Zweites Lied.
S. 219 1. Der Wolf1kleidete sich in das Gewand eines Lammes der Wahrheit. Die arglosen Schafe beschnupperten ihn, aber erkannten sein wahres Wesen nicht. Als er den verstorbenen Hirten völlig betört hatte2, da ließ er die Lammeshülle fallen und zeigte sich offen als Wolf. Die Böcke nahmen sofort seinen Geruch auf; sie haßten die Lämmer, ihn aber liebten sie als ihren Hirten.>br> Kehrvers:
Heil dem, der ihn vernichtet und alle Söhne des Irrtums in Trauer versetzt hat!
2. Sie [die Böcke] freuten sich über ihn, denn er war ein Magier; sie frohlockten über ihn, denn er war ein Zauberer. Sie gerieten außer sich vor Freude, weil er Kaiser, und in Entzücken, weil er Götzenpriester geworden war. Sie jubelten, weil nun durch ihn die Stelle so vieler Könige und Königinnen ihres Schlages, eines Achab, Jeroboam, Joathan, Manasses, einer Jezabel, Athalia, jener Quellen des Heidentums, wieder ausgefüllt war.
3. Sie verwarfen den Erlöser, den Zeugen des Wahrhaftigen, der die Wißbegierigen belehrte, daß es nur einen Gott gebe. Sie kreuzigten ihn durch ihren Abfall und ihre Vielgötterei [aufs neue] und freuten sich über das abscheuliche Unterpfand. Durch seine Opfer mietete und führte er die Götterschar herbei, damit sie [die Götterschar] die Dornenbüschel für das Höllenfeuer aufhäufe.
4. Auf seinem Feldzuge nahm er seine Götter und die Göttin3, die er gegossen und in Erz gekleidet hatte, sowie Zauberer und Wahrsager mit; alle Söhne des Irrtums begleiteten ihn mit ihren Gebeten. Im Vertrauen S. 220 auf die großartigen Verheißungen zog er aus und zerstörte sogar seine eigene Flotte, erwarb aber dadurch allen seinen Anhängern nur eine Krone von Schmach.
5. Seine Götter und Göttinnen pflegten miteinander zu tollen, und er, der der Keuschheit entsagt hatte4schämte sich nicht, Götzen zu feiern, welche den Göttinnen liebestoll nachlaufen. Er war ihnen Opferbock und Opferpriester zugleich. Seinen Bart weihte er der Schande: er ließ ihn wachsen und neigte ihn herab, damit der Opferrauch ihn durchdringe.
6. Ihm sagte die Feier jener Schandgöttin5zu, an deren Festtage Weiber und Männer vor unreiner Lust rasen, Jungfrauen sich preisgaben, Ehefrauen Unzucht treiben und schandvolle Reden ausstoßen. Solche abscheuliche Feiern liebte er, aber von den gesegneten Festen der Keuschheit und dem Ostern der Lauterkeit6wollte er nichts wissen.
7. Die Heiden trugen ihre Götzenbilder umher und waren ausgelassen; die Beschnittenen lärmten mit der Posaune und rasten; alle schrien zusammen und tobten. Es war wie bei jenem Feste in der Wüste. Der Allgütige, der dort die durch das eine Kalb Aufgeregten ernüchterte, ernüchterte auch hier die Scharen, die der eine Kaiser aufgeregt hatte.
8. Er zermalmte jenes Kalb, um die Aufregung S. 221 wegzunehmen; er zerbrach diese Kaiserkrone, um der Raserei ein Ende zu machen. Wie ein Arzt schnitt er die Ursache der Aufregung weg. Beide wurden im Süden gestürzt; durch ein scharfes Eisen vernichtete er das Kalb und durch einen furchtbaren Speer den Kaiser.
9. Die Ziegen vom Geschlechte jenes Ziegenbockes7, mit langen Haaren und stinkenden Bärten8, umringten den Schwarzen [Julian], der auf die Ehe verzichtete9, weil er sich seiner Schande [Aphrodite] verlobt und geweiht hatte; diese Zeichendeuter der Linken trieben durch ihre Weissagungen10den Bock an, gegen Persien in den Krieg zu ziehen, um dort als Opfer zu fallen.
10. Mit ihren Orakeln knickten sie den Stengel des Unkrauts, den Schaft und die Säule, auf die sich die Dornen, seine Gesinnungsgenossen, und die Disteln, seine Sippschaft, stützten. Dem Weizen hatte er bei seinem Aufbruch gedroht, ihn nach der Rückkehr mit dem Gestrüppe seines Heidentums zu ersticken11; aber der Ackersmann der Gerechtigkeit jätete das Unkraut aus.
11. Er war jenem Dornstrauch gleich, von dem geschrieben steht12, daß er stolz und übermütig wurde, so S. 222 daß er die Zedern und Zypressen zu erniedrigen drohte, die Disteln und Unkräuter dagegen erhöhen wollte. Aber der gerechte Gott machte aus ihm einen Besen, kehrte damit rücksichtslos allen heidnischen Unrat zusammen, schaffte sein Heidentum fort und warf es an einen abgelegenen Platz.
12. Die Magier und Wahrsager einzeln zu besiegen, däuchte der Wahrheit zu gering; deshalb band sie dieselben mit dem einen Kaiser zusammen und gab ihnen Gelegenheit, sich mit Helm und Rüstung zu wappnen, um sie dann zusammen in dem einen zu besiegen und das Band der Schmach um sie alle zu schlingen. Denn alle Söhne des Irrtums erwiesen sich in jeder Beziehung als Betrüger.
13. Haben nun alle insgesamt bei ihren Weissagungen betrogen, so hat natürlich auch jeder einzelne für sich Lügen geweissagt. Die Schweine zogen aus und besudelten sich mit abscheulichem Unräte. Sie sind eine Herde, welche die Welt beschmutzte; denn sie zogen aus und beschmutzten sich, dann kehrten sie zurück und schüttelten sich aus. Und es gelang ihnen und gelingt ihnen noch, viele zu verführen.
14. Nachdem der König von Babylon die Sterndeuter überführt hatte, ließ er keine andern mehr rufen; denn er hatte sie ein für allemal erprobt. Daher zog er sich von ihnen zurück, verstieß sie und überlieferte sie dem Tode13. Er wollte also von seinen eigenen Leuten nichts mehr wissen. Wenn sie nun aber diesen betrogen haben, um wieviel mehr werden sie dich betrügen! Und wenn alle gelogen haben, wie sollte man da einem von ihnen glauben können?
15. Denn er hatte gewahrsagt und versprochen, S. 223 geschrieben und uns übersandt, daß er auf seinem Feldzuge Persien überwältigen und demütigen, Singar14aber wieder aufbauen würde. Aber die Drohung seines Briefes erfüllte sich so wenig, daß sogar Nisibis infolge seines Kriegszuges verloren ging; denn er hatte durch seine Beschwörer gerade die Macht15, auf die es vertraute, gelähmt. Als Opferlamm rettete die Stadt sein Heer.
16. Gott hat das eroberte Nisibis als Spiegel aufgestellt, in den wir schauen sollen. Den heidnischen Kaiser, der auszog, um zu nehmen, was nicht sein war, ließ er das verlieren, was sein war, diese Stadt, welche der Welt die Schmach seiner Beschwörer verkündigte. Damit aber seine Schande eine fortdauernde sei, mußte er [Julian]16diesen fortwährenden, unermüdlichen Herold dem Feinde ausliefern.
17. Sie [die Stadt Nisibis] ist ein Herold, da sie den Schimpf seiner [des Julian] Beschwörer mit vier Zungen17in alle Welt hinausruft; denn die Tore dieser Stadt öffneten sich ehedem nach den glücklich überstandenen Belagerungen und öffnete damit zugleich unseren Mund zum Preise unseres Befreiers; heute sind sie verschlossen, um dadurch den Mund der Heiden und Irrgläubigen zu verschließen.
S. 224 18. Wir wollen nun der Ursache nachgehen, warum und wie diese Stadt, der Schild aller Städte18, preisgegeben wurde. Der Rasende hatte in seiner Raserei seine Schiffe auf dem Tigris verbrannt. Ohne daß er es merkte, hatten die Bärtigen den Bock überlistet, der sich doch rühmte, das Verborgene zu wissen. So wurde er offen getäuscht, damit er im geheimen noch mehr beschämt würde.
19. Diese Stadt verkündete die Wahrheit ihres Befreiers, als die plötzlich ausgebrochenen und anprallenden Fluten sich legten, die Belagerungswerke einstürzten und die Elephanten ertranken. Der damalige Kaiser19rettete die Stadt durch sein Bußgewand; der Tyrann [Julian] aber vereitelte durch sein Heidentum ihren Triumph, während sie ehedem das Gebet mit Sieg gekrönt hatte.
20. Die Wahrheit war ihre Mauer, das Fasten ihr Bollwerk. Die Magier kamen drohend heran, aber in ihnen wurde Persien zuschanden, Babylon in seinen Sterndeutern und Indien in seinen Zauberern. Dreißig Jahre20lang hatte sie die Wahrheit mit Sieg gekrönt. Aber als jener im Sommer21in der Stadt ein Götzenbild aufgestellt hatte, entfloh die Gnade, und der Zorn eilte herbei.
21. Die leeren Götzenopfer entleerten ihre [der Stadt] Volksmenge; die Dämonen, die Söhne der Wüste22, verwüsteten sie infolge ihrer Trankopfer; der Götzenaltar, der in ihr errichtet worden war, zerstörte und entfernte den Altar, dessen härene Decke23 uns S. 225 gerettet hatte; die Feste der Raserei beseitigten ihre [der Stadt] Festfeier, und der Dienst der Söhne des Irrtums machte ihrem Gottesdienst ein Ende.
22. Nachdem der Magier24in unserer Stadt eingezogen war, sühnte er unsere Schmach und verachtete seinen Feuertempel, ehrte aber unsere Kirche; er zerstörte die Götzenaltäre, die zur Zeit unserer Erniedrigung erbaut worden waren, und riß die zu unserem Schimpf errichteten Baulichkeiten nieder; denn er wußte, daß die Gnade, die uns dreimal25vor ihm errettet hatte, nur von einem Heiligtume26ausgegangen war.
23. Wie sehr hat sich doch die Wahrheit in unserer Stadt geoffenbart! Sie zeigte sich in unseren Breschen nach allen Seiten hin, so daß sogar Blinde sie in unserer Errettung sehen mußten. Auch der König27erkannte sie in unserer Befreiung; da er sie in unseren Triumphen geschaut hatte, als er noch außerhalb der Stadt war, ehrte er sie durch Opfergaben, nachdem er in dieselbe eingezogen war.
24. Der Krieg war der Ofen der Prüfung, der dem König die Schönheit der Wahrheit und die Hässlichkeit der Lüge offenbarte. Durch die Erfahrung lernte er, daß der Herr dieses Hauses in allem gütig und gerecht ist; denn solange die Stadt ihm gläubig anhing, überlieferte er sie ihm trotz aller seiner Anstrengungen nicht; als sie ihn aber durch ihre Götzenopfer herausgefordert hatte, gab er sie ihm mühelos preis.
25. Das Bußgewand des seligen Kaisers28hatte diese Stadt, die das Haupt des ganzen Zweiströmelandes S. 226 war, errettet und verherrlicht; die Gotteslästerung des Tyrannen dagegen erniedrigte und demütigte sie. Wer vermöchte die Größe ihrer Schande zu ermessen? Sie, die vordem das Haupt des ganzen Abendlandes gewesen, ist jetzt zur äußersten Ferse des Morgenlandes geworden.
26. Diese Stadt darf nicht mit den übrigen gleich gestellt werden; denn zu wiederholten Malen hat sie der Gütige vom sicheren Untergang, vom Krieg unter29und über der Erde errettet. Als sie aber ihrem Retter mit Undank lohnte, da gab er sie preis; doch mischte der Gerechte seiner Zornesglut sein Erbarmen bei, so dass er uns nicht in die Verbannung trieb und zerstreute, sondern im Heimatlande ließ30.
27. Der Kaiser war Götzenpriester geworden und hatte unsere Kirche mit Schmach überhäuft; der Magierkönig dagegen ehrte unser Heiligtum. Er verdoppelte unseren Trost, indem er unser Heiligtum ehrte. Er betrübte und erfreute uns zu gleicher Zeit und zerstreute uns nicht. So hat Gott jenen Irrenden durch einen anderen Irrenden zurechtgewiesen, und je undankbarer der Götzenpriester sich zeigte, desto dankbarer erwies sich der Magier.
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Julian ↩
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Kaiser Konstantius II., bei dem sich Julian durch seine Lobreden zu insinuieren wußte. ↩
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Pallas Athene. ↩
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Ammian 25,4 rühmt dagegen seine Sittenreinheit: ita inviolata castitate enituit, ut post amissam conjugem nihil unquam venereum agitaret…. Quam labem in adulto robore juventutis ita caute vitavit, ut ne suspicione quidem tenus libidinis ullius vel citeroris vitae ministris incusaretur, ut saepe contingit. ↩
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Aphrodite; eine solche Feier, bei welcher Julian den Umzug ausgelassener Weiber und Männer hoch zu Roß begleitete, schildert Chrysostomus, In s. Babylam, contra Julianum et contra gentiles § 14 [MSG 50,555] und ruft dabei seine antiochenischen Zuhörer als Zeugen für die Wahrheit seiner Schilderung auf. ↩
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Vgl. 1 Kor. 5,7 ff. ↩
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Der König von Griechenland, d. i. Alexander der Große, erscheint in der Vision Daniels 8 unter dem Bilde eines zottigen Ziegenbockes [8,21: „der zottige Ziegenbock bedeutet den König von Griechenland“]. Die Ziegen sind also die Neuplatoniker in der Umgebung Julians. ↩
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Verhöhnung der Philosophentracht. ↩
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Julian war 355-360 mit der jüngsten Schwester des Kaisers Konstantius II., Helene, verheiratet; aber nach deren frühen Tod ging er keine weitere Ehe mehr ein. ↩
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Vgl. das oben [Vorbemerkung 7] mitgeteilte Orakel des Philosophen Maximus. ↩
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Μέλλοντος γαρ αυτο ὲπί πέρσας στρατεύειν καὶ μετὰ τὸν πόλεμον κακῶς ποιήσειν τὰς ἐκκλησιας ἐπαπειλουντος Sozomenos Hist. Eccl. VI, 2 (MSG 67, 1296) ↩
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4 Kön. 14,9-10. Als Amasias, König von Juda, dem König Joas von Israel eine Kriegserklärung sandte, antwortete dieser mit der Bilderrede: „Die Distel auf dem Libanon sandte zu der Zeder auf dem Libanon und ließ ihr sagen: Gib deine Tochter meinem Sohne zum Weibe! Aber das Wild des Waldes auf dem Libanon lief über die Distel und zertrat sie.“ ↩
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Dan. 2,12. ↩
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Singar in Mesopotamien war 360 von den Persern erobert und zerstört worden [Ammian 20, 6 u. 7]. ↩
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Die Reliquien des hl. Jakobus, Bischofs von Nisibis [Ö etwa 338] galten als Palladium dieser Stadt [Ephräm, Carmina Nisibena, ed. Bickell 18,18-21]. Solange der hl. Leichnam in der Stadt begraben war, war sie den Persern uneinnehmbar, als aber, wie Gennadius, de script, eccl. 1 [MSL 58, 1062] berichtet, Julian ihre Entfernung verfügt hatte, mußte Nisibis den Persern ohne Schwertstreich infolge eines schimpflichen Friedens ausgeliefert werden; dadurch rettete Jovian wenigstens sein Heer. ↩
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Tatsächlich war es Jovian, der Nachfolger Julians, der Nisibis ausliefern mußte; aber die eigentliche Ursache war Julian. ↩
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das sind die vier Stadttore, welche durch ihr Geöffnet- bezw. Geschlossenwerden je nach den Zeitläuften den Preis des Befreiers [des hl. Jakob bezw. Gottes] oder die Schmach Julians verkündeten. ↩
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Nisibis war das Hauptbollwerk gegenüber Persien ↩
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Konstantius II. Gemeint ist die wunderbare Befreiung von der dritten Belagerung 350, die. ich oben [Vorbem. 3] geschildert habe. ↩
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Ephräm nennt hier eine runde Summe, in Wirklichkeit waren es 26 Jahre [337-363]. ↩
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Es wird der Sommer 363 gemeint sein. ↩
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Is. 34,14; Matth. 12,43; Luk. 11,24. ↩
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In Zeiten der Bedrängnis wurde dem Altar gleichsam ein Bußkleid angelegt, indem man das Altartuch mit einer härenen Decke vertauschte. ↩
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Der persische König Sapor II. ↩
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338; 346; 350. ↩
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Wo der hl. Jakob begraben war. ↩
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Der Perserkönig. ↩
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Konstantinus II. ↩
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Ephräm denkt an die versuchte Unterminierung der Stadtmauern. ↩
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Vgl. hierzu Vorbemerkung 10. ↩
