VI. Sprache und Stil Salvians
Am Stil seiner Briefe erkennt man noch am deutlichsten, daß Salvian die antike Rhetorenschule durchgemacht hat. In seinen beiden anderen uns erhaltenen Werken, vor allem der ,.Gubernatio", stellt er sich aber in bewußten Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, die nur aus Eitelkeit schrieben, um der gezierten Form willen, denen aber der Inhalt nichts war. 1Er will das Hauptgewicht auf den Inhalt legen und im Ausdruck nur Klarheit anstreben. Und im wesentlichen ist ihm das gelungen. Er schreibt ein klares, durchsichtiges Latein und läßt nur sehr selten den Leser im Zweifel darüber, was er meint. Freilich sind seine Werke nicht frei von rhetorischen Antithesen und Wortspielen, Klangspielen, Phrasen und Hyperbeln; doch bleibt er dabei in durchaus erträglichen Grenzen. Immer wieder tauchen z. B, - und zwar in allen Schriften - gewisse Erscheinungen auf, die von der Schule und ihrer Methode Zeugnis ablegen: die rhetorische Dreiteilung ein und desselben Gedankens, 2pleonastische Ausdrücke, wie z. B. Bildungen mit dem Genitiv der Inhärenz, 3die Zusammenstellung ein und desselben Wortes in verschiedenen Formen, der Wechsel S. 28 zwischen Simplex und Kompositum der Wechsel zwischen mehreren Kompositis desselben Verbums, der Kontrast und Positivum und Negativum auf engstem Raum, die Gegenüberstellung wurzelgleicher Vokabeln Alliterationen 4u. a. Vor seltenen Wörtern und Neubildungen schreckt er nicht zurück, wenn es sich um besondere Formulierungen handelt. 5Nicht selten ist Salvian nach Wortwahl, Grammatik und Syntax, vor allem nach der letztgenannten Seite hin, ein Vorläufer und Wegbereiter des mittelalterlichen Lateins, soweit man von diesem als einer einheitlichen Größe sprechen kann. Jedenfalls bringt Salvian bei weitgehender Wahrung des klassisch-korrekten Charakters seiner Sprache doch eine Reihe von Eigentümlichkeiten in der Form und Konstruktion, die sich nur aus der vulgären und regionalen Auflockerung des Latein in jener späteren Zeit erklären lassen. Sprache und Stil unseres Kirchenschriftstellers bedürfen daher noch dringend einer eingehenden und zusammenfassenden Gesamtuntersuchung.
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Vgl. die Praefatio zur „Gubernatio Dei' ↩
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Zu dieser Erscheinung in der poetisch-rhetorischen Sprache vgl. z. B. Th. Mayr, Studien zum Paschale carmen des christl. Dichters Sedulius (Progr. Augsburg 1916) S. 81. ↩
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Über die sprachgeschichtliche Bedeutung dieser Erscheinung vgl. z. B. Ed. Wölfflin, Arch. f. lat. Lex. VII. 477; F. Pfister, Berl. philol. Wochenschr. 34 (1914) Sp. 1149 f. u. bes. C. Brakman, Arnobiana (Lugd. 1917) S. 14 ff. ↩
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Vgl. den in der unten folgenden Bibliographie aufgeführten Aufsatz von E. Wölfflin. ↩
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Vgl. F.X. Hirner a.a.O. S. 16; wertvoller Schmalz, Berl. Philol. Wochschr. 35 (1915), bes. Sp. 1043ff. (vgl. Bibliographie) ↩
