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Lukas gibt nun auch den Grund an, der ihn zum Schreiben veranlaßte. „Damit du nämlich“, so sagt er, „sicher seiest über die Glaubenswahrheiten, in denen du unterrichtet worden bist“; das heißt, damit du fortwährend daran erinnert werdest, so die feste Überzeugung1 erlangest und in dieser Überzeugung auch verharrest. Johannes hat zwar selbst keinen Grund namhaft gemacht; allein nach dem; was uns von unseren Vätern überliefert wurde, war es auch kein bloßer Zufall, was ihn zum Schreiben veranlaßte, sondern der Umstand, daß die ersten drei2 absichtlich mehr die menschliche Seite3 betonten, und so Gefahr vorhanden war, daß seine Gottheit zu sehr in den Hintergrund träte; deshalb fühlte er sich, auf die Eingebung Christi hin, veranlaßt, sein Evangelium zu schreiben. Das kann man sowohl aus seinem Berichte selbst, wie auch insbesondere aus dem Anfange seines Evangeliums erkennen. Er fängt nämlich nicht wie die anderen mit dem Irdischen an, sondern mit dem Himmlischen, zu dem er sich hingezogen fühlte, und aus diesem Grunde hat er sein ganzes Buch geschrieben. Aber nicht bloß in der Einleitung, sondern durch das ganze Evangelium hindurch behält er einen höheren Gesichtspunkt im Auge als die übrigen. Indes erzählt man auch von Matthäus, es seien einige Judenchristen zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, ihnen das Evangelium, das er verkündete, auch schriftlich, und zwar in hebräischer Sprache, zu S. 18hinterlassen. Ebenso habe Markus in Ägypten auf Bitten seiner Schüler das gleiche getan. Da also Matthäus für Judenchristen schrieb, suchte er auch nur das eine zu beweisen, daß Christus von Abraham und David abstamme. Lukas dagegen, der ganz allgemein und für alle schrieb, ging noch höher hinauf und fing mit Adam an. Darum beginnt auch der eine mit4 seiner Abstammung; denn nichts konnte die Juden so sehr beruhigen, als zu wissen, daß Christus ein Nachkomme von Abraham und David war. Der andere machte es nicht so; er erwähnt zuerst eine Menge sonstiger Dinge und geht dann erst zum Bericht über seine Abstammung über. Für ihre allgemeine Übereinstimmung können wir aber den ganzen Erdkreis zum Zeugen anrufen, so weit er nur das Evangelium empfangen, ja sogar die Feinde der Wahrheit selbst; denn nach dem Hingang der Apostel entstanden viele häretische Sekten, die das Gegenteil von dem lehrten, was jene gesagt hatten. Einige von ihnen nahmen das ganze Evangelium an, andere trennten Teile desselben von dem übrigen los und haben es in dieser Gestalt bei sich im Gebrauch. Wenn nun die Hl. Schrift einen Widerspruch in sich enthielte, so hätten jene Sekten, die ihr widersprechen, nicht das Ganze angenommen, sondern nur den Teil, der ihnen paßte; die anderen dagegen, die nur einen Teil davon annahmen, hätten nicht mit diesem Teil widerlegt werden können, gerade als ob die fehlenden Stücke darin keine Spur eine Lüge gelassen, und nicht im Gegenteil laut und deutlich ihre Zusammengehörigkeit zum Ganzen bekundeten.
Es verhält sich damit geradeso, wie wenn du jemand ein Stück aus seiner Seite herausschneidest; du wirst in dem Teilstück alles finden, woraus das Ganze zusammengesetzt ist: Nerven, Adern, Knochen, Arterien, Blut, kurz gleichsam eine Musterprobe von dem, woraus das Ganze besteht. So kann man auch in jedem Teil der Hl. Schrift deutlich die Zugehörigkeit zum übrigen Ganzen erkennen. Wären dagegen Widersprüche in ihr vorhanden, so würde man von dieser Einheitlichkeit nichts gemerkt haben, vielmehr wäre die christliche Religion selbst dabei längst S. 19zugrunde gegangen. „Denn“, heißt es, „ein jedes Königreich, das wider sich selbst geteilt ist, wird nicht bestehen“5 . So ist aber auch das ein glänzendes Zeichen der Kraft des Hl. Geistes, daß sie die Menschen dazu bewegt, sich mit dem Notwendigen und Wichtigen abzugeben, und ob solcher unbedeutenden Nebensächlichkeiten keinen Schaden zu nehmen.
