4.
Dieses kurz umschriebene Wesen Gottes hindert nicht die Dreiheit der Personen. So sehr Augustinus die Einfachheit des Seins betont, so führt das doch nicht zu S. 27 einer Erlahmung seiner Überzeugung von der Personendreiheit. Augustinus ist weit entfernt von einer sabellianischen Erweichung der Realität der drei Personen. Im Briefe 170 schreibt er: „Sonder Zweifel ist der Herr unser Gott, dem allein wir durch Anbetung dienen dürfen, nicht der Vater allein, noch der Sohn allein, noch der Heilige Geist allein, sondern die Dreieinigkeit selbst ist der eine alleinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, nicht so, daß der Vater derselbe ist wie der Sohn, oder der Heilige Geist derselbe ist wie der Vater oder der Sohn, da ja in jener Dreieinigkeit der Vater lediglich des Sohnes Vater ist und der Sohn lediglich des Vaters Sohn, der Heilige Geist aber des Vaters und Sohnes Geist ist; vielmehr wegen der zahlenmäßig einen und derselben Natur und wegen des untrennbaren Lebens wird die Dreieinigkeit, soweit es für einen Menschen möglich ist, unter Führung des Glaubens als der eine Herr, unser Gott erkannt.“1 Augustinus bekämpft die Sabellianer so unermüdlich wie die Arianer. In dieser Überzeugung gibt es bei ihm auch keinen Fortschritt und keinen Rückschritt. Der Trinitätsglaube, den er gleich nach seiner Bekehrung bekennt,2 ist der gleiche wie jener, den er am Ende seines Lebens bekennt.3
Im Vordergrunde freilich seines Denkens steht die Einheit Gottes. Das berechtigt aber nicht, wie man es versuchte,4 ihn zum Vertreter einer sabellianischen Dreieinigkeitslehre zu stempeln. Für die richtige Beurteilung der augustinischen Betonung der Einheit Gottes muß man beachten, daß sich die zwei Elemente der göttlichen Wirklichkeit, die uns durch die Offenbarung bezeugt und gesichert sind, die Einheit und die Dreipersönlichkeit, von uns nicht zu einer fugenlosen Harmonie zusammensehen lassen. Infolge der Enge und Endlichkeit unseres Bewußtseins wird immer das eine Moment im Vordergrunde des Bewußtseins stehen, das andere am Rande. Wenn der Ton auf das eine Moment fällt, so wird das andere damit nicht geleugnet. Welches Moment S. 28 die stärkere Betonung empfängt, wird von der geistigen Eigenart, vielleicht auch von der apologetischen Haltung des Gläubigen abhängen. In der Geschichte des Dreieinigkeitsglaubens wurde tatsächlich bald mehr die Einheit Gottes, bald mehr die Dreipersönlichkeit betont, ohne daß das andere Element jeweils vernachlässigt oder gar geleugnet worden wäre. Das erstere Vorgehen findet man mehr im Abendland, das letztere mehr im Morgenland, wenngleich keines ausschließlich „griechisch“ oder „lateinisch“ ist und keines von den Theologen, bei denen wir es finden, mit Ausschluß des anderen vertreten wird. Die kappadozischen Kirchenväter (Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz) betonen gegenüber dem Sabellianismus vor allem die Selbständigkeit der drei Hypostasen. Die Schwierigkeit lag für sie darin, die Einheit Gottes zu erweisen. Feinsinnig und sorgfältig hat diesen griechischen Standpunkt Theodor de Régnon5 dargelegt. Er weist darauf hin, daß die Kappadozier damit der alten Tradition folgten. Im Abendlande, etwa bei Tertullian, Novatian, Dionys, Ambrosius, ging man lieber von der Einheit des Wesens aus. Da war die Frage, wie sich mit der Einheit die Selbständigkeit der Personen vereinbaren lasse. Von den morgenländischen Vätern gehören dieser Richtung an Athanasius, Didymus und Marzell von Ancyra, welch letzterer freilich bei der Darstellung der Einheit Gottes keine glückliche Hand hatte. Eine Verschiedenheit des Glaubens bedeutet diese verschiedene Auffassungsweise nicht. Wo das Wesen im Vordergrund des geistigen Blickfeldes stand, war es naturgemäß ein Leichtes, die Einheit Gottes mit der Einheit des göttlichen Wesens zu begründen. Diese Überlegung finden wir bei Tertullian, Ambrosius, Epiphanius, Athanasius, aber auch bei Hilarius, Basilius und Gregor von Nazianz. Freilich fürchten die Kappadozier, es könnte so die über den Hypostasen stehende Usia (Wesen) als die eigentliche Gottheit erscheinen. Aus S. 29 diesem Grunde lassen sie, dem heiligen Athanasius folgend, die Einheit Gottes mit Vorliebe im Vater, dem Ursprung und der Quelle der Gottheit und der beiden anderen Personen, verankert sein. Damit hängt die sich häufig findende Auffassung zusammen, daß der Vater Gott schlechthin ist. Dieser Sprachgebrauch geht bis in die erste Christenheit zurück, weil er in der Schrift selbst begründet ist. Wir treffen ihn daher gelegentlich auch bei Theologen, die sonst in der abendländischen Weise die Trinität sehen. Justin der Märtyrer, Irenaeus, Tertullian, Origenes (dieser in überspitzter Weise), die Kappadozier, der Griechenschüler Hilarius folgen ihm. Nach einer anderen Betrachtungsweise wird der Name Gott in gleicher Weise von allen drei Personen gebraucht. Wir treffen sie etwa bei Athanasius, Didymus, Epiphanius, Ambrosius. Daß bei dem „griechischen“ Vorgehen kein Subordinatianismus mitläuft, zeigt sich darin, daß man bei den der griechischen Auffassung zuzuweisenden Theologen, wie bei Amphilochius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Basilius, Hilarius gelegentlich auch die Versicherung findet, Gott sei eine Bezeichnung des göttlichen Wesens. Es handelt sich also tatsächlich immer nur um verschiedenartige Verteilung der Betonung. Wenn man Augustinus geschichtlich einreihen will, dann muß man ihn der lateinischen Auffassung zuweisen und zugleich als deren Höhepunkt bezeichnen.6 Augustinus hat diese Auffassung im Abendlande zur maßgebenden gemacht. Sie begegnet etwa in dem Trinitätstext des 11. Konzils von Toledo (nec recte dici potest, ut in uno Deo sit Trinitas, sed unus Deus Trinitas). Von ihr aus war nur noch ein Schritt zu der späteren Einteilung de Deo uno et de Deo trino, die freilich selber nicht mehr im Geiste Augustins lag. Augustinus braucht so die Einzigkeit Gottes nicht im Vater zu verankern, er kann sie in dem unmittelbar und zuerst ins Auge gefaßten Wesen verankert sein lassen. Es ist ihm der Vater auch nicht Gott schlechthin wie jenen Theologen, bei denen die drei Personen das zuerst und unmittelbar Erfaßte sind. Daß freilich Augustinus von S. 30 griechischen Einflüssen nicht frei ist, zeigt sich dann, daß er gelegentlich den Vater den Urgrund der ganzen Gottheit nennt, daß er von Gott und seinem Worte spricht7 Aber der beherrschende Gedanke ist doch der, daß die Dreieinigkeit der eine und alleinige, wahre Gott ist, daß jene Dreieinigkeit ein Gott, eine Natur, eine Substanz, eine Macht, die höchste Gleichheit, keine Trennung, keine Verschiedenheit, ewige Liebe ist.8 Bei dieser starken Betonung der Wesenseinheit und -gleichheit bleibt keinerlei Möglichkeit für einen Rangunterschied der Personen. Die Arianer wollen unterscheiden zwischen Gott und wahrem Gott; das erste sei der Sohn, das zweite nicht. Augustinus bezeichnet das vom Gedanken der Wesenseinheit Gottes aus ebenso wie Hilarius, Ambrosius, Athanasius als sinnwidrig. Dadurch werde die Einheit Gottes zerstört und der Dreigötterlehre Tür und Tor geöffnet.9
Die Formulierung der Dreieinigkeit fiel den Abendländern nicht leicht. Die Griechen sagten seit den Kappadoziern μία οὐσία, τρεῖς ὑποστάσεις [mia ousia, treis hypostaseis]. Das οὐσία [ousia] mußte man im Lateinischen mit essentia, das ὑποστάσεις [hypostaseis] mit substantia wiedergeben.10 Im Werke De civitate Dei berichtet Augustinus, daß essentia ein dem Griechischen nachgebildeter Ausdruck ist, den die älteren lateinischen Schriftsteller noch nicht kannten.11 Tatsächlich finden wir bei Tertullian den Ausdruck substantia für die Bezeichnung des einen Wesens, den Ausdruck persona zur Bezeichnung der Personen in Gott.12 Zur Zeit Augustins hatte sich indes der Ausdruck essentia schon fest eingebürgert. Ja, Augustinus ist der Meinung, daß man nur mißbräuchlich das Wort substantia verwenden kann, daß man im eigentlichen Sinne von Gott nur das S. 31 von esse abgeleitete Wort essentia verwenden darf.13 Wie hier Augustinus essentia und substantia für synonym erklärt, so erscheinen anderswo substantia und persona als gleichbedeutende Ausdrücke.14 Es fällt daher schwer, je einen Sonderausdruck für die Wesenseinheit und für die Personendreiheit zu finden. Schließlich gesteht Augustinus resigniert, daß im Begriffe Person selbst gar kein Grund zu finden ist, warum man ihn in der Mehrzahl von Gott anwenden kann, während man von drei Substanzen nicht sprechen kann. Nur um überhaupt Vater, Sohn und Geist mit einem gemeinsamen Wort zu benennen, muß man schließlich zu diesem Ausdrucke greifen.15 Sehr richtig sieht Augustinus, daß die Griechen sachlich mit den Lateinern übereinstimmen. „So nämlich sprechen jene von drei substantiae und einer essentia, wie wir von drei personae und einer essentia oder substantia reden.“16 Bei dieser Entkleidung des Ausdrucks persona von allem Inhalte ist es begreiflich, daß Augustinus auch einmal von der persona Dei sprechen kann.17
-
Epist. 170 n. 3. ↩
-
Epist. 11 (geschrieben 387). ↩
-
De praedest. sanctorum, c. 8 n. 13 (verfaßt 429). ↩
-
A. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 4. Aufl. Tübingen 1909, II 307. ↩
-
Th. Régnon S. J., Études de théologie positive sur la Sainte Trinité. Vier Bände. Paris 1892―1898. J. Bilz, Die Trinitätslehre des Johannes von Damaskus. Paderborn 1909, 96―105. M. Schmaus a. a. O. 10―20. ↩
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Schmaus 101 f. ↩
-
Epist. 238 c. 2 n. 10; De trinitate, l. IV c. 20 n. 29. Das Schwanken zwischen deitas und divinitas an der letzteren Stelle leitet sich vielleicht von Didymus, De trinitate, l. II c. 2 her. ↩
-
De symbolo ad catech. c. 5. ↩
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Schmaus, 117. ↩
-
Augustinus, De trinitate, l. VII c. 4 n. 7. ↩
-
De civitate Dei, l. XII c. 2. ↩
-
M. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode. Freiburg 1909, I 117. ↩
-
De trinitate, l. V c. 2; l. VII c. 5 n. 10; c. 6 n. 11. ↩
-
Ebd. l. VII c. 4 n. 9. ↩
-
Ebd. ↩
-
Ebd. l. VII c. 4 n. 8. ↩
-
Ebd. l. III c. 10 n. 19. ↩
