I.
S. 78O du unser Vater, erweise mir Gnade nach deiner Gewohnheit und bitte deinen Herrn für mich, auf dass er mir verleihe, dein Lob zu singen! Wenn du mir dies nicht abschlägst, so wird es mir auch dein Herr nicht verweigern, sondern er wird den Mund öffnen und mir meine Bitte gewähren nicht wegen meines, sondern wegen deines Verdienstes1 [10] Alle preiswürdigen Tugenden fanden sich in deiner Wohnung vereinigt und deine Zunge war eifrig bemüht, Heiligkeit auszusäen. Dein Blick legte der Jugend Zügel an und dein Auge prägte den Jünglingen Behutsamkeit ein zur Bewahrung der Keuschheit. [20] Wer dein Wort hörte, glaubte schon; wenn nicht, so betrachtete er deinen Wandel und ward alsdann fest überzeugt, dein Wirken legte Zeugnis für dich ab. Die Liebe Gottes ließest du in deinen Werken wohnen, und nachdem du sie selbst erworben hattest, teiltest du sie durch Worte aus, damit du viele Teilnehmer hättest. [30] Über die Starken freute sich dein Herz und die Schwachen stärkte2 deine Stimme, auf dass sie mit den Starken wandern könnten. Den, der da hatte3 , ermahntest du, dass er es nicht verlieren möge, und wer da Mangel litt, der wurde von dir belehrt und arbeitete angestrengt, damit er etwas erhalten möchte. [40] Der Reiche hörte von dir, er möge sich einen Schatz als seinen Anteil bewahren, nicht schlummern noch schlafen, damit nicht die Räuber kämen und ihm seinen Erwerb hinwegnähmen. Den Beraubten aber ermahntest du täglich, er möge sich doch die ihm von den Räubern entrissenen Schätze durch Tränen und Buße wieder verschaffen. [50] Den Gefallenen S. 79reichtest du die Hand, damit sie wieder aufstünden; die Stehenden stützest du durch dein Wort, auf dass sie nicht fallen und zugrunde gehen möchten. Die Liebe zum Besitze hattest du von dir abgestreift, o Kämpfer, und auf dem Kampfplatz rang nur dein nacktes Ich und siegte, weil es sich aller Dinge entäußert hatte. [60] Ohne Furcht wandertest du vorbei am Hinterhalte der Räuber, denn nur dein nacktes Selbst ging durch die Welt hindurch, nicht Reichtum, sondern Liebe mit sich tragend. Den Erwerb, den du dir verschafft hattest, legtest du jedem vor, denn dir war er ein Trost, und anderen eine Mahnung, gleich dir zu arbeiten. [70] Der Böse versuchte gegen dich seine Ränke, aber sie wurden zunichte; denn obgleich du das Gewand des Leibes an dir trügest, konnte dich sein Pfeil nicht durchbohren, da dir das Fasten als Panzer diente. Weil dich dein Leib nicht verriet, vermochte dich auch der Böse nicht zu überwinden. Deine Festung ward nicht eingenommen, denn es erhob sich keiner gegen dich, der schlauer als du gewesen wäre. [80] Deine Seele riet dem Leibe zur Arbeit und ward von ihm erhört; der Leib, der ihr half, richtete sich nach ihrem Rate, so dass beide Nutzen davon hatten. Der Leib verließ seine Gewohnheiten und schloss sich der Seele an; als diese nun sah, dass er ihr nachfolgte, reichte sie ihm ihre Speise, nämlich Fasten und Gebet. [90] Und als sich dein Leib an die Sitten deines Geistes gewöhnt hatte, weil ihm dessen Nahrung gefiel, so verwandelte er sich und wurde selbst geistig, um seine Nahrung nicht zu verlieren. Und er erwarb sich gute Werke als Flügel, um zugleich mit der Seele hinwegzufliegen und nach dem Lichte Edens zu gelangen. [100]
-
Am Anfang dieses ersten und des vierten, sowie am Schluss des dritten Liedes wird sehr bestimmt die Anrufung der Heiligen um ihre Fürbitte als anerkannte christliche Sitte vorausgesetzt. ↩
-
Im syrischen Original bilden „schwach“ und „stärken“ ein „Wortspiel, das wir im Deutschen nicht wiedergeben können. ↩
-
Es ist hier von geistlichen Besitztümern die Rede. ↩
