3.
(1) Den Heraklit nämlich, der sich äußerte: „Ich bin mein eigener Lehrer gewesen“1, lasse ich nicht gelten, weil er eben ein hoffärtiger Autodidakt war, (2) und kann nicht loben, daß er sein Werk im Tempel der Artemis verbarg2, damit später die Herausgabe desselben unter dem Schimmer eines heiligen Geheimnisses erfolge. Die sich um solche Dinge kümmern, sagen zwar, der Tragödiendichter Euripides sei gekommen, habe das Buch gelesen und aus dem Gedächtnis alsbald die dunkle Lehre Heraklits eifrig3 S. 199 propagiert. (3) Nun ist aber die Unwissenheit Heraklits durch seinen Tod erwiesen worden: er bekam die Wassersucht, und da er die Heilkunst nicht besser als die Philosophie traktierte, bestrich er sich mit Kuhfladen, der Kot aber verhärtete sich, zog den ganzen Leib zusammen, und so starb der Mann infolge von Krämpfen4. (4) Auch den Zenon muß ich ablehnen, der da behauptete5, nach dem Weltbrande würden dieselben Menschen wieder zu denselben Beschäftigungen auferstehen, die sie früher betrieben hätten6, z. B. Anytos und Meletos7, um wieder anzuklagen, Busiris8, um seine Gastfreunde zu morden, und Herakles, um abermals Großtaten zu vollbringen. Bei dieser Verbrennungshypothese muß er natürlich mehr Böse als Gerechte annehmen, da es eben nur einen Sokrates, einen Herakles und etliche andere von der Art gegeben hat, seltene Ausnahmemenschen: (5) in der Tat werden nach Zenon viel mehr Menschen als Bösewichte denn als Gutgesinnte befunden werden und Gott selber wird sich als Urheber des Bösen erweisen, da er angeblich in Kloaken und Würmern9 und Missetätern haust. (6) Die Prahlerei des Empedokles ist durch die Feuerausbrüche auf Sizilien dargetan worden, daß er nämlich kein Gott war und das, was er zu sein vorgab, erlogen hat10. (7) Ich verlache auch das Altweibergeschwätz des Pherekydes und den Pythagoras, den Erben seiner Lehre11, und den Platon, der ihr Nachahmer gewesen ist, obgleich manche es nicht zugeben wollen12. (8) Wer möchte denn ferner die Hundehochzeit des Krates13 loben und nicht vielmehr S. 200 die dünkelhafte Zungendrescherei seiner Anhänger verwerfen, um sich auf die Suche nach dem wahrhaft Wertvollen zu begeben? (9) Mögen euch also die Massenaufgebote dieser „Philosophen“ - Lärmer sind sie, keine Lehrer14 - nicht fortreißen: denn was sie ehren, sind gegenseitige Widersprüche15 und jeder peroriert, wie’s ihm gerade einfällt. (10) Fortwährend gibt’s bei ihnen Zusammenstöße; denn einer haßt den anderen und Meinung stellen sie gegen Meinung, indem sie sich marktschreierisch zu den Thronen drängen. Anständig aber wäre es, just wenn sie von eines Königs Majestät so hohe Meinung hegen, nicht den Herrschern zu schmeicheln, sondern vielmehr abzuwarten, bis die Großmächtigen zu ihnen kommen.
-
Heraklits Ausspruch ἐμαυτὸν ἐδιζησάμην, „ich habe mich selbst gesucht“ (vgl. Plut. adv. Colot. 20; Diog Laert. IX 1,5; Plotin enn. V 9,5), nicht ἐμαυτὸν ἐδιδαξάμην, wie bei Tatian steht, aber durch das folgende αὐτοδίδακτον als Tatians Lesart erwiesen wird. ↩
-
S. Diog. Laert. IX 1,3-6. ↩
-
Lies mit den Handschriften σπουδαίως statt τοῖς σπουδαίοις. ↩
-
Vgl. Diog Laert. IX 1,4. ↩
-
Wohl in dem von Suidas erwähnten Buche περὶ φύσεως. ↩
-
Vgl. Kap. VI 1. ↩
-
Ankläger des Sokrates. ↩
-
S. Apollod. II 5,11. ↩
-
Vgl. Kap. XXI 9. ↩
-
S. Diog. Laert. VIII 2,11. ↩
-
Vgl. Kap. XXV 4. ↩
-
Tatian meint die Lehre von der Seelenwanderung. ↩
-
„Hundehochzeit“ soll den Kyniker Krates, ein Schüler des Diogenes, seine öffentlich vollzogene Vermählung mit Hipparche genannt haben, s. Clem. Alex. strom. IV 19,123 und Lactant. III 15: „nam quid ego de Cynicis loquar, quibus in propatulo coire cum coniugibus mos fuit“, vgl. auch unten Kap. XXV 2. ↩
-
Vgl. Justin Apol. II 3. ↩
-
Vergl. Kap. 25,5. ↩
