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Bei Montfaucon c. V.
Ein anderes Mal siehst du einen Bettler vorüber gehen, einen Menschen aus dem niedrigsten Stande, ganz verachtet, der aber in seiner Armuth ein tugendhaftes Leben führt. Wenn ihn dann deine Kameraden für einen recht bedauernswerthen Mann ausgeben, dann lobe ihn, so wird das Lob des vorübergehenden Bettlers zugleich eine Mahnung und Ermunterung zu einem frommen, tugendhaften Lebens S. 20 wandel sein. Wenn sie sagen: das ist doch ein höchst elender und beklagenswerther Mensch — dann sage du: Nein, es ist der allerglücklichste, weil er Gott zum Freunde hat, ein tugendhaftes Leben führt und in seinem guten Gewissen einen unerschöpflichen Reichthum besitzt. Daß er kein Geld hat, was schadet ihm Das? Wird er doch einst die himmlischen Güter und Freuden erben. Wenn du solche Erwägungen vorbringst, wenn du so deine Genossen und andere Leute unterweisest, dann lobst und tadelst du zur Ehre Gottes, und wirst einst für Beides reichlich belohnt werden.
Indem ich euch dazu ermahne und anleite, rede ich fürwahr nicht leichthin, nicht ohne guten Grund. Nein, es ist so, wie ich sagte: Wer so gesinnt ist, Dem ist von Gott dem Herrn ein großer Lohn hinterlegt, und solche Urtheile werden wirklich als Verdienst angerechnet. Höret nur, wie über die Menschen, welche sich so verhalten, der Prophet redet, und wie er es unter die guten Werke rechnet, wenn man die Gottesfürchtigen preist, die Gottlosen verachtet!1 An jener Stelle spricht er davon, wie Derjenige beschaffen sein müsse, der im heiligen Zelte wohne, er müsse nämlich untadelig sein, Gerechtigkeit üben, unschuldig sein, und nachdem er also die übrigen Tugenden aufgezählt hat, die man besitzen muß, um von Gott geehrt zu werden, nachdem er gesagt hat: „Der Täuschung nicht auf seiner Zunge hegt, der seinem Nächsten nichts Übles thut,“2 setzt er hinzu: „In seinen Augen ist der Bösewicht Nichts werth; die aber den Herrn fürchten, preis’t er.“ Da habt ihr den Beweis, daß es etwas Verdienstliches ist, wenn man die Gottlosen verachtet, die Gottesfürchtigen aber lobt und selig preist. An einer andern Stelle lehrt er ganz dasselbe mit den Worten: „Bei mir sind aber hoch in Ehren, o Gott, deine Freunde, gar sehr gekräftigt ist ihre Herrschaft.“3 Wer von Gott S. 21 gelobt wird, Den sollst du nicht tadeln — er lobt den Gerechten, auch wenn er ein Bettler ist. Wer von Gott verabscheut wird, den sollst du nicht loben — er verabscheut den Bösewicht, auch wenn er noch so reich ist. Wenn du aber lobst, und wenn du tadelst, thue Beides so, wie Gott es will.
Man kann auch sogar schelten zur Ehre Gottes. Und wie denn? Wir sind oft ungehalten über unsere Dienstboten. Wie können wir nun um Gottes willen schelten? Wenn du siehst, daß Einer dem Trunke fröhnt, oder stiehlt, sei es nun ein Dienstbote oder Freund oder Angehöriger, oder daß er in’s Theater läuft, sein Seelenheil vernachläßigt, daß er schwört, falsch schwört, Lügen redet, dann werde ungehalten, strafe, weise zurecht, bessere — und Das alles hast du um Gottes willen gethan. Wenn du aber merkst, daß er sich gegen dich verfehlt, daß er in deinem Dienste Etwas versieht, dann verzeihe — und du hast um Gottes willen verziehen. Aber in Wirklichkeit machen Viele es mit ihren Freunden und Dienstboten gerade umgekehrt. Wenn man sich nämlich gegen ihre Person verfehlt, dann werden sie scharfe, unnachsichtige Richter; | wenn man aber Gott den Herrn beleidigt und die Seele zu Grunde richtet, Das rechnen sie für | Nichts. — Wieder ein anderes: Mußt du dir Freunde suchen? Thue es, aber um Gottes willen. Oder du mußt dir Jemand zum Feinde machen? Auch Das geschehe nur um Gottes willen. Wie können wir uns denn um Gottes willen Freunde und Feinde machen? Wenn wir uns nicht um solche Freundschaften bemühen, die uns Geldgewinn, Gastgelage und Menschengunst in Aussicht stellen; wenn wir vielmehr solchen Freunden nachspüren und uns anschließen, die es verstehen, in unserer Seele die Ordnung herzustellen, uns zur Pflichterfüllung anzutreiben, uns für unsere Sünden zu schelten, für Vergehungen ernstliche Vorstellungen zu machen, uns auszurichten, wenn wir gestrauchelt sind, und die durch Gebet und gute Lehren uns helfen, Gott dem Herrn näher zu kommen. So kann man um S. 22 Gottes willen sich auch Jemand zum Feinde machen. Wenn du merkst, daß ein nichtswürdiger Mensch, ein Mensch ohne Zucht und voll Bosheit, ein Mensch von schlechten Grundsätzen, dich zum Falle bringt, deiner Seele schadet, dann verlaß ihn, wende dich eilends von ihm ab. Das hat Christus befohlen mit den Worten: „Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, reiß es aus und wirf es von dir.“4 Es ist also sein Gebot, daß wir solche Freunde, die unser Seelenheil gefährden, um jeden Preis aufgeben und verlaufen, wären sie uns auch so lieb wie unsere Augen, und noch so nothwendig in unsern irdischen Angelegenheiten.
Wenn du an einer Zusammenkunft Theil nimmst und dich in weitläufigen Reden ergehst, thue auch Das um Gottes willen, und wenn du schweigst, dann schweige um Gottes willen. Wie kann man denn um Gottes willen an einer Zusammenkunft Theil nehmen? Wenn du in der Gesellschaft mit Andern nicht von weltlichen Dingen, nicht von solchen Angelegenheiten redest, die uns ganz gleichgiltig sein sollen, die uns Nichts angehen, sondern von den Wahrheiten der christlichen Lehre, von der Hölle und vom Himmelreich. Aber nicht von allerlei überflüssigen und unnützen Dingen, z. B.: Wer hat das Amt erhalten? Wer ist abgesetzt worden? Warum ist Dieser bestraft worden? Wodurch hat Jener seinen Gewinn gemacht und sein Vermögen gemehrt? Was hat Dieser bei seinem Ableben Jenem hinterlassen? Wodurch ist Dieser um die Erbschaft gekommen, der doch erwartet hatte, unter den Erben in erster Reihe zu stehen? Und so gibt es noch manches Andere. Laßt uns doch nicht von solchen Dingen reden, und auch nicht zugeben, daß Andere davon reden. Laßt uns vielmehr erforschen, was wir thun und reden müssen, um Gott zu gefallen.
S. 23Auch schweigen kannst du um Gottes willen: wenn du nämlich beleidigt, geschmäht und aus mancherlei Weise gequält wirst, und Das alles edelmüthig erträgst, und gegen den Beleidiger kein verletzendes Wort ausstößt.
Aber nicht allein loben und tadeln, daheim bleiben und ausgehen, reden und schweigen, sondern auch trauern und weinen, sich freuen und fröhlich sein kann man zur Ehre Gottes. Wenn du nämlich siehst, daß dein Bruder sich vergeht, oder daß du selbst in eine Sünde gefallen bist, und wenn du darüber seufzest und trauerst, so bringt dein Schmerz dir Heil, das niemals zu bereuen ist, wie Paulus sagt: „Denn die Gott gemäße Trauer wirkt unbereutes Heil.“5 Wenn du ferner siehst, daß ein anderer in Ehren ist, dann werde nicht mißgünstig, sondern danke Gott dem Herrn, daß er deinen Bruder auszeichnet; danke ihm dafür ebenso wie für die Wohlthaten, welche er dir erweis’t, und für diese Freude wird dir großer Lohn.
