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Methodius nun erblickt den Weg zur Gotteskindschaft, zum neuen Ewigkeitswesen, zum wesenhaften Christustum in der ehelosen Jungfräulichkeit. Hier erhebt der moderne Mensch Widerspruch, hier sieht er die Ehe gescholten und die über die Natur hinausgehende Ausnahme zu Unrecht allein mit dem schönsten Kranze geschmückt; und er läßt sich nicht damit beruhigen, daß man ihm in der von Methodius gepriesenen Jungfräu- S. 6 lichkeit die Zusammenfassung aller Tugenden überhaupt (man vergleiche die Rede der Arete!) aufzeigt — es ist doch die ehelose Keuschheit, die die Königin, Mutter und Seele aller Tugend heißt. Hier stoßen wir eben auf den heutzutage doppelt heftigen Kampf zwischen Hochschätzung der Ehe und Erhöhung der Jungfräulichkeit. Aber Kämpfe, die sich im Wetteifer um das Edle verzehren, müssen ihren Frieden auf einer höheren Stufe finden. In der Tat wird auch der feurigste Verteidiger der Ehe zugeben, daß zu allen Zeiten, bei allen Völkern und in allen Religionen und Konfessionen das Ideal der Ehe durch zahlreiche Verirrungen verdüstert war und daß dem gegenüber die absolute Enthaltsamkeit ganzer Stände ein wirksames „Wenn du willst, kannst du“, bildet. Andererseits ist auch das höchste Ziel menschenwürdiger Ehe darin beschlossen, daß alle sinnliche Liebe nur Ausdruck und Komplement eines geistigen, auf das Edelste gerichteten Liebeswillens sei und daß jede sinnliche Liebe, die in der bloßen Sphäre der Sinnlichkeit sich erschöpft, als menschenunwürdig und niedrig zu gelten habe. Kurz, auch die Ehe strebt nach voller Beherrschung der Materie durch den Geist. Nichts anderes ist aber auch das Ziel wahrer Jungfräulichkeit. Und es wird unangefochten bleiben müssen, daß der Mensch dieses Ziel nach Belieben und Gutdünken auf dem Wege der Ehe, wie auf dem der Enthaltsamkeit erreichen kann. Die Hauptsache ist, daß es erreicht wird. In der Zeit des Methodius nun, da die Ehe auch in christlichen Kreisen ein sehr irdisches Bild darbot, mag es als unmöglich erschienen sein, daß das Ziel der Selbstbeherrschung auch auf dem Wege der Ehe vollständig verwirklicht werden kann; obwohl auch Methodius gelegentlich von einer Anteilnahme der Eheleute am jungfräulichen Streben weiß; und zu allen Zeiten, da die Ehe besondere Mängel auf wies, blieb die Jungfräulichkeit offenkundig allein im Besitz des Ruhmes, zur gottgewollten Harmonie führen zu können. Daher so viele ausschließliche und die Ehe oft geradezu verachtende Äußerungen zum Lobe der Keuschheit. Aber Jesus Christus — wir wissen nicht, was er alles gedacht bei dem Worte „es gibt Verschnittene um des Himmelrei- S. 7 ches willen“ — hätte zweifellos vor einer Ehe, die dem Ideal der geistbeherrschten Sinnlichkeit entspricht, keinen Augenblick mit der Seligpreisung zurückgehalten: „Selig, die reinen Herzens sind!“ Vielleicht gibt es überhaupt zweierlei Naturen, solche die zur Harmonie gelangen auf dem Wege absoluter Keuschheit und solche, die dazu kommen auf dem Wege der Ehe. —
