4. Die Vernunft lehrt, daß Gott schon hienieden in die Ordnung der Dinge eingreift
Aber vielleicht, entgegnest du, gibt es noch andere, triftigere Gründe, warum sie so viel Herbes und Bitteres in diesem Leben erdulden, warum sie sich gefangen nehmen, quälen, hinmorden lassen. Gewiß; aber was sagen wir dazu, daß auch die Propheten in die Gefangenschaft geführt wurden und die Apostel Qualen erduldet haben? Und doch können wir nicht daran zweifeln, daß Gott gerade da am meisten für sie sorgte, als sie für ihn all dieses litten. Aber vielleicht willst du gerade als stärksten Beweis dafür, daß Gott auf dieser Welt alles vernachlässige und alles für das kommende Gericht aufspare, die Tatsache anführen, daß immer die Guten alles Schlimme erlitten, die Bösen aber es vollbracht haben. Diese Behauptung scheint mir nun nicht einmal einen ungläubigen Gemüte zu entspringen, besonders, weil sie sich zu einem zukünftigen göttlichen Gericht bekennt. S. 51 Wir aber behaupten auch, daß dereinst das Menschengeschlecht von Christus gerichtet werden müsse, so jedoch, daß wir glauben, Gott lenke und ordne auch jetzt schon alles, wie er es für vernünftig erachtet; und wir halten zwar daran fest, daß er im Jenseits richten werde, lehren aber auch, daß er im Diesseits immer als Richter gewaltet hat. Solange nämlich Gott regiert, richtet er auch; denn seine Lenkertätigkeit ist ja selbst Gericht. Auf wie vielerlei Arten willst du das bewiesen haben? Durch die Vernunft, durch Beispiele oder durch Zeugnisse? 1 Soll ich den Vernunftbeweis antreten, so sage ich: Wer ist so sehr ohne alle menschliche Einsicht und so fremd jener Wahrheit, von der wir gerade reden, daß er nicht klar erkenne, wie das herrliche Schöpfungswerk und die unfaßbare Pracht der überirdischen und irdischen Dinge von demselben regiert wird, der sie geschaffen; daß der Schöpfer der Elemente auch ihr Lenker ist; daß der, der alles durch seine Macht und Herrlichkeit geschaffen hat, es auch durch seine Fürsorge und Weisheit erhält, besonders da auch im Bereich menschlicher Handlungen durchaus nichts ohne vernünftige Leitung bestehen bleibt, und alle Dinge so von der Fürsorge ihre Vollkommenheit empfangen, wie der Körper von der Seele das Leben? Deshalb werden auf dieser Welt nicht nur Reiche und Provinzen, nicht nur das Staats- und Militärwesen, sondern auch weniger wichtige Ämter und private Gemeinschaften, endlich sogar das Vieh bis zur geringsten Art der Haustiere herab nur durch des Menschen ordnende Klugheit, wie durch einen Zügel in fester Hand, zusammengehalten. Und das alles ohne Zweifel nach dem Willen und Urteil des höchsten Gottes, damit nämlich nach seinem Beispiel das ganze Menschengeschlecht die Teile und Glieder des Alls leite, sowie er selbst den ganzen Weltkörper beherrscht. Aller- S. 52 dings, entgegnest du, sind das die anfänglichen Einrichtungen und Anordnungen Gottes in bezug auf die Geschöpfe; nachdem er aber die Schöpfung vollkommen beendet hatte, gab er alle Sorge um irdische Dinge auf und wies sie von sich. Er flieht nämlich die Mühe und hält sie weit ab von sich. Da er die lästige Ermüdung meidet oder mit andern Dingen beschäftigt ist, überlässt er einen Teil der Dinge sich selbst, da er sich mit dem Ganzen doch nicht befassen kann.
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Diese Dreiteilung ist aus der antiken Rhetorik genommen und ist von da auch in die scholastische Literatur übergegangen. ↩
