2.
Solches und Ähnliches redeten sie, rissen diesen herunter und rühmten jene empor, wobei es ihnen nicht um deren Lob, sondern um die Täuschung der Galater zu tun war. Und es gelang ihnen — wie unzeitgemäß! —, sie zur Beobachtung des Gesetzes zu bestimmen. Mit gutem Grunde wählte also (der Apostel) diesen Eingang. Da sie nämlich seine Lehre schlechtmachten und sagten, sie stamme von Menschen, des Petrus Lehre dagegen von Christus, so nimmt er gleich anfangs dagegen Stellung und betont, er sei Apostel „nicht von Menschen, noch auch durch Menschen“. Wohl hat ihn Ananias getauft; aber nicht er hat ihn dem Irrwahne entrissen und zum Glauben geführt, sondern Christus selbst war es, der ihn aus der Höhe so wunderbar rief und ihn dadurch in seinem Netze fing. Den Petrus und seinen Bruder, den Johannes und dessen Bruder berief er eben, als er noch am Meeresstrande wandelte,1 den Paulus aber nach seiner Auffahrt in den Himmel. Und wie jene keines zweiten Rufes bedurften, sondern auf der Stelle Netz und sonstige Habe verließen und ihm nachfolgten, S. 19 so stieg auch dieser von der ersten Berufung hinweg zur höchsten Höhe empor. Kaum getauft, eröffnete er einen unversöhnlichen Kampf gegen die Juden und übertraf darin weitaus seine Mitapostel; denn „mehr als sie“, so spricht er, „habe ich gearbeitet“.2 Aber noch betont er diesen Punkt nicht, sondern will nur den übrigen gleichgestellt werden. Denn was er erstrebte, war nicht, seinen Vorrang vor jenen darzutun, sondern die irrigen Voraussetzungen zu zerstören. — Das „nicht von Menschen“ war allen gemeinsam; denn die evangelische Predigt hat Ursprung und Wurzel von oben her. Das „nicht durch Menschen“ aber war den Aposteln eigentümlich; denn (Christus) berief sie nicht durch Menschen, sondern selber in eigener Person. — Warum aber erwähnte Paulus nicht seine Berufung, etwa mit den Worten: Paulus, berufen nicht von Menschen; warum gerade sein Apostolat? Deshalb, weil sich um diesen Punkt der ganze Streit drehte. Man behauptete nämlich, von Menschen, und zwar von den Aposteln, habe er sein Predigtamt empfangen und nach ihnen müsse er sich also auch richten. Daß er es aber nicht von Menschen empfing, erhellt aus der Stelle bei Lukas: „Während sie dem Herrn den Dienst feierten und fasteten, sprach der Hl. Geist: Sondert mir den Paulus und den Barnabas ab!“3 Aus dieser Stelle geht klar hervor, daß eine und dieselbe Gewalt dem Sohne und dem Geiste eignet.4 Obschon nämlich Paulus vom Geiste gesandt wurde, behauptet er doch, von Christus gesandt zu sein. Dasselbe legt er auch anderswo dar, indem er dem Geiste göttliche Rechte zuschreibt. In seiner Unterredung mit den Presbytern von Milet5 nämlich spricht er: „Habt acht auf euch und die ganze Herde, über die S. 20 euch der Hl. Geist zu Hirten und Bischöfen eingesetzt hat!“6 Gleichwohl schreibt er in einem anderen Briefe: „Welche Gott gesetzt hat in der Kirche erstens als Apostel, zweitens als Propheten, dann als Hirten und Lehrer.“7 So unterschiedslos drückt er sich aus, indem er die Prädikate des Geistes Gott, die Prädikate Gottes dem Geiste zuschreibt. — Aber er stopft den Ketzern8 auch in anderer Weise den Mund, indem er sagt: „durch Jesus Christus und Gott den Vater“. Da sie nämlich behaupten, diese Partikel (διὰ) werde vom Sohne gebraucht, weil sie die Unterordnung ausdrücke, sieh, was tut er? Er setzt sie vor das Wort Vater und belehrt uns dadurch, keine Regeln für die unaussprechliche Wesenheit aufzustellen, noch die Gottheit zwischen Vater und Sohn nach Maßen abzugrenzen. Nachdem er nämlich gesagt hat: „durch Jesus Christus“, fährt er fort: „und Gott den Vater“. — Wenn er den Vater allein erwähnt und gesagt hätte „durch welchen“, so würden sie wahrscheinlich auch da herumgeklügelt und behauptet haben, der Ausdruck „durch welchen“ passe deshalb auf den Vater, weil die Werke des Sohnes auf ihn zurückgeführt würden. Nun er aber den Sohn zugleich mit dem Vater erwähnt und die Partikel gleichmäßig auf beide bezieht, läßt er diese Ausrede nicht mehr zu. Denn Paulus will, indem er also verfährt, keineswegs die Prädikate des Sohnes dem Vater beilegen, sondern lediglich zeigen, daß die Partikel διὰ keine Wesensverschiedenheit begründe. — Was vermöchten hier sodann jene vorzubringen, welche aus der Taufformel eine gewisse Unterordnung erschließen, weil nämlich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes getauft werde? Wenn der Sohn deshalb geringer ist, weil er dort nach dem Vater zu stehen kommt, was könnten sie sagen, nachdem hier der Apostel mit Christus beginnt S. 21 und dann erst zum Vater übergeht? Bewahre uns Gott übrigens vor jeglicher Lästerung! Wir dürfen im Streite mit jenen uns nicht der Wahrheit begeben, aber wir müssen auch, mögen sie hundert- und tausendmal Blödsinn schwätzen, uns in den Schranken der Gottesfurcht halten. Wie wir nun nicht behaupten können, der Sohn sei größer als der Vater, weil (Paulus hier) Christus an erster Stelle nennt — denn das wäre heller Wahnsinn und der Gipfel der Gottlosigkeit —, ebensowenig dürfen wir folgern, der Sohn sei geringer als der Vater, weil dort der Sohn dem Vater nachgesetzt wird. — „Welcher ihn auferweckt hat von den Toten.“ Was tust du, Paulus? Die jüdisch Gesinnten willst du zum Glauben führen und erwähnst nichts von jenen großen und herrlichen Dingen, z. B. das, was du im Briefe an die Philipper schriebst: „Da er in Gestalt Gottes war, hielt er es nicht für Raub, Gott gleich zu sein“;9 oder was du sodann im Briefe an die Hebräer hinausschriest: „Er ist Abglanz seiner Herrlichkeit und Abbild seines Wesens“;10 oder was jener Sohn des Donners im Eingange (seines Evangeliums) verkündete: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort;“11 oder was Jesus selber des öfteren den Juden gegenüber betonte, daß er nämlich dieselbe Kraft besitze wie der Vater und dieselbe Gewalt?12 Davon sagst du nichts, lassest vielmehr all dieses außer acht und gedenkst (seiner) nur nach der menschlichen Seite hin, indem du Kreuz und Tod in den Mittelpunkt deiner Betrachtung rückst? Jawohl, antwortet er. Wenn man es mit Menschen zu tun hätte, die nicht viel von Christus halten, dann wären obige Lobsprüche wohl am Platze. Weil nun aber gegen uns Leute aufstehen, welche Strafe fürchten, wenn sie vom Gesetze abfielen, deshalb erwähnt er eine Tatsache, durch die er jede Verbindlichkeit des Gesetzes löst, ich meine den Segen, der aus dem Kreuze und der Auferstehung allen zuströmt. Hätte S. 22 er nämlich gesagt: „Im Anfang war das Wort“, und: „er war in Gestalt Gottes“, und: er wirke dasselbe wie Gott, und was dergleichen mehr ist, so würde er damit wohl die Gottheit des Logos bewiesen, aber nichts auf sein Thema Bezügliches beigebracht haben. Durch die Worte hingegen: „der ihn auferweckt hat von den Toten“ erinnert er an den höchsten Beweis seiner Güte gegen uns und förderte damit seine Aufgabe in nicht geringem Maße. Denn für gewöhnlich achtet die Mehrzahl der Menschen nicht so fast auf solche Reden, welche die Erhabenheit Gottes preisen, als auf solche, welche seine Güte gegen uns Menschen dartun. Deshalb unterläßt er es, von jenen Dingen zu sprechen, und verbreitet sich über die uns gewordene Wohltat.
-
Matth. 4, 18 ff. ↩
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1 Kor. 15, 10. ↩
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Apg. 13, 2. ↩
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Gegen die Pneumatomachen gerichtet. Ihre Lehre wurde auf dem 2. allgemeinen Konzil zu Konstantinopel 381 verdammt. Chrysostomus bekämpft sie als seiner Zeit nahestehend. ↩
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Eigentlich Ephesus. Er hatte sie nach Milet zur Versammlung berufen. ↩
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Apg. 20, 28. ↩
-
1 Kor. 12, 28. ↩
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Gemeint sind die Anomöer, die extremste Partei unter den Arianern. Ihr Gründer war Aetius (gest. um 370). ↩
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Phil. 2, 6. ↩
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Hebr. 1, 3. ↩
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Joh. 1, 1. ↩
-
Z. B. Joh. 5, 17 ff. ↩
