I. Marzella.
Marzella.
Marzella habe nun an dieser Stelle, täuscht die Erinnerung nicht, alsbald zu sprechen angefangen (besagt der Bericht): Jungfräulichkeit — das ist etwas so ganz Großes und Wunderbares und Lobreiches; soll ich es klar sagen und den heiligen Schriften darin folgen: diese adeligste und schönste Art zu leben darf allein gelten als Mutterboden und Blüte und Erstlingsfrucht der Unsterblichkeit. Darum verheißt auch der Herr, wo er in den Evangelien in unterschiedlicher Verschnittenheit Weisung gibt, daß ins Reich der Himmel einziehen sollen, die sich selbst verjungfert haben1. Etwas gar Seltenes, für Menschen nur hart Erreichbares ist ja die Keuschheit, ebenso höchst gegipfelt und erhaben wie S. 285 furchtbar in ihren Gefahren. Da braucht es wohl starke und adelige Naturen, die immer wieder den Strom der Lust unter sich lassen, hinauf in die Höhe den Wagen ihrer Seele lenken; Naturen, die vom Ziel nicht ablassen, bis sie denn mit leichtem Sprung in des Geistes heißester Schnelligkeit über die Welt hinwegsetzen und wahrhaftig am himmlischen Kreise stehen: dann schauen sie mit entschleierten Augen die Unsterblichkeit selbst, wie sie entspringt aus dem makellosen Busen des Allmächtigen. Diesen Trank zu sprudeln, war die Erde zu winzig; der Himmel allein vermag seine Quelle zu sein. Und das muß von der Jungfräulichkeit gelten: sie schreitet auf der Erde, und oben rührt sie an die Himmel; so haben manche sich nach ihr gesehnt, aber nur auf ihren Gipfel hingeblickt, liefen dann nach ihr mit unreinen Füßen ohne Erfolg, aus Krämergeist, hielten inne mitten im Wege und hatten nicht einen Gedanken aufgebracht, den diese Lebenshöhe fordert. Denn nicht nur die Leiber müssen unverdorben bleiben — wie man ja auch die Tempel nicht für erhabener erklärt als die Götterbilder — sondern die Seelen, diese Götterbilder der Leiber müssen prangen im Schmucke der Gerechtigkeit. Und sie prangen und prangen und fegen sich rein und reiner, wann sie im Wettstreit emsig auf die göttlichen Worte hören und lassen nicht ab davon, bis sie es erreichen, das Wahre, bis sie ankommen an den Pforten der Weisen. Denn wie vom Salz aus dem Fleisch das Blutwasser und die Fäulnis und alles Schlechte herausgesogen wird: traun, in gleicher Weise werden aus einer Jungfrau alle der Vernunft baren Begehrlichkeiten des Leibes wie mit Säure ausgeschieden durch die Lehre. Ja, eine Seele, die nicht gleichwie mit Salz bestreut wird mit den Sprüchen Christi, die muß anfaulen und Würmer gebären; wie es zuversichtlich bei David war, dem Könige, der das Bekenntnis „es faulten und verwesten meine Striemen“2 unter Tränen hinausschrie im Gebirge, weil er nicht mit dem Salz der Weisheitszucht sich durchsäuert hatte, sondern dem leichten Sinn sich ergab und ausbrach in Liebesgier und des Ehebruchs S. 286 Übelgeruch von sich gab. Darum steht im Buche Levitikus3 das Verbot, keine Gabe dem Herrn und Gott zum Ganzopfer darzubringen, sie sei denn mit Salz gesalzen. Als ätzendes Salz aber und zum Vorteil beizende Säure ward uns gegeben jeglicher geistliche Gebrauch der Schrift: Und ohne solchen mag unmöglich dem Allmächtigen vernünftigerweise sich opfern eine Seele; denn so sagt der Herr seinen Aposteln: „Ihr seid das Salz der Erde“4. Es muß also eine Jungfrau immer nach dem Edlen trachten und unter den Meistern der Weisheit glänzen; sie darf nichts Leichtsinniges noch Weichliches dulden; sie muß die Beste sein und Gedanken hegen würdig der Jungfrauschaft, muß mit dem Worte allzeit wegfegen das Blutwasser der Wollust, damit nicht im Verborgenen leise Fäulnis den Wurm der Zuchtlosigkeit gebäre; denn „die Unverheiratete sorgt der Dinge des Herrn, wie sie dem Herrn gefalle, damit sie heilig sei an Leib und Geist“, sagt der selige Paulus5. Aber manche sehen im Lernen nur eine Nebensache und meinen dann Wunder was sie leisten, wenn sie auch nur ein Weilchen sich zur Aufmerksamkeit herbeilassen; hinaus mit solchen! Mit Spießbürgertum, Plattheit und verlogener Weisheit keine Gemeinschaft in den göttlichen Lehren! Oder ist es nicht zum Lachen, wenn man lang und breit mit Dingern schwätzt, die für das Minderwertige zu aller Kunstfertigkeit sich anstrengen, um ja am Ende traun etwas ganz Genaues zu besitzen: beim Notwendigen aber, das ihnen Förderung brächte in der weisen Zucht, da hält man nicht auf feinste Sorgfalt.
