Kap. 6. Der Neid ist die Wurzel und Quelle der mannigfaltigsten Übel und Laster.
S. 319 In dieser Erwägung nun, geliebteste Brüder, laßt uns gegen dieses so verderbliche Übel wachsam und mutig unser Gott geweihtes Herz sichern! Möge der Tod anderer zu unserem Heile dienen, möge die Strafe der Unachtsamen die Vorsichtigen unversehrt erhalten! Niemand darf aber etwa glauben, dieses Übel beschränke sich nur auf eine Erscheinungsform oder es sei nur auf einen kleinen Raum und in enge Grenzen eingeschlossen. Nein, weithin erstreckt sich das vielgestaltige und verhängnisvolle Verderben der Eifersucht. Sie ist die Wurzel aller Übel, die Quelle alles Unheils, die Pflanzschule der Verbrechen und der Zündstoff zu Sünden. Aus ihr erhebt sich der Haß, aus ihr entspringt der Zorn. Zur Habsucht entflammt die Eifersucht, indem man mit dem Seinigen sich nicht mehr zu begnügen vermag, wenn man einen anderen sieht, der reicher ist. Den Ehrgeiz erregt die Eifersucht, wenn man einen anderen erblickt, der höher in Ehren steht. Wenn die Eifersucht unseren Sinn verblendet und das Innere unseres Herzens in ihren Bann zwingt, dann wird die Furcht Gottes verschmäht, die Lehre Christi mißachtet, dann wird an den Tag des Gerichtes nicht mehr gedacht. Da macht sich aufgeblasener Hochmut breit und erbitterte Wut, da treibt die Treulosigkeit ihr falsches Spiel, und die Ungeduld erregt den Sinn, da wütet die Zwietracht und entbrennt der Zorn, und wer einmal in fremde Gewalt geraten ist, der kann sich nicht mehr im Zaume halten und beherrschen. Durch sie [die Eifersucht] wird das Band des Friedens unseres Herrn zerrissen, durch sie wird die brüderliche Liebe verletzt, durch sie wird die Wahrheit gefälscht und die Einheit zerstört, durch sie läßt man sich zu Ketzereien und Spaltungen hinreißen, indem man die Priester anfeindet und die Bischöfe beneidet und indem man sich darüber beklagt, daß man nicht lieber selbst das Amt erhalten hat, oder es als unvereinbar mit seiner Würde ablehnt, einen anderen als seinen Vorgesetzten anzuerkennen. Deshalb zeigt man sich widerspenstig, deshalb lehnt man sich auf hochmütig aus Eifersucht und ein Opfer des Neides; aus Haß und Mißgunst feindet man nicht die Person des anderen an, sondern seine Würde.
