I.
4. 5. Dank sage ich meinem Gotte immerdar euretwegen ob der Gnade Gottes, welche euch gegeben worden in Christus Jesus, weil ihr in Allem reich wurdet in ihm.
I. Was Paulus Andere zu thun ermahnt mit den Worten: „In Danksagung bringet euer Anliegen vor Gott,“1 Das thut er auch selbst und lehrt uns, stets mit der gleichen Rede zu beginnen und vor Allem Gott zu danken. Denn Nichts ist Gott so wohlgefällig, als dankbar sein und sowohl für sich als für Andere Dank sagen. Darum stellt er Dieses fast bei jedem Briefe an die Spitze; hier aber war es nothwendiger als in anderen Briefen. Denn wer dankt, thut es wegen empfangener Wohlthaten, er dankt für eine Gnade. Gnade ist aber nicht Schuldigkeit, nicht Lohn, nicht Erkenntlichkeit. Das gilt zwar nothwendig S. 24 allerwärts, ganz vorzugsweise aber von den Korinthern, da sie Denjenigen, welche in der Kirche Spaltung stifteten, Beifall zollten. — „Meinem Gotte.“ Aus Übermaß von Liebe ergreift er, was gemeinschaftlich ist, und macht es zu seinem Eigenthume. So pflegen auch die Propheten immer zu sprechen: „Gott, mein Gott!“ Und so eifert er sie an, ein Gleiches zu thun; denn wer so spricht, reißt sich von allen irdischen Dingen los und er schwingt sich zu Demjenigen, den er mit großer Innigkeit anruft. So kann nämlich mit Recht Derjenige sprechen, der von dem Irdischen sich stets zu Gott erhebt, ihn allem Andern überall vorzieht und ihm unablässig Dank sagt, nicht nur für die schon empfangene Gnade, sondern ihn auch lobpreist für jegliches Gute, das ihm etwa später zu Theil wird. Daher sagt er nicht einfach: „ich danke,“ sondern: ich danke „unablässig euretwegen“, wodurch er sie belehrt, stets Dank zu sagen, und zwar keinem Andern, als nur Gott allein.
„Für die Gnade Gottes.“ Siehst du, wie er sie überall zurechtweiset? Denn wo Gnade ist, da ist kein Verdienst, und wo Verdienst ist, da ist nicht mehr Gnade. Wenn es nun Gnade ist, warum bildet ihr euch viel ein? Warum seid ihr aufgeblasen? „Welche euch gegeben worden.“ Und durch wen ist sie gegeben worden? Durch mich oder einen andern Apostel? Keineswegs, sondern „durch Jesum Christum“: denn Das bedeuten die Worte: „in Christo Jesu.“ Du siehst hier, daß das Wörtchen „in“ oft anstatt „durch“ steht; es bedeutet also ebenso viel als „durch“. — „Weil ihr in Allem reich wurdet in ihm.“ Durch wen? Wieder heißt es: „durch ihn“ ( in ihm ), und nicht einfach: reich seid ihr geworden, sondern: „reich in Allem.“ Da es also Reichthum ist und Gottes Reichthum und Reichthum in Allem und durch den Eingebornen, so erwäge, welch’ unaussprechlicher Schatz! „In jeglichem Worte2 und jeglicher Erkenntniß“ — im S. 25 Worte, nicht in profaner Rede, sondern im Worte Gottes; denn es gibt eine Erkenntniß ohne Beredsamkeit, und eine Erkenntniß mit der Gabe des Ausdruckes. Es gibt nämlich Viele, die zwar Kenntniß, aber keine Geschicklichkeit zum Vortrage besitzen, wie die Unstudierten, welche Das, was sie im Sinne haben, nicht klar ausdrücken können. Ihr aber seid nicht also beschaffen, will er sagen; sondern ihr seid im Stande, zu verstehen und euch auszudrücken.
6. Wie denn das Zeugniß Christi befestiget worden in euch.
Unter dem Namen des Lobes und der Danksagung ertheilt er ihnen eine ernstliche Zurechtweisung. Denn nicht durch irdische Weisheit, sagt er, nicht durch weltliche Lehre, sondern durch die Gnade, durch den Reichthum Gottes und durch das Wort, das er euch mitgetheilt hat, konntet ihr die Lehre der Wahrheit erkennen, und das Zeugniß des Herrn d. h. die Predigt konnte in euch Wurzel fassen. Denn ihr habt viele Zeichen, viele Wunder und eine unaussprechliche Gnade empfangen zur Annahme der Lehre. Seid ihr nun durch Zeichen und Gnade gekräftiget worden, warum wanket ihr? Diese Worte enthalten Tadel und zuvorkommende Schonung.
7. So daß es euch an keiner Gnadengabe mangelt.
Hier entsteht die schwierige Frage: wie Diejenigen, welche in jeglichem Worte reich waren, so daß es ihnen an keiner Gnadengabe mangelte, fleischliche Menschen sind. S. 26 Denn waren sie schon im Anfange so begabt, so müssen sie es jetzt um so mehr sein. Warum nennt er sie also fleischlich? Er sagt nämlich: „Ich konnte mit euch nicht wie mit geistigen Menschen reden, sondern wie mit fleischlichen.“3 Was soll man dazu sagen? Daß sie Anfangs den Glauben angenommen und mannigfache Gnadengaben empfangen haben (sie waren sogar eifersüchtig darauf), daß sie aber später nachlässiger geworden seien. Oder wenn Dieß nicht der Fall ist, so muß man annehmen, daß weder Dieses noch Jenes für Alle gesagt sei, sondern das Eine für Diejenigen, welche Tadel, das Andere für Solche, welche Lob verdienen. Denn daß sie noch die Wundergaben besaßen, ersieht man aus seinen Worten: „Hat Jemand von euch einen Lobgesang (Psalm), eine Offenbarung, einen Vortrag (in fremden Sprachen), eine Auslegung, so geschehe Alles zur Erbauung;“ und: „Weissagende aber mögen je zwei oder drei reden.“4 Man könnte auch noch etwas Anderes sagen, nämlich, daß er hier so geredet habe, wie es bei uns Sitte ist, anstatt des größern Theiles das Ganze zu nennen. Ferners glaube ich, daß er auch auf sich selbst anspielte, daß nämlich auch er Wunder gewirkt habe, wie er denn im zweiten Briefe zu ihnen spricht: „Die Beweise des Apostelamtes sind unter euch abgelegt worden durch Erduldung von Leiden aller Art;“5 und wieder: „Worin standet ihr den übrigen Kirchen wohl nach?“6 Entweder erinnert er sie, wie ich sagte, an seine Wunder, oder er spricht zu den dort befindlichen Frommen. Denn es gab unter ihnen viele Heilige, die sich dem Dienste der Heiligen widmeten und die Erstlinge in Achaia waren, wie er am Ende (des Briefes) zu verstehen gibt.7 — Mögen übrigens die Lobsprüche nicht so ganz verdient sein, so werden sie doch klug S. 27 angewendet, indem sie die Herzen auf Dasjenige, was noch gesagt werden soll, vorbereiten. Denn wer gleich Anfangs Lästiges vorbringt, schrecket die Schwachen vom Anhören seiner weiteren Rede ab. Stehen die Zuhörer mit dem Redner auf gleicher Rangstufe, so werden sie unwillig; stehen sie aber tief unter ihm, so werden sie gekränkt. Damit nun Das nicht geschehe, beginnt er mit scheinbaren Lobsprüchen; denn das Lob galt nicht ihnen, sondern der Gnade Gottes. Daß sie nämlich Vergebung der Sünden erlangten und gerechtfertigt worden, war ein Geschenk von oben. Darum verweilt er auch bei dem Beweise der Liebe Gottes zu den Menschen, um ihre Krankheit desto leichter zu heilen. — „Indem ihr die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus erwartet.“ Was tobt ihr, sagt er, was empöret ihr euch, als ob Christus nicht gegenwärtig wäre? Allerdings ist er gegenwärtig, und der Tag seiner Ankunft ist vor der Thüre. Bewundere die Weisheit Pauli, wie er sie von den irdischen Dingen ablenkt und an jenes schreckliche Gericht erinnert und zeigt, daß man nicht nur gut anfangen, sondern auch gut enden müsse. Denn sowohl bei diesen Gnadengaben als auch bei andern Vorzügen soll man jenes Tages gedenken, und es bedarf großer Anstrengung, um zu dem Ziele zu gelangen.
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Phil. 4, 6. ↩
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D. h. reich im Besitze des christichen Lehr- „Wortes“ und in dem Verständnisse desselben; II. Kor. 8, 7. Chrysostomus versteht dagegen unter „Wort“ die (reiche) Rede und Lehrfähigkeit der korinthischen Gläubigen; vgl. 4, 19. Es ruht aber der Reichthum ihrer Gnadengaben eben in der Festigkeit ihres Glaubens als in seinem Grunde. (V. 6.) Reischl. ↩
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I. Kor. 3, 1. ↩
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Ebd. 14, 26. 29. ↩
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II. Kor. 12, 12. ↩
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Ebd. V. 13. ↩
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Vgl. I. Kor. 16, 15. ↩
