5.
Montfaucon c. VI.
Wer könnte auch wohl mehr zu beklagen sein als ein neidischer Mensch? Während es ihm frei steht, sich über das Glück seiner Mitmenschen zu freuen, und aus dieser Freude überdieß noch Gewinn zu erzielen, zieht er vor, sich zu betrüben, und sich für den Verdruß auch noch Strafen, unerträgliche Züchtigungen von Gott zuzuziehen.
Allein ich habe gar nicht nöthig, hier von Lob und Tadel, von Traurigkeit und Freude zu reden; kann uns doch selbst die geringste und unbedeutendste Handlung sehr großen Nutzen bringen, wenn wir sie um Gottes willen verrichten. Kann wohl Etwas geringfügiger sein, als wenn man sich das Haar schneidet? Und selbst Das kann man um Gottes willen thun. Wenn du nämlich dein Haar S. 24 nicht zierlich zu ordnen, dein Angesicht nicht zu schmücken suchst, wenn du dich nicht aufputzest zur Bethörung und Verführung derer, die dich sehen, sondern dabei ganz einfach und kunstlos zu Werke gehst, und nur Das thust, was eben nöthig ist: dann hast du es um Gottes willen gethan und wirst ganz gewiß deinen Lohn erhalten, weil du eine verkehrte Begierde niedergehalten und ein unberechtigtes Verlangen nach Auszeichnung unterdrückt hast. Denn wenn Derjenige, der um Gottes willen nur einen Becher kalten Wassers reicht, das Himmelreich erlangen soll, wie großen Lohnes wird sich einst Derjenige freuen können, der Alles um Gottes willen thut?1
So kann man es auch selbst mit seinem Gang, mit seinen Blicken halten — Alles um Gottes willen! Wie kann man Das denn? Wenn du nicht zur Sünde hinläufst, wenn du dich nicht um fremde Schönheit kümmerst, wenn du beim Anblick eines Weibes deine Augen beherrschest und durch die Furcht Gottes in Schranken hältst: dann hast du es um Gottes willen gethan; wenn wir ferner keine kostbaren, keine weichlichen Kleider tragen, sondern nur solche, die zu unserer Bedeckung genügen. Sogar bis herab zu den Schuhen läßt sich diese Regel beobachten. Denn es sind jetzt manche Menschen in ihrer Weichlichkeit und Verschwendung so tief heruntergekommen, daß sie sogar ihre Schuhe schmücken und rundum verzieren, gerade wie Andere ihr Angesicht. Das zeugt von einer unreinen, verderbten Seele. Es scheint zwar geringfügig zu sein, aber es ist ein Zeichen, ein sicherer Beweis von großer Verkehrtheit bei Männern und Weibern. Man kann also selbst Schuhe um Gottes willen tragen, wenn man nämlich immer nur das Nothwendige im Auge behält und sich dadurch in seiner Wahl und seinem Gebrauche bestimmen läßt. Daß man ferner auch durch den Gang, durch die Kleidung Gott ver S. 25 herrlichen kann, das laßt euch mit den Worten eines weisen Mannes sagen: „Die Kleidung eines Mannes, das Lachen der Zähne und der Gang der Füße verräth, was an ihm ist.“2 Wenn wir mit Bescheidenheit, Ernst und Würde auftreten, wenn wir in jeder Beziehung eine große Selbstbeherrschung an den Tag legen, dann wird auch selbst ein ungläubiger oder ein ganz zuchtloser Mensch, auch ein Schreier und Polterer, mag er sonst noch so wenig Gefühl haben, uns seine Bewunderung nicht versagen können. **Wenn wir ein Weib nehmen, soll auch Das um Gottes willen geschehen. Sehen wir nicht auf Vermögen, sondern auf edle Eigenschaften des Herzens, nicht auf Überfluß an Hab und Gut, nicht auf Adel der Familie, sondern aus tugendhaften Wandel, auf Sanftmuth und Bescheidenheit; die Frau soll uns durch das Leben geleiten, nicht in der Schenke Gesellschaft leisten.
Wozu soll ich Alles aufzählen? Nach Dem, was ich schon gesagt habe, können wir ja Alles durchgeben, was geschieht und was zu thun ist, und können Alles um Gottes willen thun. Wir sollen es machen wie die Handelsleute. Wenn solche auf ihren Seefahrten bei gewissen Städten vor Anker gehen, dann verlassen sie den Hafen nicht eher, und begeben sich nicht eher auf den Markt, als bis sie erfahren haben, daß an den dort verkäuflichen Waaren Etwas zu verdienen ist. So sollst auch du Nichts thun und Nichts reden, wenn es nicht einen Gewinn bei Gott dem Herrn für dich abwirft. Sage mir nicht: man kann nicht Alles um Gottes willen thun. Denn wenn du um Gottes willen Schuhe tragen, das Haar schneiden, Kleider anziehen, gehen, sehen, reden, an Gesellschaften Theil nehmen, ein und ausgehen, schelten, loben, tadeln, preisen, Freundschaft schliessen und Feindschaft anfangen kannst: bleibt dann noch Et S. 26 was übrig, was nicht zur Ehre Gottes geschehen kann, wenn wir nur wollen?
Es kann doch kaum ein Mensch tiefer stehen als ein Kerkermeister. Scheint es nicht wirklich, daß ein solcher das allerschlechteste Leben führt? Und doch kann sich Einer auch in diesem Stande, wofern er nur will, Verdienste erwerben, wenn er mit den Gefangenen schonend umgeht, wenn er sich der ungerecht Eingekerkerten besonders annimmt, wenn er fremdes Unglück nicht zu seinem Gewinne ausbeutet, wenn er allen Gefangenen Schutz und Zuflucht gewährt. Auf solche Weise ist jener Kerkermeister zur Zeit Pauli zum Heile gelangt.3 Daraus geht hervor, daß wir aus allen Dingen, wenn wir nur wollen, Nutzen ziehen können.
