4.
4. Da wir wissen, geliebte Brüder, daß ihr von Gott auserwählt seid, 5. weil unser Evangelium bei euch nicht bloß in Worten bestand, sondern auch in Kraft und in heiligem Geiste und in großer Macht der Überzeugung; wie denn auch ihr wisset, wie wir unter euch um euretwillen gewesen sind.
Was will der Apostel sagen mit den Worten: „Wie wir unter euch gewesen sind?“ Damit weist er auf seine eigene Thätigkeit hin, wenn auch nur mittelst einer leisen Andeutung; denn zunächst sucht er die Rede auf ihr eigenes Lob zu lenken. Der Sinn dieser Worte aber ist ungefähr folgender: „Wir wußten, daß ihr edle und starkmüthige Männer seiet und zu den Auserwählten gehöret. Darum erdulden denn auch wir Alles um euretwillen.“<544>Denn mit den Worten: „Wie wir unter euch gewesen sind“ will er etwa sagen: „Mit größter Freudigkeit war ich bereit, mein Lehen für euch hinzuopfern. Doch das ist nicht mir zuzurechnen, sondern euch, weil ihr nämlich Auserwählte seid.“ In ähnlichem Sinne sagt der Apostel an einer andern Stelle: „Das alles dulde ich wegen der Auserwählten.“1 Und in der That, was sollte man denn auch nicht erdulden für die Lieblinge des Herrn!
Wenn die obigen Worte des Apostels von ihm selbst und seiner Gesinnung gelten, so will er damit nur ungefähr Folgendes gesagt haben: „Wenn ihr Lieblinge und Auserwählte Gottes seid, so ist es nur billig und recht, daß wir (euch zu lieb) Alles erdulden.“ Somit ermuthigt er sie nicht nur durch das ihnen gespendete Lob, sondern auch durch die Anerkennung ihres ausdauernden Starkmuthes, welcher dem freudigen Glaubensmuthe der andern (in Judäa befindlichen) Gemeinden entspreche.
6. Und ihr seid unsere und des Herrn Nachfolger geworden, da ihr das Wort unter vieler Trübsal aufgenommen habt mit Freude im heiligen Geiste.
Höret und staunet über dieses Lob! Die Jünger sind urplötzlich Meister geworden! Sie haben nicht bloß die Worte des Apostels gehört, sondern sich auf dieselbe Höhe wie Paulus, geschwungen. Aber das ist noch gar Nichts in Vergleich zu dem Lobe, das er ihnen im Folgenden spendet. Er sagt: „Ihr seid Nachfolger des Herrn geworden.“ Inwiefern? „Ihr habt das Wort aufgenommen unter vieler Trübsal mit Freude im heiligen Geiste.“
S. 545 Nicht bloß „unter Trübsal“, sondern „unter vieler Trübsal“ . Wie man Verfolgungen gegen die Christen erregte, ist aus der Apostelgeschichte zu ersehen. „Sie wiegelten das ganze Volk und die Stadtobrigkeit gegen sie auf.“2 Und da kann Niemand sagen: „Ihr habt wohl geglaubt und gelitten, aber mit Unlust.“ Nein, im Gegentheile, mit großer Freudigkeit, den Aposteln gleich, welche „frohlockten, daß sie gewürdigt worden waren, um des Namens Christi willen Schmach zu leiden.“3
Was uns dabei in Staunen setzt, ist Folgendes: Es ist doch wohl schon keine Kleinigkeit, überhaupt Qual und Trübsal zu leiden. Um aber Freude in Qual und Trübsal zu empfinden, dazu muß man übermenschliche Kraft und einen gleichsam leidensunfähigen Körper besitzen. — In wiefern also sind sie „Nachfolger des Herrn“ geworden? Insofern, als auch er viele Leiden erduldet hat, nicht mit Unwillen, sondern mit Freuden. Freiwillig ist er dazu auf die Erde herabgekommen. Unsertwegen hat er sich selbst entäußert, hat er sich anspeien, geißeln und kreuzigen lassen. Und Das alles duldete er mit Freuden, so daß er ausrufen konnte: „Vater, verherrliche mich!“4
„Mit Freuden im heiligen Geiste.“ Diese Worte fügt der Apostel hinzu, damit Niemand sage: Was sprichst du von Trübsal und Freude zugleich? Wie können diese beiden Dinge miteinander verbunden sein? Im Hinblick darauf sagt also der Apostel: „Mit Freude im heiligen Geiste.“ Qual und Trübsal dem Leibe nach, Freude dem Geiste nach. Wie so? Das, was dem Menschen Schlimmes zugefügt wird, schmerzt, was aber daraus hervorgeht, erfreut; denn anders läßt es der heilige Geist nicht zu. Es kann wohl vorkommen, daß Einer im Leiden S. 546 sich nicht freut, wenn er nämlich wegen seiner Sünden leidet. Ein Anderer aber kann auch unter Geißelstreichen frohlocken, wenn er nämlich um Christi willen leidet. Das ist Freude im heiligen Geiste: Er setzt an die Stelle Dessen, was bitter und schmerzlich scheint, Lust und Freude. Sie haben euch, will der Apostel sagen, gequält und verfolgt, aber auch in dieser Qual und Verfolgung hat euch der heilige Geist nicht verlassen, sondern gleichwie die drei Jünglinge im Feuerofen durch himmlischen Thau Kühlung erhielten, also auch ihr in den Trübsalen. Gleichwie aber dort die Fühlung nicht von der Natur des Feuers herkam, sondern vom Wehen des Geistes, so liegt es hier nicht in der Natur der Trübsale, daß sie Freude erzeugen, sondern in dem Umstande, daß um Christi willen gelitten wird und im heiligen Geiste, der dem Thaue gleich kühlt und durch den Feuerofen der Trübsale Erquickung bereitet.
„Mit Freude,“ heißt es, aber nicht einfach „mit Freude,“ sondern „mit großer Freude,“ denn also wirket der heilige Geist.
