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Leben des heiligen Bekennerbischofs Martinus von Tours (BKV)
3.
Einmal, er besaß schon nichts mehr als seine Waffen und ein einziges Soldatengewand, da begegnete ihm im Winter, der ungewöhnlich rauh war, so daß viele der eisigen Kälte erlagen, am Stadttor von Amiens1 ein notdürftig bekleideter Armer. Der flehte die Vorübergehenden um Erbarmen an. Aber alle gingen an dem Unglücklichen vorbei. Da erkannte der Mann voll des Geistes Gottes, daß jener für ihn vorbehalten sei, weil die andern kein Erbarmen übten. Doch was tun? Er trug nichts als den Soldatenmantel, den er umgeworfen, alles Übrige hatte er ja für ähnliche Zwecke verwendet. Er zog also das Schwert, mit dem er umgürtet war, schnitt den Mantel mitten durch und S. 23gab die eine Hälfte dem Armen, die andere legte er sich selbst wieder um. Da fingen manche der Umstehenden an zu lachen, weil er im halben Mantel ihnen verunstaltet vorkam. Viele aber, die mehr Einsicht besaßen, seufzten tief, daß sie es ihm nicht gleich getan und den Armen nicht bekleidet hatten, zumal sie bei ihrem Reichtum keine Blöße befürchten mußten. In der folgenden Nacht nun erschien Christus mit jenem Mantelstück, womit der Heilige den Armen bekleidet hatte, dem Martinus im Schlafe. Er wurde aufgefordert, den Herrn genau zu betrachten und das Gewand, das er verschenkt hatte, wieder zu erkennen. Dann hörte er Jesus laut zu der Engelschar, die ihn umgab, sagen: „Martinus, obwohl erst Katechumen, hat mich mit diesem Mantel bekleidet“. Eingedenk der Worte, die er einst gesprochen: „Was immer ihr einem meiner Geringsten getan, habt ihr mir getan“2 , erklärte der Herr, daß er im Armen das Gewand bekommen habe. Um das Zeugnis eines so guten Werkes zu bekräftigen, würdigte er sich in dem Gewände, das der Arme empfangen hatte, zu erscheinen. Trotz dieser Erscheinung verfiel der selige Mann doch nicht menschlicher Ruhmsucht, vielmehr erkannte er in seiner Tat das gütige Walten Gottes und beeilte sich, achtzehnjährig, die Taufe zu empfangen. Er entsagte jedoch dem Heeresdienst noch nicht sogleich, da er den Bitten seines Tribuns nachgab, mit dem er in vertrauter Kameradschaft zusammenlebte. Denn jener versprach, nach Ablauf seiner Dienstzeit als Tribun der Welt den Rücken zu kehren. Durch diese Zusage ließ sich Martinus bestimmen, noch ungefähr zwei Jahre3 lang nach seiner Taufe, freilich nur dem Namen nach, zu dienen.
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Nach Gregor von Tours [De Virt. S. Mart. I, 17] wurde an der betreffenden Stelle ein kleines Kirchlein zu Ehren dos heiligen Martin erbaut, später stand dort das Kloster S. Martin ad Gemellos, heute der Justizpalast [Longnon 419 f.]. — Vom 7. bis zum 9. Jahrhundert befand sich im Schatze der fränkischen Könige ein Gewand des hl. Martin, vgl. Cabrol, Dictionnaire d'archeol. ehret. III, 381/90. ↩
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Matth. 25, 40. ↩
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Also bis zum zwanzigsten Lebensjahr. ↩
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Vita Sancti Martini
3.
(1) Quodam itaque tempore, cum iam nihil praeter arma et simplicem militiae uestem haberet, media hieme, quae solito asperior inhorruerat, adeo ut plerosque uis algoris extingueret, obuium habet in porta Ambianensium ciuitatis pauperem nudum: qui cum praetereuntes ut sui misererentur oraret omnesque miserum praeterirent, intellexit uir Deo plenus sibi illum, aliis misericordiam non praestantibus, reseruari. (2) Quid tamen ageret? Nihil praeter chlamydem, qua indutus erat, habebat: iam enim reliqua in opus simile consumpserat. Arrepto itaque ferro, quo accinctus erat, mediam diuidit partemque eius pauperi tribuit, reliqua rursus induitur. Interea de circumstantibus ridere nonnulli, quia deformis esse truncatus habitu uideretur: multitamen, quibus erat mens sanior, altius gemere, quod nihil simile fecissent, cum utique plus habentes uestire pauperem sine sua nuditate potuissent. (3) Nocte igitur insecuta, cum se sopori dedisset, uidit Christum chlamydis suae, qua pauperem texerat, parte uestitum. Intueri diligentissime Dominum uestemque, quam dederat, iubetur agnoscere. Mox ad angelorum circumstantium multitudinem audit Iesum clara uoce dicentem: Martinus adhuc catechumenus hac me ueste contexit. (4) Vere memor Dominus dictorum suorum, qui ante praedixerat: quamdiu fecistis uni ex minimis istis, mihi fecistis { Matth. 25, 40}, se in paupere professus est fuisse uestitum: et ad confirmandum tam boni operis testimonium in eodem se habitu, quem pauper acceperat, est dignatus ostendere. (5) Quo uiso uir beatissimus non in gloriam est elatus humanam, sed bonitatem Dei in suo opere cognoscens, cum esset annorum duodeuiginti, ad baptismum conuolauit. Nec tamen statim militiae renuntiauit, tribuni sui precibus euictus, cui contubernium familiare praestabat: etenim transacto tribunatus sui tempore renuntiaturum se saeculo pollicebatur. Qua Martinus expectatione suspensus per biennium fere posteaquam est baptismum consecutus, solo licet nomine, militauit.