VORWORT Richard Burgundios von Pisa (1159)
S. 4 zu seiner lateinischen Uebersetzung des Werkes des Nemesios von Emesa.
Dem niebesiegten und allerruhmreichsten Herrn Friedrich, von Gottes Gnaden Herrscher der Römer und allzeit erhabenem Kaiser, wünscht Burgundio, Richter aus Pisa, Heil und Sieg über die Feinde.
Weil ich in meinen Gesprächen mit Euch, erlauchtester Herrscher, genau prüfen konnte, daß Eure Majestät die Natur der Dinge kennen lernen und ergründen wolle, habe ich mich daher entschlossen, dieses Buch, das heißt: das Buch Gregors, des Bischofs von Nyssa, des Bruders des heiligen Basilius, Euch zuliebe aus dem Griechischen ins Lateinische zu übertragen. Darin handelt er philosophisch von der Natur des Menschen, vom Körper, von der Seele, von der Vereinigung der beiden (des Körpers und der Seele), von der Vorstellungskraft, dem Urteilsvermögen, dem Gedächtnis und dem Vernunftlosen, das Teil, Kraft oder Vermögen unserer vernünftigen Seele ist. Dieses Vernunftlose zerfällt in zwei Teile: in den vernunftgehorsamen Teil — freilich nur bei den Menschen mit naturgemäßer Lebensweise; denn diese bezähmen ihre Leidenschaften — und in den vernunftwiderstrebenden Teil. Was der Vernunft gehorcht, gliedert sich wieder in zwei Teile: in das Begehrungsvermögen, das die Leber zum Organ hat, und in den Zorn mit dem Herzen als Organ. Das Begehrungsvermögen teilt sich ähnlich zweifach: in die Freude, die in dem Augenblick da ist, wenn man sich des begehrten Gegenstandes bemächtigt, und in die Betrübnis, die dann herrscht, wenn man den Gegenstand nicht erhält. Das erwartete Gut bildet die Sehnsucht, das gegenwärtige Gut die Freude; das erwartete Uebel die Furcht, das gegenwärtige Uebel die Betrübnis. Dieses „Gut" und „Uebel" versteht man nicht im Sinne der Wahrheit, sondern nach der Auffassung des Menschen, der dies erleidet — alle diese Erscheinungen sind Leiden, erst wenn sie in großem Umfang und sinnlich wahrnehmbar auftreten. Aehnlich ist das, was der Vernunft nicht gehorcht, etwas Natürliches, z. B. die Nährkraft, die Kraft des Wachsens und die Zeugungskraft; etwas Andres ist das Belebende, z. B. die Pulskraft, die die Arterien zu Organen hat. Die Nährkraft hat vier Eigenschaften: sie zieht an, hält zusammen, verändert und stößt aus. S. 5 Die Zeugungskraft gehorcht, obschon ihre Anwendung in unserer Macht liegt, doch nicht der Vernunft. Denn ohne es zu wollen, gießen wir in den Träumen Samen aus; aber zum Verlangen nach sinnlicher Lust werden wir unwillkürlich getrieben, da es naturhaft ist. Was der Vernunft gehorcht, ist seelisch und nicht natürlich, es teilt sich doppelt: in die Sinne, deren es fünf gibt, und in die WilLensbewegung, die folgende Arten hat: die Bewegung von Ort zu Ort, die Bewegung der Stimme, die Bewegung des Atmens; diese sämtlichen Bewegungen haben die Nerven zu Organen. Das Atmen ist zwar mit einer natürlichen Kraft verknüpft, weil es durch die rauhe Arterie geschieht und weil wir nicht eine einzige Stunde, selbst nicht im Schlafe von ihm lassen können; aber trotzdem vollzieht es eine seelische und daher freiwillige Tätigkeit, weil die Muskeln, die den Brustkörper ausdehnen, seine hauptsächlichsten Werkzeuge sind. Denn die natürlichen und lebenerhaltenden Kräfte erfüllen ohne unser Wissen und sogar ohne unsern Willen ihre Pflicht, die seelischen Kräfte hingegen arbeiten nur dann, wenn wir wollen. Ueber all das spricht sich dieser heilige Vater in diesem Buche sehr scharfsinnig aus: über die Art, wie diese Dinge sich abspielen; ähnlich darüber, warum wir mit freiem Willen geschaffen worden sind und daß wir deswegen beratschlagen; er spricht von Fällen, über die wir beratschlagen; ferner davon, daß wir über manche Dinge Gewalt haben, und auch davon, welche Dinge wir auswählen. Aehnlich handelt er von der Vorsehung Gottes und davon, worauf sich die Vorsehung erstreckt. Wenn ich wahrgenommen habe, daß Ihr Euch bei diesen Dingen lebhaft angeregt zeigt, werde ich dafür sorgen, Euch noch Erhabeneres zu übersetzen: schreiben will ich vom Körper des Himmels, von seiner Gestalt und seiner Bewegung, von all den Leiden, die vom Himmel herabkommen; z. B. von der Milchstraße, den Kometen, den Winden, den Blitzen, den Donnern, dem Regenbogen, den Regengüssen, dem Hagel, dem Reif, warum das Meer salzig ist, warum es trotz des Zustroms so vieler Flüsse nicht an Größe zunimmt, nicht süß wird, vom Erdbeben, von der Art seiner Entstehung. Wenn das alles durch Eure Vermittlung zu Euren Zeiten lateinisch übersetzt ans Licht kommt, wird Eure Majestät unermeßlichen Ruhm und ewige Ehre ernten, und Euer Staat wird den reichsten Nutzen davontragen. Dieses Buch also, das ich getreu übersetzt und, soweit ich konnte, mit Eifer verbessert habe, biete ich Eurer Erhabenheit dar, ich bringe dabei mich und meine Kräfte Eurem Dienst zum Opfer; was Ihr aber schon befohlen habt, und wenn Ihr noch andere Befehle geben werdet, so bin ich bereit, sie nach Eurem Wunsche auszuführen, weil ich Euch in allem treu und ergeben bin.
