5. Ohne Glauben an Gottes Sorge um diese Welt ist die Gottesverehrung sinnlos
Gott entschlägt sich also nach deiner Meinung der Sorge um die Menschen. Was ist dann für uns der Sinn des Gottesglaubens? Oder warum verehren wir Christus und hoffen auf Vergebung? Wenn Gott das Menschengeschlecht im Diesseits vernachlässigt, warum heben wir dann täglich die Hände zum Himmel? Warum flehen wir so oft im Gebete Gottes Barmherzigkeit an? Warum eilen wir in die Kirchen und knien vor den Altären? Wir haben ja keinen Grund zu beten, wenn es keine Hoffnung auf Erhörung gibt. Siehst du, wie töricht und nichtig eine solche Behauptung ist? Machst du sie dir zu eigen, so bleibt von der Religion überhaupt nichts mehr übrig. Vielleicht nimmst du zu der Annahme deine Zuflucht, wir verehrten Gott aus Furcht vor dem kommenden Gericht und erstrebten mit der Erfüllung unserer religiösen Pflichten nur den Freispruch am Tage des künftigen Gerichtes. Was will aber dann der Apostel Paulus, 1der täglich in der Kirche eindringlich befiehlt, wir sollen immer unserm Gott Gebete, inständiges Flehen und Danksagungen darbringen? Warum das alles? Warum anders, als daß wir, wie er selbst sagt, ein ruhiges und stilles Leben in aller Reinheit führen können? Wie wir sehen, befiehlt er, in gegenwärtigen S. 53 Anliegen Gott inständig anzuflehen. Das würde er nicht tun, vertraute er nicht auf die Möglichkeit einer Erhörung. Wie kann nur jemand glauben, Gott habe ein offenes Ohr für Bitten um Güter des zukünftigen Lebens, verschließe und versperre es aber für Anliegen aus dem Diesseits? Oder wie können wir, in der Kirche betend, Gott um Heil für die Gegenwart anflehen, wenn wir gar nicht an die Möglichkeit einer Erhörung glauben? Dann dürften wir um Glück und Wohlergehen keine Gebete verrichten. Wir müßten vielmehr, damit die Rede des Bittenden in Einklang stehe mit der Bescheidenheit der Bitte, so sagen: Herr, wir verlangen kein Glück für dieses Leben, noch bitten wir um Güter des Diesseits; denn wir wissen, daß dein Ohr solchem Flehen verschlossen bleibt und du Bitten dieser Art kein Gehör schenkst; wir erflehen nur das, was uns nach dem Tod beschieden sein soll. Es mag sein, daß ein solches Gebet nicht ohne Nutzen ist; wie kann es sich aber auf Vernunft gründen? Denn wenn Gott die Sorge um diese Welt von sich weist und dem Flehen der Bittenden sein Ohr verschließt, so besteht kein Zweifel, daß der, der uns für die Gegenwart nicht erhört, auch unsere Bitten für die Zukunft nicht beachtet; außer wir glauben etwa, Christus schenke je nach der Art der Bitte entweder Gehör oder verweigere es, das heißt, er verschließe sein Ohr, wenn er um Güter des Diesseits gebeten wird, und öffne es nur für Bitten um Zukünftiges. Doch darüber wollen wir nicht weiter sprechen; denn das alles ist so töricht und nichtig, das man fürchten muß, das zur Ehre Gottes Gesagte könnte für eine Beleidigung Gottes gehalten werden. So mächtig, so ehrfurchtgebietend ist die göttliche Majestät, daß wir nicht nur das, was jene wider die Religion sagen, verabscheuen müssen, sondern auch das, was wir selbst für die Religion sagen, nur mit großer Furcht und Scheu sagen dürfen. Wenn daher törichter und gottloser Weise geglaubt wird, die göttliche Güte verachte die Sorge um menschliche Dinge, so S. 54 haben wir gesehen, sie verachtet sie nicht. Wenn sie sie aber nicht verachtet, so regiert, so richtet sie schon eben dadurch, weil es keine Regierung geben kann, wenn nicht der Herrscher auch fortgesetzt Richter ist.
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1 Tim. 2, 1 ff. ↩
