§ 6. Quellen. Verfasser.
Die Hauptquelle, aus der der Homilienschreiber mit vollen Händen schöpft, ist die Heilige Schrift. Mit ihr zeigt er sich aufs innigste vertraut. Schriftworte fließen ihm wie von selbst in die Feder. Namentlich ist es das Neue Testament, aus dem er das Beweismaterial für seine mystischen Ideen holt. Die Paulusbriefe sind reichlich ausgebeutet. Auch die Geschichtsbücher des Alten Testamentes liefern ihm wertvolles Material. Er bringt jene Offenbarungstatsachen in mystischen Zusammenhang mit der christlichen Seele. Das geschieht auf dem Wege der allegorischen Schrifterklärung. In der Schriftexegese wandelt er in den Spuren eines Klemens von Alexandrien, Origenes, Methodius, Gregor von Nyssa u. a.1
Neben der Schrift bildet eine ergiebige Fundgrube die altchristliche Literatur. Der Verfasser bekundet darin eine große Belesenheit. Nirgends jedoch führt er eine Quelle an. Stiglmayr2 hat nun zahlreiche Parallelen und Berührungspunkte aufgezeigt, die sich bei der S. 024 Vergleichung der Homilien mit Werken altchristlicher Schriftsteller ergeben.
Auch die Profanliteratur hat der Autor zur Veranschaulichung seiner mystischen Gedanken verwertet, wie Stiglmayr3 gleichfalls wahrgenommen. Die Fabel von Feuertieren in h. 14, 7 entstammt Älians Tiergeschichten. H. 45, 4 ist eine asketische Umformung der Kap. 6—9 von Platons Apologie des Sokrates. Der Vergleich in h. 26, 24 erinnert an Jason, den Helden der Argonautensage, das Beispiel in h. 45, 5 an eine bekannte Gestalt des homerischen Sagenkreises, an die von Freiern bedrängte Penelope. Die naive Anschauung über den Sonnenuntergang in h. 49, 3 hat der Verfasser mit antiken, heidnischen Schriftstellern gemein. Die heidnische Wissenschaft schätzt er im allgemeinen sehr niedrig ein. Er hält sie geradezu für unfähig, über geistliche Dinge zu sprechen4. In h. 45, 2 fällt er ein merkwürdiges literarisches Urteil über die Gelehrten und Künstler, deren er verschiedene aufführt: Ihre Wissenschaft und Kunst nützte ihnen nichts, da sie Sklaven der Sünde und Gefangene der bösen Macht waren.
J. Stoffels5 hat in scharfsinniger Darlegung die Hypothese vertreten, „Makarius habe zum formalen Ausbau seiner mystischen Theologie in erheblichem Maße stoische Naturphilosophie verwertet“. Darin sieht er „den Schlüssel zum Verständnis der Ausdrucksweise des sketischen Mönches“. Allein nach den Untersuchungen Stiglmayrs kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß die stoisch klingenden Redewendungen ihre Analoga in der altchristlichen Literatur haben. Vielfach „bleibt nur das Wort das Gemeinsame zwischen Stoizismus und christlicher Lehre“6, der Inhalt ist ein völlig anderer geworden.
Die Ρerson des Homilienschreibers ist rätselhaft. Jedenfalls kann nach dem heutigen Stand der Makariusforschung der Abt der sketischen Wüste, Makarius von Ägypten, als Autor des Homilienwerkes nicht mehr in Betracht kommen. Der gelehrte Verfasser, ein nach dem Höchsten strebender, nach Gottgemeinschaft ringender Idealist, der auch andere, „Brüder“, auf diese Hochstufe der Vollkommenheit heben wollte, war wohl Vorsteher S. 025 eines Klosters. Er hat die Homilien für Mitglieder einer christlichen Genossenschaft geschrieben7, für Brüder, die das gemeinschaftliche Leben der Koinobiten führten, die nicht wie die sketischen Mönche in getrennten, oft weit voneinander entfernten Zellen für sich lebten8. Der Zweck, den er mit seinem Werke verfolgt, „zielt auf erhöhte Erkenntnis in geistlichen Dingen, größere Herzenseinfalt, sicheres Streben nach dem Heile, Befreiung von den lästigen Nachstellungen des Teufels, siegreiche Vollendung und Verherrlichung am Tage des Gerichtes“9.
Die Heimat des Redaktors ist jedenfalls nicht die Wüste und nicht Ägypten. Nach Stiglmayr 10 ist sie „viel eher in oder bei einer griechischen Metropole (kaiserlichen Residenz)“ zu suchen. Einen Fingerzeig für das Ortsdatum gibt der mazedonische Monatsname Xanthikos in h. 5, 9, der als der erste Monat des Jahres bezeichnet und zugleich mit dem römischen Monatsnamen Aprilis identifiziert wird. In Ägypten waren in der römischen Kaiserzeit die mazedonischen Monatsnamen, also auch der Xanthikos, längst unbekannt, wohl aber kannte man sie in Syrien und in verschiedenen Landschaften und Städten Kleinasiens. Darum ist ein „griechisch schreibender Kleinasiate (Syrer?) hinter diesen Ausführungen zu vermuten“11. Auch Flemming12 hat die Frage nach dem Wohnort des Verfassers erörtert. Er ist der Ansicht, daß das Kloster des Homilienschreibers in der Nähe einer mit starken Mauern umgebenen, öfters von Feinden bedrängten Stadt lag, weil er in h. 15, 47 und 42,1 eine große, mit Mauern befestigte und feindlichen Angriffen ausgesetzte Stadt zum Vergleiche heranzieht. Auf Grund des syro-mazedonischen Monatsnamens Xanthikos und der Erwähnung der Kriege zwischen Römern und Persern in h. 15, 46 und 27, 22 vermutet er diese Stadt im Orient, in Syrien oder Asien. Er hält sie für eine römische Kolonie mit Theatern, römischen Schulen und dem Sitz eines römischen Legaten. H. 15, 42 bezieht er nämlich auf eine römische Stadt mit griechischen und lateinischen Schulen. Die Identifizierung des mazedonischen Monatsnamens Xanthikos mit dem römischen Aprilis in h. 5, 9 findet er nur S. 026 erklärlich, wenn das Kloster des Schreibers im Gebiete einer römischen Kolonie lag, in der man auch lateinisch sprach. In den h. 15, 8 erwähnten ἔπαρχοι [eparchoi] und κομήτες [komētes] sieht er Beamte des römischen Kaisers. Sie werden als bekannt vorausgesetzt. Das sei nur möglich, wenn das Kloster in der Nähe einer Stadt mit römischen Beamten lag. In h. 15, 8; 27, 20; 40, 4 redet der Verfasser von Theatern, die die Christen meiden müssen. Daraus gehe hervor, daß sein Kloster nicht ferne einer Stadt lag, in der ein den Brüdern bekanntes Theater sich befand. Flemming möchte Bostra, die Hauptstadt der römischen Provinz Arabia, vorschlagen. Allein er verhehlt sich nicht, daß die aufgeführten Merkmale auch auf andere Städte des Orients passen. Man kommt hier über bloße Vermutungen nicht hinaus, eine sichere Entscheidung ist nicht möglich.
Ebensowenig läßt sich die Abfassungszeit des Homilienwerkes mit Sicherheit bestimmen. Der Redaktor mag im fünften oder sechsten Jahrhundert gelebt haben.
Wenn nun Makarius der Ägypter nicht der Verfasser ist, wie erklärt es sich dann, daß sein Name an der Spitze des Homilienkorpus steht? Nach Flemming13 ist der Sachverhalt folgender: Das Homilienwerk trug anfänglich den Namen Makarius. Es war ursprünglich nur für die Mönche des Klosters bestimmt, in dem der Verfasser Abt war. Nach dessen Tode aber gelangten die Homilien, die von den Brüdern wegen ihrer Weisheitstiefe und ihres Frömmigkeitsgehaltes hochgeschätzt und immer wieder abgeschrieben wurden, auch in andere Klöster. So scheinen sie sehr wahrscheinlich vor dem sechsten Jahrhundert auch zu den Mönchen Ägyptens gekommen zu sein. Dort kannte man jedoch den wahren Verfasser der Homilien nicht. Gleichwohl aber stand fest, daß sie von einem gewissen Makarius stammen. Was ist nun wahrscheinlicher, als daß man sie jenem gefeierten sketischen Mönchsabte Makarius zuschrieb, der nicht bloß in Ägypten in hohem Ansehen stand, dessen Ruf von den Gottesmännern, die die Skete besuchten, um das dortige Mönchsleben kennen zu lernen, auch ins Abendland getragen wurde? Sehr zu statten kam der Umstand, daß viele Apophthegmen S. 027 Makarius des Ägypters wegen ihrer Weisheit und Frömmigkeit bei den ägyptischen Mönchen große Verehrung genossen. So kam es, daß alle Schriften, die den Namen Makarius trugen, Homilien und Briefe, Makarius dem Ägypter zugeschrieben wurden. Eine andere Hypothese hat Stiglmayr14 aufgestellt. Er rechnet mit der Möglichkeit, daß „ein Späterer“ den in h. 27, 6: μακάριος εἶ [makarios ei] „vermeintlich mit Namen ausgesprochenen Makarius („du bist Makarius“) zum Verfasser der Homilien gestempelt“. Stiglmayr versucht noch einen anderen Weg zur Lösung der Frage. Der Name Makarius kehrt in den Apophthegmen immer wieder und mußte sich dem Gedächtnis der Leser fest einprägen. „Um so leichter war es dann, mit diesem Namen auch die Homilien zu schmücken, von denen einige ja unzweifelhaft recht alte Züge und Anschauungen aus jener Mönchswelt von Skete enthalten.“
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[Nr. 131:] Stoffels, Die myst. Theol. d. Mak., S. 71 ff. Stiglmayr a. a. O. S. 76 f. ↩
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[Nr. 132:] Makarius der Große im Lichte der kirchlichen Tradition: Theologie und Glaube III (1911), 274—288. Ders., Sachliches und Sprachliches b. Mak. Ebenda S. 771 kündigt er eine Veröffentlichung von Parallelen zwischen Gregor von Nyssa und „Makarius“ an. ↩
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[Nr. 133:] Sachl. und Sprachl. b. Mak., S. 55—59. ↩
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[Nr. 134:] Stiglmayr, Der Mystiker Makarius und die „Weltweisen“, insbesondere Sokrates: Der Katholik 4. F. 6. Bd. (1910), 55—59. ↩
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[Nr. 135:] Die myst. Theol. Mak. d. Ägypt., S. 58 ff. Ders., Makarius der Ägypter auf den Pfaden der Stoa: Theol. Quartalschr. 92, 1910, 88—105; 243—265. ↩
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[Nr. 136:] Stiglmayr, Sachl. und Sprachl. b. Mak., S. 70. ↩
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[Nr. 137:] Ebd. S. 8 f. ↩
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[Nr. 138:] Flemming I. c. p. 32 sqq. ↩
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[Nr. 139:] Stiglmayr a. a. O. S. 9. ↩
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[Nr. 140:] A. a. O. S. 101. ↩
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[Nr. 141:] A. a. O. S. 53—55. ↩
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[Nr. 142:] L. c. p. 36—40. ↩
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[Nr. 143:] L. c. p. 49 sq. ↩
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[Nr. 144:] A. a. O. S. 12. ↩
