Inhalt der zweiten Rede
S. 112 Von den vier Hauptbeweisstellen der Arianer für ihre inferioristische Lehre vom Gottessohn, die in c.53 der ersten Rede zitiert sind (Sprichw. 8,23; Hebr. 1, 4; 3, 12; Apg. 2, 36) findet an Ort und Stelle nur noch Hebr. 1,4 die orthodoxe Erklärung. Die apologetisch-polemisierende Exegese der übrigen drei Stellen folgt in der zweiten Rede nach, näherhin die von Hebr. 3,2 in cc. 6-11, von Apg. 2,36 in cc. 11-18 und von Sprichw. 8, 22. 23 in cc. 18-22.
In den einleitenden Kapiteln gibt Athanasius den Zweck der Rede und die allgemeinen Voraussetzungen an, unter denen eine vernünftige und richtige Exegese möglich sei: Glaube an die Gottheit Christi und Rücksichtnahme auf den Sinn und nicht den Wortlaut der Schrift.
Obschon man alle Schriftworte, die eine Erschaffung oder Unvollkommenheit vom Sohne Gottes aussagen, auf seine menschliche Seite beziehen kann und muß, und darum seine Gottheit nicht gefährden, so ist doch eine eingehendere Erklärung solcher Worte gegen ihre Mißdeutung durch die Arianer und zu deren Beschämung angezeigt (c. 1). Daß ja der Herr Gottessohn ist, und nicht bloß ein Geschöpf, muß zugeben, wer nicht die ungereimtesten Aufstellungen wagen will (c. 2). Nach diesem Zugeständnis kommt es nicht mehr auf die Worte an, sondern die Sache entscheidet, und die Interpretation der Schrifttexte hat sich nach dem Sinn, nicht nach dem Wortlaut zu richten, wie aus der Bibel selbst erhellt, laut der z. B. „machen“ nur ein uneigentlicher Ausdruck für „zeugen“ ist und als solcher auch von der Zeugung des Sohnes verstanden werden könnte (c. 3-5). - Nach beiläufiger Erwähnung der Ungereimtheit, die aus der Annahme, der Sohn sei ein Geschöpf, nach S. 113 Eccl. 12, 14 folgte (e. 6), geht Athanasius zur Behandlung des Schriftworts Hebr. 3, 2 über.
Vor allem muß man von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes „treu“ die richtige (= „vertrauenswürdig“) für das Wort und den Sohn Gottes wählen (c. 6). Aus dem Zusammenhang, aus Beachtung von Zeit und Umständen ergibt sich jedoch, daß der Ausdruck „gemacht“ auf den Sohn geizt, insofern er einen gewordenen Leib annimmt, bezw. in der Menschwerdung Hoherpriester geworden ist (cc. 7__9). Das „treu“ bedeutet aber: 1) zuverlässig in Worten und Werken, 2) daß das von ihm dargebrachte Opfer im Gegensatz zu den alttestamentlichen ein bleibendes ist, 3) daß er ewig und unveränderlich wie der wahre Gott, sein Vater, ist (cc. 9. 10). - Die Menschwerdung des Sohnes erklärt alle inferioristisch klingenden Schriftaussagen über ihn, so auch die Worte des Petrus in Apg. 2, 36. Anders wäre es, wenn es hieße: „Er machte sich einen Sohn-(bzw. “Wort„) (c. 11). - Apg. 2, 36 weist so gut wie Apg. 2,22 auf die Menschwerdung des Herrn, näherhin auf die in der Zeit erfolgte Offenbarung seiner als des ewigen Herrn und Königs hin (c. 12). Seine in der Schrift bezeugte ewige Königsherrschaft leugnen ist samosatenisch. Und wird auch der Ausdruck “er machte„ dem andern “er gab zu erkennen„ nicht gleichgewertet, so bleibt doch sein Sinn derselbe (c. 13). Zu unserer Erlösung läßt Gott seinen Sohn Mensch werden, damit dieser, von Natur ewig Herr und König, es auch in seiner Menschheit für uns werde (c. 14). Auf den doppelten Irrtum der Juden, wonach Christus nicht leidensfähig wäre, und in seiner Ankunft nicht das menschgewordene Wort, sondern ein bloßer Mensch zu erwarten stünde, sind Petri Worte gemünzt, der damit im vollsten Einklang mit der Schrift sich befindet (e. 15.16). Aus ihnen die Kreatürlichkeit des Sohnes zu folgern, verbieten auch Parallelstellen und gerade auch die Person des Redenden, der so offen den Gottessohn bekannt hatte (c. 17.18).
In e. 18 geht Athanasius zur dritten Stelle: Sprichw. 8, 22 über. Doch der eigentlichen Erklärung schickt er in cc. 19-43 ein längeres “Vorwort„ voraus, - das S. 114 Seitenstück zu cc. 2-5, - in dem er die Wahrheit von der Gottessohnschalt des Herrn nochmals begründet und gegen anderweitige arianische Einwände sicherstellt, damit die Arianer im Lichte dieser Wahrheit etwaige Schwierigkeiten in der Sprichwörterstelle von vornherein paralysiert sehen und sich zu deren richtigen Auflassung verstehen.
Ausgehend von ihrer Alexander, seinem Vorgänger, überreichten Bekenntnisschrift, kehrt er sich gegen das dort stehende Schlagwort: “Er ist ein Geschöpf, aber nicht wie eines von den Geschöpfen„, und deckt ihre durch den adversativen Beisatz schlecht verhehlte Bosheit auf. Mit diesem Zusatz setzen sie ja nur einen graduellen Unterschied zwischen ihm und den Geschöpfen, wie er auch unter den Geschöpfen selbst obwaltet (cc. 19. 20). Schrift und Vernunft stehen vereint gegen diese häretische Lehre voll Ungereimtheit und Widerspruch, wie er vorab liegt in der insinuierten Identität von Geschöpf und Schöpfer. Die Schrift weiß nur von einem wesentlichen Unterschied zwischen Sohn und Schöpfung, nicht von einem bloß graduellen, und dem Sohn die Stellung eines schöpferischen Mittlerwesens zuweisen, verrät neuen Unverstand (cc. 21-26). - Cc. 27. 28 enthalten die Antwort auf die These, durch ein den Geschöpfen ähnliches Mittelwesen können laut eines Schriftworts die ähnlichen Geschöpfe entstehen, ohne daß jenes aufhörte, einzigartig zu sein, ähnlich wie die Eine Sonne, die Eine Erde. - Auch die weitere Behauptung, der Sohn habe das Schaffen erlernt, ist widersinnig (c.28.29). Auch ist der Sohn kein Postulat der Weltschöpfung (cc. 29. 30), wohl aber konnte die Welt nur durch ihn entstehen, da er im Vater ist und der Vater durch ihn alles schallt (c. 31). Die Zeugnisse der Hl. Schrift für die Ewigkeit und Gottheit des Wortes brandmarken die arianische Häresie (c. 32). So wenig man sich den Sohn jünger als den Vater denken kann, ebensowenig darf man sich sein Ausgehen vom Vater in der Form einer Teilung vorstellen (cc. 33. 34). Gottes Wort und Sohn können die Arianer nicht dem Wort und Sohn eines Menschen vergleichen, da Gott ganz anderer Natur ist als der Mensch (cc. 35. 36). Ein zweites Wort S. 115 und eine zweite Weisheit neben dem Sohne existiert in Gott nicht; eine solche Doppelexistenz kennt weder die Schrift noch die Lehre der Kirche (cc. 37-39). Selbst ihr eigener Parteigenosse Asterius verwirft sie (c. 40). Für die wesenhafte Einheit des Sohnes mit dem Vater spricht auch die Taufformel (cc. 41. 42). Bei diesem Anlaß kommt er auf den Wert der Ketzertaufe zu sprechen und gibt in diesem Exkurs seinem “Vorwort„ einen rhetorisch wirkungsvollen Abschluß (cc. 42.43).
In c. 44 setzt jetzt die eigentliche Erklärung der Stelle Sprichw. 8,22 ein. Da es sich um ein Sprichwort handelt, so muß dessen dunkler Sinn erst eruiert werden, und man findet dann, daß es nicht die Substanz des Wortes berührt, sondern seine Menschwerdung ankündigt (c. 44). Denn nicht wie der Ausdruck “Geschöpf„, verrät auch das “er schuf„ an sich schon die Kreatur. Dieses bedeutet vielmehr in der Schrift bald “neuschaffen„ (c. 45), bald “umschauen„, im letzteren Sinne steht es in dem Sprichworte, und zwar mit Bezug auf die menschliche Natur des Wortes, während seine Substanz in der Schrift “Zeugung„ heißt (cc. 46.47). Als Zeugung ist aber das Wort kein Geschöpf, und als eingeborener Sohn kann er seiner Substanz nach nicht “Anfang der Wege„ = “Anfang aller Dinge„ sein, da er dann gleichwohl wieder zu allen Dingen gehörte und in Wahrheit nie allein existiert hätte, wie sich auch aus der Schrift abnehmen läßt (cc. 48. 49). Ja, der Wortlaut der Schriftstelle selbst verlangt eine andere Erklärung als die arianische, da das Wort, wenn seiner Substanz nach für die prioren Werke geschaffen, nicht mehr “Anfang der Dinge„ sein könnte; jene Worte sind also gesprochen mit Bezug auf die Inkarnation, und nur als Menschgewordener konnte das Wort seinen naturhaften Vater auch seinen “Herrn„ nennen (c. 50). Wenn aber die Arianer an der biblischen Bezeichnung “Knabe„ für den Sohn Anstoß nehmen, so sollen sie wissen, daß in der Schrift “Knabe„ auch für “Sohn„ steht. Er nennt also, uns gleichgeworden, mit Recht Gott auch seinen Herrn; und er wurde geschaffen, nicht damit er existiere, sondern unsere Erlösung bewirke (c. 51). Diesen Sinn haben auch andere Schriftstellen (Is. 49, 5; Ps. 8, 7; 2, 6) S. 116 und veranschaulicht ein Gleichnis aus dem Leben (c. 52). Bei Ausdrücken, die auf die Menschwerdung des Herrn zu beziehen sind, ist jeweils die Begründung angegeben, andernfalls stehen sie absolut (c. 53). So lautet auch die Offenbarung des Herrn selbst über sein Wesen absolut, für seine Menschwerdung gibt er aber den Grund an. die Erlösungsbedürftigkeit der ohnmächtigen Menschheit (cc. 54. 55), so auch in Sprichw. 8, 22. Wäre diese Stelle ein Beleg für die erschaffene Natur des Wortes, so hätten wir, immer noch unerlöst, keinen Anteil an ihm (c. 56). Auch seine Aussage: “Er zeugt mich„ spricht gegen seine Erschaffung, da die Schrift wohl scheidet zwischen “zeugen„ und “erschaffen„, und nach ihr das Wort anfangslose Zeugung ist, die gemachten Wesen aber einmal gewordene Geschöpfe sind (cc. 57. 58). Dem widerspricht nicht, daß in der Schrift gelegentlich auch die Menschen als “gezeugt„ und “Söhne Gottes„ bezeichnet werden, weil diese Sohnschaft nur eine in-der Menschwerdung des wahren Sohnes erlangte Adoptivsohnschaft ist (cc. 58. 59). Der Unterschied zwischen Geschöpf und Zeugung wird auch klar aus der Beifügung: „Aber vor allen Hügeln zeugt er mich“. Sie geht auf die ewige Zeugung des Wortes, die Stelle selbst auf seine Menschwerdung (c. 60). Die Menschen sind also durch Adoption Söhne, wie umgekehrt der wahre Sohn nur als Mensch gewordener auch unser Bruder und Erstgeborener genannt werden kann, insofern sein Fleisch zuerst vom Verderben errettet wurde. Wenn nun dieser „Erstgeborene„ auch “Eingeborener„ heißt, so ist diese Doppelbezeichnung nur unter einem doppelten Gesichtspunkt zulässig: erstere unter dem der Menschwerdung, letztere unter dem seiner naturhaften Gottessohnschaft (cc. 61. 62). Als "Erstgeborener der ganzen Schöpfung“ ist er aber von der Schöpfung verschieden und nicht ein Teil von ihr, da er ja sonst auch Bruder der unvernünftigen Kreatur wäre (cc. 63. 64). „Anfang der Wege“ aber heißt das Wort, weil die durch Adams Fall notwendig gewordene Erneuerung und Wiederherstellung der Menschheit in seiner Menschwerdung den Anfang nahm (cc. 65-67). Allerdings hätte Gott, wie die Arianer meinen, eine andere Form S. 117 der Erlösung wählen können, aber Wohl und Wehe der Menschen erheischte gerade diese Form, d. h. die Erlösung durch einen mensch gewordenen Gottessohn, durch einen Menschen, damit die Menschheit in ihm den Anknüpfungspunkt und die Bürgschaft ihrer Erlösung fände, durch den Gottessohn, damit sie mit Gott in Verbindung treten, vergöttlicht werden könnte, und ihre Erlösung eine völlige und dauerhafte wäre (cc. 68-70). Weil „Geschöpf“ = „Werk“, so deutet auch der Ausdruck: „für die Werke“ auf die Inkarnation hin und spricht gegen die Geschöpflichkeit des Wortes, womit auch andere Schriftstellen übereinstimmen, in denen der Sohn als Wort und Schöpfer der Werke von den Geschöpfen geschieden erscheint (cc. 71. 72). In cc. 73-77 folgt die Auslegung, von Sprichw. 8, 23: „Er gründete mich vor der Zeit“. Das Sprichwort, das wieder als solches verstanden sein will, sagt nicht: „Er gründete mich als Wort oder Sohn“, worauf es ja ankommt; es besagt vielmehr, daß seine Gründung mit seiner Menschwerdung zusammenfällt, in der es Grundfeste unserer Neuschaffung wurde (cc. 73. 74). Wendungen wie: „vor der Zeit“ zeigen nur den vor der Weltschöpfung gefaßten Plan der künftigen Erlösung an, wie aus 2 Tim. 1, 8-10 und Ephes. 1, 3-5 erhellt. Gott hat eben wie ein weiser Baumeister schon vor dem ersten Bau für eine etwa notwendige Erneuerung Vorsorge getroffen (cc. 75-77).
In c. 77 kommt Athanasius wieder auf Sprichw. 8, 22 zurück, um seinen verschleierten Sinn aufzudecken, bzw. eine ganz neue Erklärung für diese Stelle zu geben. Danach bedeuteten jene Worte: Gott hat die akzidentelle Weisheit als Abbild der Selbstweisheit den Geschöpfen eingefugt, so daß die wahre Weisheit im Namen dieser ihrer abbildlichen wie von sich selbst sagen kann: „Der Herr schuf mich“, ohne da„-.;t irgendwie ihre Substanz als geschaffen zu bezeichnen (cc. 78.79). Entsprechend dieser neuen Auffassung von Sprichw. 8, 22, fur die Athanasius in Apg. 9, 4 eine Stütze findet, erfahren dann in c. 80 die einzelnen Begriffe jener Stelle auch eine veränderte Auslegung. - Mit Sprichw. 8, 27 will die Weisheit sagen: Als schöpferische Weisheit prägte ich den Geschöpfen meine Gestalt ein, damit die S. 118 Welt in sich einig wäre, und die Menschen vermöge der ihnen anerschaffenen Weisheit die urbildliche und in ihr Gott selbst erkennen möchten. Die Offenbarung der göttlichen Weisheit von sich und Gott durch ihre Nachbildung in den Geschöpfen wurde noch deutlicher mit ihrer Menschwerdung (c. 81). Nebst der gegenseitigen Erkenntnis von Vater und Sohn spricht ihr gegenseitiges Sich erfreuen (Sprichw. 8, 30) für die Wesenseigenheit der beiden. Dieses "Sich freuen“ besteht im gegenseitigen Sichschauen. An den Menschen aber freut sich Gott (Sprichw. 8, 31), weil er in ihnen die nach seinem Bild geschaffenen Werke schaut. Mit kurzer Zusammenfassung des Endresultats: nichtig alle Einwände der Arianer, nichtig ihr Schlagwort (Sprichw. 8,22), der Sohn kein Geschöpf, sondern des Vaters eigene Zeugung, eigenes Wort - schließt die Rede (c. 82).
