die in den früheren Ausgaben aufgestellten Daten verbessert, wo es notwendig war; hat zudem in eifrigem Forschen und Suchen, zumal in den Frauenklöstern Spaniens, noch mehrere neue Briefe den früheren hinzufügen können, dagegen andere, die in bezug auf ihre Echtheit der Kritik nicht standhalten konnten, aus den bisherigen Sammlungen weggelassen.
So entstand die mustergiltige Ausgabe der Briefe der heiligen Theresia, für die dem Herausgeber gewiß alle Verehrer der größten Spanierin dankbar sind. Ihm ist in der vorliegenden deutschen Neuausgabe auch Pater Aloysius ab Immaculata Conceptione gefolgt, indem er die Verbesserungen und neueren Forschungsergebnisse des Paters Silverio in den neuen Text aufnahm, nachdem seine erste Ausgabe (RegensburgPustet 1914/15) sich an die Ausgabe des De la Fuente und an die französische des Paters Gregorius anschloß. Darum hat auch diese neue deutsche Übersetzung mit der spanischen Vorlage des Paters Silverio den Vorzug einer möglichst genauen Textgestaltung und historischer Wahrheit gemein.
Freilich müssen wir bedauern, daß auch in den beiden genannten Neuausgaben noch lange nicht sämtliche Briefe der heiligen Theresia wiedergegeben sind. Allein das ist nicht die Schuld weder des spanischen Herausgebers noch des deutschen Übersetzers. Viele Briefe der Heiligen sind eben ein für allemal verloren. Aus der Zeit vor 1561 besitzen wir außer drei sogenannten Billetten, d. h. kurzen, mehr geschäftlichen Notizen, etwa unseren heutigen Postkarten vergleichbar, keinen Brief aus der Hand der Heiligen. Vielleicht weil sie bis dahin ohnedies immer, oder wenigstens mit nur ganz kurzen Unterbrechungen, in ihrer Vaterstadt Ávila weilte und infolgedessen ihre Verwandten nahe hatte; vielleicht auch, weil man in jener Zeit, in der ihre Person noch nicht wie später von Ruhm und allgemeiner Verehrung umgeben war, ihre Briefe, soferne sie wirklich solche geschrieben haben sollte, noch nicht in dem Maße schätzte wie später und deshalb nicht aufbewahrte. Aus der Zeit von 1561—1568 sind uns nur einige wenige erhalten. In die Periode dagegen von 1568—1575 fallen schon 84 der erhaltenen Briefe, ein Zeichen dafür, wie mit der Zunahme ihrer Neugründungen auch ihre Person in immer weiteren Kreisen bekannt wurde. Alle übrigen Briefe fallen in die Zeit von 1576—1582, also in die letzten Jahre vor ihrem Tode und zugleich in die Sturmesperiode um das Bestehen ihrer Reform. Sie war das Haupt der Reform. Um sie scharten sich auch ihre geistlichen Söhne, die in den gefährlichen Jahren jenes Kampfes keine Handlungen von Bedeutung unternahmen, ohne erst den Rat der heiligen Mutter gehört zu haben. Wir besitzen gerade aus dieser Periode Zeugnisse genug von Personen, die von Theresia Briefe erhalten haben; und doch fehlt uns von diesen Briefen jede Spur. Von den Briefen, die die Heilige an ihren ersten geistlichen Sohn, Johannes vom Kreuz, gerichtet hat, besitzen wir keinen einzigen. Und doch ist es über jeden Zweifel sicher, daß dieser viele solcher Briefe hatte. Ob diese Briefe bei dessen Gefangennahme im Jahre 1577 in die Hände seiner Feinde fielen, oder ob der Heilige sie später, wie einige wollen, selbst vernichtet hat, um dadurch auch den letzten Rest von irgendwelcher Anhänglichkeit an Theresia zu begraben, wollen wir dahingestellt sein lassen, da wir kein unwiderlegliches Zeugnis weder für die eine noch andere Annahme haben. Ebenso sind auch der uns erhaltenen Briefe an Pater Hieronymus Gracián verhältnismäßig wenige, obgleich wir aus seinen eigenen Angaben wissen, daß er deren zwei bedeutende Sammlungen hatte. Aus zuverlässigen Quellen wissen wir, daß die Heilige selbst in vielen Fällen, zumal während der Jahre der Verfolgung der Reform, einzelnen Empfängern ihrer Briefe nahegelegt hat, die Briefe nach Kenntnisnahme des Inhalts zu vernichten, um die Sache der Reform nicht zu gefährden. — Nachdem dann Theresia von Jesu 32 Jahre nach ihrem Tode (1614) von Papst Paul V. den Seligen offiziell eingereiht worden und erst gar, als sie 1622 von dessen Nachfolger Gregor XV. heiliggesprochen war, wollten natürlich alle Verehrer der Heiligen — und wo wären diese nicht gewesen? — Reliquien von der Heiligen haben. Da die geistlichen Töchter Theresias keinen Begriff hatten von der großen Bedeutung der Briefe ihrer heiligen Mutter für die Zukunft, schenkten sie vielfach solche als Reliquien weiter an andere Klöster oder auch an Privatpersonen, die der Heiligen im Leben nahegestanden waren. Auf diese Weise gingen wohl die meisten Briefe für immer verloren oder sie ruhen noch in irgendeiner Kirche oder einem Kloster in Form von Reliquien, wie deren erst jüngst wieder zwei in Karmelitinnenklöstern bei Neapel durch einen glücklichen Zufall entdeckt wurden.
So finden sich denn, wie angedeutet, die Originale vieler der uns erhaltenen und in vorliegender Sammlung dargebotenen Briefe Theresias z. T. einzeln in Klöstern, vorzugsweise in Spanien, aber auch in Frankreich und Belgien sowie Italien, wohin diese durch die ersten Töchter der Heiligen bei den ersten Klostergründungen mitgebracht wurden. Viele befinden sich in der spanischen Nationalbibliothek zu Madrid, wohin sie zumeist aus dem Ordensarchiv der spanischen Kongregation bei Aufhebung der Klöster (1834) verbracht wurden. Wieder andere finden sich in Sammlungen vereint. Die bedeutendsten davon sind die Sammlung von etwa 56 Briefen, fast durchwegs an Sr. Maria vom heiligen Joseph gerichtet, im Karmelitinnenkloster Valladolid, in kostbarem Silberreliquiar aufbewahrt. — Eine andere Sammlung ist die im Karmelitinnenkloster Sevilla, enthaltend sieben BriefOriginale an verschiedene Empfänger, während es deren ursprünglich über zwanzig waren und gesammelt waren durch Sr. Juliana von der Mutter Gottes, der Schwester des Paters Hieronymus Gracián. — Wohl die meisten Briefe aus der Feder der Heiligen erhielt, wie schon oben angedeutet, Pater Hieronymus Gracián, der beste Freund und bedeutendste Mitarbeiter der Heiligen an ihrem Reformwerk, Vertrauter ihrer Pläne, jahrelang ihr Beichtvater und zugleich ihr Vorgesetzter. Es gab keine Frage des geistlichen Lebens oder über die Angelegenheiten der Ordensreform und leitung, die Theresia mit diesem äußerst tüchtigen Manne nicht besprochen hätte. Die Korrespondenz mit ihm begann erst 1575. Von dieser Zeit an verband die beiden eine heilige Freundschaft und Seelenverwandtschaft. Kein Wunder darum, wenn Pater Hieronymus alle Briefe, die er von der heiligen Mutter erhalten hatte, sorgfältig aufbewahrte. Einen bedeutenden Teil dieser Briefe, in Buchform vereinigt, sandte Pater Hieronymus, nachdem er, infolge gemeiner Intriguen eines ehemaligen Untergebenen von seinem Orden ausgeschlossen, bei den Vätern der alten Observanz in Belgien wieder Aufnahme gefunden, 1610 von Brüssel aus seiner Schwester Sr. Maria vom heiligen Joseph nach Consuegra, von wo sie nach Alcalá de Henares wanderten. Dort wird noch ein kleiner Teil derselben aufbewahrt, während die übrigen meist als Reliquien in alle Winde zerstreut wurden. — Eine vierte Sammlung endlich von Originalbriefen der heiligen Theresia, enthaltend zumeist Briefe an ihren Bruder Don Laurentius de Cepeda, besitzen die Karmelitinnen von St. AnnaMadrid, von denen freilich auch, wie bei den übrigen Sammlungen, im Laufe der Zeit viele weggeschenkt wurden. Aus diesen Sammlungen sowie aus den in der Nationalbibliothek in Madrid hinterlegten Manuskripten, ferner aus den in den verschiedenen Klöstern aufbewahrten einzelnen Originalbriefen, außerdem aus authentischen Abschriften von Briefen, die im 18. Jahrhundert nach damals noch erhaltenen, heute aber leider verlorenen Originalen gemacht worden waren, ist das vorliegende Corpus der Briefe der heiligen Theresia entstanden mit seinen rund 450 Briefen, gewiß eine noch bedeutende Anzahl trotz der vielleicht noch größeren Zahl der verlorengegangenen; denn nach Berechnungen, die von fachkundiger Seite darüber angestellt wurden, müßte die wirkliche Zahl sämtlicher Briefe der Heiligen beiläufig an die Tausend gehen.
Wenn wir nur rein zahlenmäßig diese ungeheure Arbeit ins Auge fassen, möchte man es für kaum glaublich halten, daß sie von einer Frau geleistet werden konnte, die während dieser ganzen Periode, der diese Briefe angehören (1567—1582), fast immer krank, dazu vielfach in Sachen ihrer Klostergründungen und Visitationen kreuz und quer durch Spanien auf Reisen war; die dazu einen großen Teil ihrer Zeit im Sprechzimmer verbringen mußte, weil viel in Anspruch genommen von Freunden und heilsbegierigen Seelen in Fragen des geistlichen Lebens; die während dieser gleichen Periode noch verschiedene andere geistliche Schriften von höchstem Werte verfaßte; die endlich gewissenhaft die für die gemeinsamen Übungen des klösterlichen Lebens bestimmte Zeit diesen Übungen, wie z. B. dem Chorgebet, der Betrachtung, der gemeinsamen Erholung und Handarbeit, widmete. Physisch war eine solche Riesenleistung nur dadurch möglich, daß die Heilige, wie Augenzeugen des öfteren feststellen konnten und bei ihrem Seligsprechungsprozeß eidlich aussagten, vielfach die Nachtruhe opferte, fast immer bis 2 und 3 Uhr des Nachts schrieb, um ihre Korrespondenz zu erledigen. Vom psychologischen Gesichtspunkt aus ist aber diese Leistung, die sich in ihrer Korrespondenz äußert, ein neuer Beweis ihrer unglaublichen Seelenstärke und ihrer unüberwindlichen Willenskraft.
Die Vielseitigkeit der Theresianischen Korrespondenz ist durch die Umstände von selbst gegeben. Als geistiges Haupt der jungen Ordensreform wird Theresia in allen auftauchenden wichtigen Angelegenheiten des Ordens von allen Seiten um ihren Rat gefragt, nicht nur von ihren geistlichen Töchtern bzw. den Oberinnen der neugegründeten Klöster, sondern auch von den Oberen des Männerordens. In den Wirken des Kampfes um die Erhaltung der Reform ist sie es vorzugsweise, die die anderen stützt und ermutigt; ist sie es, die mit dem König und dem Ordensgeneral und den Bischöfen verhandelt. So kommt es bisweilen vor, daß Theresia an ein und demselben Tag an den König Philipp II. schreibt, ihn um Hilfe bittend in Sachen der Stützung der Reform; daß sie an den General des Ordens schreibt, um das Verhalten ihrer geistlichen Söhne zu entschuldigen; daß sie an irgendeine adelige Persönlichkeit schreibt, um ihr zu danken für eine ihr erwiesene Wohltat; daß sie in einem anderen Briefe irgendeine Priorin zurechtweist ob eines nicht ganz korrekten Vorgehens. Nehmen wir dazu die zahlreichen Briefe, die ausschließlich über Angelegenheiten des geistlichen Lebens handeln, Richtlinien und Fingerzeige geben für größeren Fortschritt auf dem Wege der Vollkommenheit, oder Aufschluß geben über mystische Zustände und Vorgänge; rechnen wir dazu so viele Briefe, die an ihre Familienangehörigen gerichtet sind oder an gute Freunde, und in denen sie sich um deren alltäglichsten Angelegenheiten kümmert, so gestaltet sich aus all dem ein selten schönes Bild, das uns die Persönlichkeit dieser einzigartigen Frau in den schönsten Farben zeigt, das uns die Biegsamkeit ihres Geistes und die Anpassungsfähigkeit an alle Lebensformen, ihre hohe Intelligenz und ihre erstaunliche Willenskraft, die Anmut ihres liebenswürdigen Wesens wie ihre glühende Gottesliebe in gleicher Weise offenbart. Ungeachtet der Überfülle von Arbeit, die die heilige Reformatorin Jahr um Jahr zum Wohle der Erneuerung ihres Ordens zu leisten hat, verliert sie doch nie ihren angeborenen Frohsinn und ihren Opfermut, wie er sich in allen Zeilen ihrer Briefe ausprägt. Niemals läßt sie sich entmutigen, auch nicht in den schlimmsten Zeiten der Verfolgung, wo schon alles verloren zu sein scheint. Gerade in solchen Tagen finden sich oft in ihren Briefen eingestreut scharfsinnige Sentenzen, irgendein gelungener Scherz, ein geistreicher Einfall, manchmal eine boshafte Bemerkung, die nicht selten bei dem Empfänger des Briefes ein herzhaftes Lachen auslösen mußte.
Im Zusammenhang damit sei noch einer interessanten Eigenart Erwähnung getan, die sich in den Briefen der Heiligen, und zwar ausschließlich in denen der Jahre 1577/79 findet. Da die Wege und zugleich die Überbringer der Briefe wenig verläßlich waren und darum die Gefahr bestand, es könnten ihre Briefe in unrechte Hände geraten, wandte Theresia für alle jene, von denen in diesen Briefen die Rede war, fingierte Namen an, die Nichteingeweihte irreführen mußten. So gebrauchte sie für Christus den Namen »Joseph«; »Angela« oder »Laurentia« ist sie selbst; die »Engel« sind die Inquisitoren; unter den »Schmetterlingen« versteht sie die Karmelitinnen der Reform; unter den »Zikaden« die Karmelitinnen der alten Observanz; »Ardapilla« ist der Lizentiat Padilla; »Elisaeus« ist Pater Hieronymus Gracián; »Johannes« ist der Ordensgeneral Rubeo; »Macarius« ist Pater Antonius von Jesu; »Mathusalem« der alte Nuntius Ormaneto; »Seneca« ist Johannes vom Kreuz, usw.
Sprache und Stil dieser Briefe sind rein und fehlerfrei, trotz der Eile, mit der die Heilige bisweilen ihre Briefe schreiben mußte; sie sind oft geradezu von wunderbarer Eleganz und Feinheit, voll bezaubernder Fülle des Ausdrucks, ohne je in Trivialitäten abzugleiten, wenn schon sie auch von den gewöhnlichsten Dingen spricht. Manchmal wieder sind die Sätze wie in nervöser Hast hingeworfen, die Gedanken des öfteren unterbrochen, das Satzgefüge von außerordentlicher Kürze und überzeugender Schärfe. Ein andermal läßt sich die Schreiberin fortreißen von edler Entrüstung über Ungerechtigkeit, Doppelzüngigkeit und Verschmitztheit gewisser Personen, oder wieder, sie läßt sich tragen von den süßen Empfindungen ihres gotterfüllten Herzens und ergeht sich dann in weiten Satzgefügen, in denen wir einen gewissen majestätischen Wohllaut der Form bewundern. Kurz, auch rein formell gesehen sind und bleiben die Briefe der heiligen Theresia ein Juwel der spanischen Nationalliteratur.
Der Gepflogenheit jener Zeit entsprechend schrieb die Heilige ihre Briefe in der Regel auf große Doppelbogen von ungefähr 31:21 cm. Obwohl sie selber sich des öfteren lustig macht über gewisse konventionelle Finessen im schriftlichen und mündlichen Verkehr, wie sie besonders in den höheren Schichten der Gesellschaft üblich waren, kennt und beobachtet sie gleichwohl gewissenhaft den Kodex der Anstandsformen im Briefverkehr. Darum legt sie großen Wert darauf, die einzelnen Persönlichkeiten, mit denen sie zu verkehren hat, je nach dem Grade ihrer sozialen Stellung zu behandeln, und bekundet darin eine bis in die kleinsten Einzelheiten gehende große Gewandtheit. Sie achtet genau auf Gelegenheit und Umstände zum Briefschreiben, in einer Form, daß auch darin wieder ihre feine Erziehung zum Ausdruck kommt, die ihre Tugend wie mit zartem Schmelz umgibt. Oben läßt sie einen freien Raum von ungefähr 3 cm Breite, ebenso einen freien Rand links von 2 cm Breite. In der Mitte des Briefkopfes sieht in der Regel der Name Jesus (Jhs), der zugleich in Verbindung mit den auf der nächsten Zeile folgenden Worten den Gruß und die Einleitung des Briefes bildet, indem sie weiterfährt: »sei immerdar mit Ihnen« (sea con vuestra merced). An dessen Stelle finden sich auch Grußformeln wie diese: »Es sei mit Ihnen (oder Euerer Paternität) der Heilige Geist« oder »die Gnade des Heiligen Geistes«. In ähnlicher Weise schließt sie auch den Brief mit einem echt christlichen Gruß oder Wunsch, wie z. B. »Unser Herr sei Ihnen stets Licht und Führer«, und indem sie sich z. B. dem Gebete des Adressaten empfiehlt bzw. ihn ihres Gebetes versichert, unterzeichnet sie: »Da. Teresa de Ahumada« (bis 1562) oder (von 1567 an) «Teresa de Jesús«; in manchen Fällen fügt sie dem Namen noch hinzu: »Carmelita«. Darnach folgt in der Regel das Datum, wie etwa: »Es hoy vispera de san Agustín«, also »am Vorabend des Festes des heiligen Augustin« oder: »Son XXVII de setiembre«, d. i.: »es ist heute der 27. September« ohne Angabe des Jahres. Die Jahresdaten, wie sie sich in den modernen Briefsammlungen der Heiligen finden, wurden erst, wie schon erwähnt, von späteren Herausgebern hinzugefügt.
Der fertige Brief wurde sodann geschlossen und mit einem Siegel, das den Namen Jesus (JHS) trug, versehen und so dem Kurier zur Beförderung übergeben. Diese Briefboten waren entweder die königlichen Kuriere, die auf den spanischen Heerstraßen den Postdienst versahen, oder es waren gewöhnliche Boten, die auf Maultieren berufsmäßig Briefe und Postsendungen besorgten. In vielen Fällen bediente sich die Heilige auch etwa zufällig des Weges kommender bekannter Personen bzw. solcher, die eine Reise nach dem Bestimmungsort des Empfängers zu machen hatten. Das Briefporto wurde zur Hälfte von dem Absender bezahlt, was außen auf dem Briefe vermerkt war, zur anderen Hälfte mußte es vom Empfänger bei Entgegennahme des Briefes beglichen werden.
So mögen denn die Briefe unserer heiligen Mutter auch in diesem neuen Kleide hinausgehen in die Welt, zu allen Freunden und Verehrern der Heiligen, und ihnen künden von der großen edlen Seele der großen Spanierin; und wie sie ehedem bei vielen Empfängern mit Freude und Verehrung entgegengenommen und begrüßt wurden als Botschaft einer treuen Freundin, so mögen sie auch jetzt wieder frohe Aufnahme finden überall, wohin sie kommen, und die Verehrung der großen Theresia von Jesu verbreiten!
Pater Ambrosius a S. Theresia O. C. D. (Rom)
