4. Die stilistische Seite der Schriften.
Die stilistische Eigenart des D. ist von jeher aufgefallen und das mit vollem Rechte. Weder vor ihm noch S. 19 nach ihm kennen wir einen Schriftsteller, dem eine so ungewöhnliche Diktion eigen wäre. Es hat nicht an begeisterten Bewunderern dieses Stiles gefehlt, in dem einer derselben sozusagen die Sprache der Engel zu hören vermeinte 1. Aber das Urteil war hier offenbar von der irrigen Voraussetzung beeinflußt, daß der heilige Paulus seine höchsten Entzückungen und Visionen dem Verfasser, seinem Schüler vom Areopag, unmittelbar mitgeteilt habe. Nüchterne Beurteiler, wie z. B, Morinus, sprechen dagegen von „asiatischem Schwulste“, rügen die ungewöhnlichen, mitunter riesigen Komposita, die überladenen, schwerfälligen Perioden und die endlose Häufung von Nebenbestimmungen, welche bei jeder Gelegenheit wiederkehren. Auf jeden Leser muß eine solche Darstellung zunächst abschreckend wirken und eine gewisse Energie herausfordern, wenn er die Lektüre nicht bald wieder aufgeben will. Besonders unangenehm berührt die Wahrnehmung, daß der Enthusiasmus des Verfassers öfters nicht lange genug vorhält und dann durch die gesteigerten und forcierten Sprachmittel, hochtönenden Worte und Phrasen und Häufungen von Synonymen ersetzt werden soll. Die in der kirchlichen Literatur und Kultpraxis herkömmlichen Ausdrücke klingen unserm Hierophanten zu gewöhnlich. Er sucht und hascht nach seltsamen, vielfach heidnischen Ursprung verratenden Benennungen sogar für offizielle Ämter, kirchliche Zeremonien und die heiligen Sakramente 2. Er bildet hinwieder ganz neue Wörter durch kühne Zusammensetzungen mit —αρχία, —ειδής, —πρεπής, αὐτο—, ἱερο—, ὑπερ— u. s. w. Wenn dergleichen Komposita auch schon früher vorkommen, so hat er doch den Kreis derselben erheblich erweitert. Er kann sich gar nicht genug tun in Superlativen, in Negationen, selbst in negierten ὑπερ— (z. B. ὑπεράγνωστος). In Wortspielen (z. B. ὁμότρο- S. 20 πος—ὁμότροφος, θεολογία—θεουργία; μαθεῖν—παθεῖν u. ä. aus älteren Quellen) und insbesondere in gewissen Redefiguren (Oxymoron, Paronomasie, Repetitio) leistet er das denkbar Mögliche 3). Wo ihm bei seiner fleißigen Lektüre irgend ein auffälliger Ausdruck, der eine momentane Wirkung beim Leser nicht verfehlt, vorgekommen ist, da hat er ihn gewiß behalten und ihn später bei seiner eigenen Schriftstellerei pretiös verwertet 4. Er läßt uns selbst einmal einen Blick in seine diesbezüglichen Grundsätze tun, denn d. d. n. IV, 11 sagt er geradezu: „Wenn der Geist vermittels der sinnfälligen Vorstellungen zu spekulativen Erkenntnissen Anregung zu finden trachtet, dann verdienen die signifikanteren Vermittlungen der Sinneswahrnehmung, die Worte von deutlicherer Schärfe, die eindringlicheren Momente der sichtbaren Welt durchaus den Vorzug“. Es ist aber nicht zu verkennen, daß sich D. nach Möglichkeit in einer sprachlichen Grenzzone bewegt, d. h. solchen mehr ungewöhnlichen Ausdrücken den Vorzug gibt, welche zugleich bei den neuplatonischen und dem einen oder andern christlichen Schriftsteller schon vorkommen. So ist z. B. θεολόγοι = inspirierte Schriftsteller, sei es des alten oder neuen Testamentes, auch aus Athanasius u. a. mehrmals zu belegen; ἱεράρχης, μύστης, θίασος u. a. liest man bei Eusebius von Cäsarea, θιασῶτης bei Origenes, S. 21 καθηγεμών, ein Lieblingswort des Proklus, findet sich auch bei Gregor v. Nyssa; θεραπευτής = Mönch sagt Clemens v. Al., συμμύστης brauchte im ironischen Sinn Basilius d. Gr. Besonders stark ist die Terminologie des Clemens v. Al. ausgebeutet, der seinerseits eine Menge von den der antiken Mysteriensprache angehörigen Ausdrücken in seine Darstellung christlicher Wahrheiten herübernahm. Es bleibt aber immer eine auffällige Tatsache, daß D., der doch zu einer Zeit schrieb, wo die christliche Literatur sich in dieser Hinsicht geläutert hatte, wieder so beharrlich und zielbewußt nach dem für Christen allmählich außer Kurs gesetzten Sprachgut zurückgriff.
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Vgl. die Disputatio Lansselii bei M. s. gr. 4, 1001 C (aus einem Schreiben des L. Lessius). ↩
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So spricht er statt von ἀρχιερεῖς oder ἐπίσκοποι, immer von ἱεράρχαι, statt πρεσβύτεροι sagt er immer ἱερεῖς, statt διάκονοι das gewählte λειτουργοί; den Propheten nennt er ὑποφήτης, den weihenden Bischof τελετάρχης, den Zelebrant ἱεροτελεστὴς, den Mönch θεραπευτής, die Engel ἑνάδες. ↩
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So z. B. d. d. n. II, 2 τὰ ἐκεῖ κείμενα φρουρεῖν … ἐν τῇ φρουρᾷ τῶν λογίων φρουρούμενοι καὶ πρὸς αὐτῶν εἰς τὸ φρουροῦνατς αὐτὰ φρουρεῖσθαι δυναμούμενοι. Oder d. d. n. II, 5 καθ’ἅς (sc. δωρεὰς) ἐκ τῶν μετοχῶν καὶ τῶν μετεχόντων ὑμνεῖται τὰ ἀμεθέκτως μετεχόμενα. ↩
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So nennt er den Taufbrunnen e. h. II, 2, 7 μήτρα τῆς υἱοθεσίας „Mutterschoß der Kindesannahme“, während Clem. v. Al. vor ihm einfacher gesagt hatte μήτρα ὕδατος strom. 4, 25 (M. s. gr. 8, 1369 A) und Cyrill v. Jerus. in verständlicher Erweiterung ὕδωρ καὶ τάφος ὑμῖν ἐγίνετο καὶ μήτηρ cat. 20 (M. s. gr. 83. 1080 C). Ein Beispiel im Stil des Proclus: ἑνὰς πασῶν ἑνάδων theol. Plat. p. 182 = ἑνὰς ἑνοποιὸς ἁπάσης ἑνάδος Dion d. d. n. I, 1. Hin und wieder trifft es sich dann, daß der einzelne aus dem Kontext ausgehobene Ausdruck kaum mehr verständlich ist. So nennt D. e. h. III, 3, 6 die Ungetauften ἀπερισάλπιγκτοι. Die Anspielung auf Exod. 19 macht Gregor v. Nyssa de vita Moys. (M. 44, 377) leichter erkenntlich. ↩
