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V.11: "In welchem auch wir durch das Los berufen wurden, vorherbestimmt nach dem Beschlusse dessen, der alles nach dem Ratschlusse seines Willens wirkt,
V.12: damit wir zum Lobe seiner Verherrlichung seien, die wir schon vorher auf Christus gehofft haben;
S. 172 V.13: in welchem auch ihr berufen wurdet, nachdem ihr das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heiles, gehört hattet, in welchem auch ihr, da ihr glaubtet, besiegelt worden seid mit dem verheißenen Heiligen Geiste, V.14: der das Unterpfand unserer Erbschaft ist, zur Einlösung des Eigentums, zum Lobe seiner Herrlichkeit."
Überall ist Paulus bemüht, die unaussprechliche Menschenfreundlichkeit Gottes gegen uns zu zeigen, soweit es in seinen Kräften steht. Denn daß eine vollkommen zutreffende Schilderung nicht möglich ist, höre, was er selbst darüber spricht: "O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte, und wie unerforschlich seine Wege!"1 . Indes, soweit es möglich ist, zeigt er sie. Wie lauten nun seine Worte? "In welchem auch wir durch das Los berufen wurden, vorherbestimmt." Weiter oben hat er gesagt: " Er hat uns auserwählt"; hier sagt er: "Wir wurden durch das Los berufen." Da nun aber das Los Sache des Zufalls ist, nicht des Vorsatzes oder der Tüchtigkeit - denn wie es ausfällt, ist ungewiß und hängt vom Glück ab; häufig übergeht es die Tüchtigkeit und fällt ganz Unwürdigen zu -: so beachte, wie er das richtigstellt. "Vorherbestimmt", sagt er, "nach dem Beschlusse dessen, der alles ... wirkt." Das heißt, wir wurden nicht einfachhin durch das Los berufen, wie wir auch nicht einfachhin auserwählt wurden; denn Gott ist es, der uns erwählte; wir wurden auch nicht einfachhin durch das Los berufen; denn Gott ist es, der uns durch das Los berief; "nach dem Beschlusse". Dies sagt er auch im Briefe an die Römer, wenn er schreibt: "Denen, die nach dem Ratschlusse berufen sind. Die er berufen, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber S. 173 gerechtfertigt, diese hat er auch verherrlicht"2 .Nachdem er zuvor gesagt: "denen, die nach dem Beschlusse berufen sind", gebraucht er nun, um zugleich die Ausnahmestellung den andern gegenüber zu bezeichnen, den Ausdruck "Los", ohne aber den Begriff des freien Entschlusses fallen zu lassen. Er setzt also nur ein Wort, welches die Glückseligkeit stärker hervorhebt. Denn das Los richtet sich nicht nach der Tüchtigkeit, sondern sozusagen nach dem Zufalle. Aber wenn er hätte sagen wollen: Da ihr Los waret, hat er euch erwählt, es ist also ganz und gar ein Werk seines freien Entschlusses. "Vorherbestimmt" sagt er, d.h. er hat uns für sich im voraus erwählt; er sah uns gleichsam schon vor unserer Erschaffung als durch das Los Berufene. Denn wunderbar ist das Vorherwissen Gottes; er weiß alle Dinge schon vor ihrer Entstehung. Du aber betrachte mir, wie Paulus sich überall bemüht zu zeigen, daß unsere Berufung nicht aus einer Sinnesänderung Gottes erfolgte, sondern von vornherein es also feststand, so daß wir in diesem Punkte den Juden gegenüber durchaus nicht im Nachteile sind; darum eben tritt er für diesen Satz mit aller Entschiedenheit ein. - Wie ist es nun zu verstehen, wenn Christus selbst sagt: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel?"3 .
Und wiederum, wenn er zu seinen Jüngern spricht: "Auf den Weg zu den Heiden gehet nicht, und die Städte der Samaritaner betretet nicht"?4 . Und wiederum, wenn Paulus selbst sagt: "Zu euch mußte zuerst das Wort Gottes gesprochen werden; weil ihr es aber von euch stoßt und euch des ewigen Lebens nicht wert achtet, sehe, so wenden wir uns zu den Heiden?"5 . Das ist gesagt, um der falschen Ansicht vorzubeugen, als sei dies gleichsam so nebenher geschehen. "Nach dem Beschlusse dessen", heißt es, "der alles nach dem Ratschlusse seines Willens wirkt". D.h. nichts wirkte er nachträglich; alles hatte er von vornherein festgestellt, und so S. 174 führte er selbst den Ausgang herbei "nach dem Ratschlusse seines Willens". Also nicht deshalb, weil die Juden nicht auf ihn achteten, berief er die Heiden, nicht gezwungen, nicht durch jene veranlaßt. - "Damit wir", heißt es weiter, "zum Lobe seiner Verherrlichung seien, die wir schon vorher auf Christus gehofft haben; in welchem auch ihr das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heiles gehört habt" - d. h. durch welchen. Beachte, überall ist Christus der Urheber von allem, und nirgends wird er als Gehilfe oder Diener bezeichnet. So sagt er auch anderswo, im Briefe an die Hebräer: "Nachdem er einst zu unseren Vätern in den Propheten geredet, redete er am Ende in diesen Tagen zu uns in dem Sohne6 , d.h. durch den Sohn. - "Das Wort der Wahrheit", sagt er, nicht mehr als des Typus noch das des Bildes. - "Das Evangelium unseres Heiles." Mit Recht nennt er es Evangelium des Heiles, einerseits auf das Gesetz anspielend, anderseits auf die drohende Strafe. Denn die Predigt ist nichts anderes als die frohe Heilsbotschaft, daß Gott diejenigen nicht mehr zugrunde gehen läßt, welche zugrunde zu gehen verdienen. - "In welchem auch ihr, da ihr glaubet, besiegelt worden seid mit dem verheißenen Heiligen Geiste, der das Unterpfand unserer Erbschaft ist." Es ist wiederum ein Beweis großer Fürsorge, daß sie besiegelt worden sind; nicht nur bestimmt, nicht nur ausgelost, sondern auch besiegelt. Wie wenn nämlich einer die von ihm Erlosten kennzeichnen wollte, so hat auch Gott sie bestimmt zum Glauben, besiegelt zur Erbschaft der zukünftigen Güter.
