II.
Siehst du die Kraft, stehst du die Gnade, Beides nicht eine Frucht der Werke, sondern des Evangeliums? Denn Beides ist ein Gegenstand der Hoffnung. An dem Leibe Christi ist Beides bereits zur Erscheinung gekommen, an dem unseren wird es in Zukunft der Fall sein. Wie so? Durch das Evangelium.
11. Für das ich als Herold und Apostel aufgestellt worden bin und als Lehrer der Heiden.
Warum spricht der Apostel in Einem fort davon, daß S. 270 er der Lehrer der Heiden ist? Er will, wie gesagt, die Ueberzeugung beibringen, daß man auch den Heiden sich nähern solle.
Also stoße dich nicht an meinen Leiden! Der Nerv des Todes ist durchschnitten! Nicht als Uebelthäter dulde ich Das, sondern wegen meines Lehrerberufes für die Heiden. Zugleich beglaubigt der Apostel sein Wort:
12. Deßhalb habe ich auch Dieses zu leiden. Aber ich schäme mich dessen nicht; denn ich weiß, an wen ich glaube, und bin versichert, daß er die Macht hat, meine Hinterlage zu bewahren für jenen Tag.
*„Ich schäme mich nicht;“ sagt er. Sag’, sind Fesseln eine Schande? Sind Leiden eine Schande? Schäme dich also nicht! Siehst du, wie der Apostel durch Werke seine Lehre erläutert? Solches leide ich, sagte er, ich bin in’s Gefängniß geworfen worden, ich werde aus dem Lande vertrieben.
Ich weiß, an wen ich glaube, und ich bin versichert, daß er die Macht hat, meine Hinterlage zu bewahren für jenen Tag.
Was ist unter der „Hinterlage“ zu verstehen? Der Glaube, die Predigt. Diese, meint er, werde er unverletzt bewahren. Ich leide Alles, damit ich dieses Schatzes nicht beraubt werde. Ich schäme mich dieser Leiden nicht, wenn nur diese „Hinterlage“ unvermischt bewahrt wird. Oder der Apostel meint die Gläubigen mit der Hinterlage, welche Gott ihm anvertraute, oder die er Gott anvertraut. „Und siehe,“ sagt er ein anderes Mal, „ich hinterlege euch beim S. 271 Herrn,“1 d. h. Das wird für mich nicht ohne Gewinn sein. Auch Timotheus ist mir ein Beweis für diesen Gewinn.
Siehst du, wie der Apostel für seine Leiden nicht einmal eine Empfindung hat wegen der Hoffnung seiner Jünger? So muß ein Lehrer sein, so muß er sich um seine Schüler kümmern, sie müssen ihm Alles sein. „Jetzt leben wir,“ sagt er, „wenn ihr fest stehet im Herrn.“2 Und wiederum: „Wer ist unsere Hoffnung, unsere Freude, die Krone unseres Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserm Herrn Jesus Christus?“3 Siehst du, wie er um diese Dinge bekümmert ist? Die Angelegenheiten seiner Jünger gelten ihm so viel wie die eigenen. Die Lehrer müssen die natürlichen Väter noch übertreffen, sie müssen ein noch wärmeres Herz haben. Aber auch den Kindern ziemt eine zärtliche Empfindung für sie: „Gehorchet eueren Vorgesetzten,“ heißt es „und seid ihnen Unterthan, da ihr wisset, daß sie für euere Seelen wachen, weil sie für dieselben einmal Rechenschaft abzulegen haben.“4 Sag’ mir doch, er übernimmt für dich eine so gefährliche Verantwortung, und du willst ihm nicht einmal Gehorsam leisten, und noch dazu, wo es zu deinem Vortheil ist? Wenn auch bei ihm Alles ganz gut bestellt ist, so ist er doch, so lange es bei dir nicht gut steht, in Gefahr; er gibt doppelte Rechenschaft. Bedenke, was ihm Jeder der Untergebenen Mühe und Sorge kostet! Welche Ehre willst du ihm dafür erweisen? welches Entgelt bieten für diese Gefahren? Du kannst kein Aequivalent namhaft machen. Du hast noch nicht dein Leben für ihn geopfert, er aber gab sein Leben für dich. Und gibt er es im Nothfall nicht, so verliert er es für das Jenseits. Du aber S. 272 willst dich ihm nicht einmal äusserlich5 unterordnen. Das ist die Ursache aller Uebel, daß das richtige Verhalten zu den Vorgesetzten geschwunden ist; man hat keine Achtung, keine Scheu mehr vor ihnen. „Gehorchet eueren Vorgesetzten,“ heißt es in der Schrift, „und seid ihnen Unterthan!“ Heutzutage aber ist Alles auf den Kopf gestellt und in Verwirrung gebracht. Ich sage Das nicht mit Rücksicht auf die Vorsteher, — denn was für einen Nutzen werden sie haben von der Ehre, die wir ihnen erweisen, ausser insoweit wir ihnen Gehorsam leisten? — sondern ich spreche in euerem Interesse. Die Vorsteher haben von der Ehre, die ihnen erwiesen wird, keinen Gewinn für die Ewigkeit, sondern ihre Verantwortung wird noch größer; und wenn man sie mißhandelt, so haben sie davon keinen Schaden für die Ewigkeit, sondern ihr Verdienst wird noch größer. Aber um euer selbst willen ist es mir bei Dem allem zu thun. Denn falls die Vorsteher von den Untergebenen geehrt werden, so gilt auch für sie, was der Herr zu Heli sagte: „Ich habe dich aus dem Hause meines Vaters genommen;“6 werden sie aber mißachtet, so gilt, was er zu Samuel sagte: „Nicht dich, sondern mich haben sie verachtet.“7 Auf diese Weise ist für die Vorsteher die Mißachtung ein Gewinn, die Ehre eine Last. Also nicht in ihrem Interesse spreche ich jetzt, sondern in euerem eigenen. Wer den Priester ehrt, wird auch Gott ehren; wer es aber über sich bringt, den Priester zu verachten, der wird auf diesem Wege dereinst auch dazu kommen, gegen Gott übermüthig zu sein. „Wer euch aufnimmt,“ spricht der Heiland, „nimmt mich auf.“8 „Und seine Diener,“ heißt es, „halte in Ehren!“9 Das brachte die Juden dazu, Gott zu verachten, daß sie den Moses verachteten, daß sie ihn steinigen wollten. Wenn Jemand sich gegen den Priester ehrfurchtsvoll be- S. 273 nimmt, so wird er es noch viel mehr gegen Gott thun. Und wenn der Priester auch schlecht ist, so wird Gott, da er sieht, daß du um ihn zu ehren, auch vor dem Unwürdigen dich beugst, trotzdem dir die Vergeltung nicht vorenthalten. Wenn schon Derjenige, „welcher einen Propheten aufnimmt auf den Namen des Propheten hin, den Lohn des Propheten empfangen wird,“10 so wird auch Derjenige belohnt werden, welcher dem Priester Ehre, Gehorsam und Unterwürfigkeit zollt. Denn wenn schon in dem Falle, wo es sich um bloße Gastfreundschaft handelt, und wo du Den gar nicht kennst, den du in dein Haus aufnimmst, dir ein so großer Lohn zu Theil wird, so wird dieser noch viel größer, wenn du dich dem unterordnest, welchem du zum Gehorsam verpflichtet bist. „Auf dem Stuhle Moses, spricht der Herr, sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles, was sie euch thun heissen, das thuet; nach ihren Werken aber sollet ihr nicht thun!“11 Weißt du nicht, was es um einen Priester ist? Er ist der Bote des Herrn. Predigt er denn sein eigenes Wort? Verachtest du ihn, so verachtest du nicht ihn, sondern Denjenigen, der ihn zum Priester geweiht hat, Gott. Und woher weiß ich, daß Gott ihn zum Priester geweiht hat? frägt man. Nun, wenn du diesen Glauben nicht hast, dann ist deine ganze Hoffnung eitel. Denn wenn Gott durch ihn Nichts wirkt, dann bist du nicht getauft, dann hast du an den Mysterien keinen Antheil, dann genießest du nicht der Segnungen; dann bist du also gar kein Christ.
