2.
Wohlan denn, Sünder, weinen wir hier, damit wir nicht dort weinen müssen! Kommt, wir wollen hienieden Trauer und Leid tragen, damit unsere Trauer nicht jenseits groß sei! Alle Gerechten und Heiligen gefielen dem Herrn durch Trauer und Schmerz und versöhnten ihn durch Tränen. 930 Jahre lang beweinte Adam seinen Fall, durch den er sich von Gottes Herrlichkeit im Paradiese entfernt hatte. Die Schönheit seiner Wangen wurde durch die Tränen entstellt, die seine Augen vergossen, und die heißen Zähren verursachten ihm schmerzhafte Geschwüre. Henoch, der Gott wohlgefällig war und den Tod nicht kostete 1, sah das Ende des Abel und trug darüber Leid und Kummer 320 Jahre lang. Er sah den ersten Toten stinkend, vermodert und entstellt, und weinte und klagte darüber sehr, bis er entrückt wurde, ohne den Tod zu kosten. Der gerechte Noë trauerte über jenes sündige Geschlecht, von dem er wußte, daß es durch die Wasserflut des [göttlichen] Zornes vernichtet werde. 500 Jahre hindurch hatte er die Jungfräulichkeit rein bewahrt, und darum bewahrte ihn auch Gott, daß er nicht mit jenem Geschlechte unterging. Abraham, Isaak und Jakob hatten in dieser Welt ein mühseliges und beschwerliches Leben, voll Nöten und Prüfungen, durchgemacht und gingen dann aus ihr hinüber. Wer vermöchte wohl die Prüfung zu schildern, die über Job gekommen ist? Eine ganze Jahreswoche saß er auf dem Aschenhaufen. Wie viele Tränen, wie viele Zähren mögen seine Augensterne vergossen und geweint haben, da er sehen mußte, wie die Würmer sein S. 97 Fleisch zernagten und verzehrten, so daß nur mehr das Gebein übrig blieb? Wer hat wohl soviel gelitten wie er? Wenn man seine Geschichte nur hört, so wird schon die Seele von Wehmut ergriffen. David benetzte sein Lager mit nächtlichen Tränen, aß Asche wie Brot und mischte seinen Trank mit Zähren 2. Wie viele Tränen entströmten nicht den Augen des Jeremias, des Mannes der Schmerzen, der alle Tage seines Lebens mit Weinen und unter Tränen zubrachte! Seine Betrübnis überstieg alles Maß; darum flehte er zu Gott, daß er seinem Haupte Wasser und seinen Augen eine Wasserquelle geben möchte 3. Ezechiel, der die mit Wehklagen, Trauerliedern und Drohworten beschriebene Buchrolle aß, lag, weil er die Sündhaftigkeit seines Volkes zu tragen hatte, 390 Tage auf beiden Seiten, da die Sünde seines Volkes ihn niederdrückte, und sein Haus wurde ihm zum Grabe. Die große Schuld jenes Volkes band ihn gleichsam mit Ketten, so daß er auf jeder Seite 195 Tage liegen musste 4. Vom Herrn der Höhen und der Tiefen, der Grenzen und Gegenden der Welt steht geschrieben, daß er, als er herabgestiegen war und auf Erden wandelte, über Jerusalem geweint hat. Es steht über unseren Herrn nicht geschrieben, daß er gelacht habe, wohl aber, daß er geweint und Tränen vergossen hat 5. Als er über den Lazarus weinte, weinte er zugleich über alle Toten; denn er sah sein Abbild vom Tode zerbrochen und in die Verwesung weggeworfen. In seiner Güte schmerzte es ihn tief, daß er sein geliebtes Ebenbild entstellt und ins Grab geworfen, ja zum Entsetzen und zum Abscheu geworden sehen mußte.
