2.
Der Eigendünkel ist auch der Vater vieler anderen Laster, der Prahlerei, des Hochmuts, der Unbilligkeit. Diese wieder sind der Anfang von Kämpfen nach aussen wie nach innen, denn nichts bleibt von ihnen unbehelligt, weder im öffentlichen noch im Privatleben, weder zu Lande noch zu Wasser. Doch was hat man nötig an die Unbilden, die sich Menschen einander zufügen, zu erinnern? Ist doch infolge des Dünkels selbst das Göttliche der Vernachlässigung anheimgefallen, wenn man auch meint, dass man ihm die höchste Ehre erweist. Was für eine Ehre kann das sein, wenn die Wahrheit nicht dabei ist, sie, die einen zu ehrenden Namen wie einen zu ehrenden Inhalt hat, während umgekehrt die Lüge ihrer Natur nach verächtlich ist? Die Vernachlässigung des Göttlichen liegt für den schärfer Blickenden auf der Hand. Macht man sich doch mit Hilfe der Malerei und der Bildhauerkunst unzählige Gebilde und umgibt sie dann mit Tempeln und Heiligtümern, errichtet Altäre und erweist den Bildsäulen, den gehauenen und aus Holz geschnitzten und was dergleichen Gebilde mehr sind, olympische und göttliche Ehren, wie sie nur der Gottheit zukommen, und sind doch alle nur leblosse Dinge. Passend vergleicht die heilige Schrift sie (die Götzenverehrer) mit Kindern der Unzucht (Philo deutet 5 Mos. 23,3 (LXX οϋκ είσελεύσεται έκ πορνης είς έκκλησίαν κυρίου) allegorisch auf Anhänger der Vielgötterei. Vgl. De confus. lingu. § 144. De migr. Abrah. § 69. De spec. leg. I § 332.); denn wie diese jeden, den die Mutter zum Liebhaber gehabt, ihren Vater nennen können, weil sie den einen, der wirklich der Vater ist (ενός αγνοία τοΰ φύσει πατρός nach der Lesart des Vatikanischen Palimpsests. [L. C]), nicht kennen, so haben auch die Menschen in den Städten, die den einen, wirklich seienden, wahren Gott nicht kennen, fälschlich viele zu Göttern gemacht. Indem dann bei den einen dieser, bei den anderen jener verehrt wurde, erzeugte die Zwiespältigkeit, die betreffs des Besten Platz gegriffen, auch in allen anderen Dingen nur Streit. Dies ist der erste Grund, weshalb er es vorzog, ausserhalb der Städte die Gesetze zu geben. Zweitens aber bedachte er, dass wer heilige Gesetze auf sich nehmen sollte, zuvor die Seele von schwer zu tilgenden Flecken läutern und reinigen müsse, die ihr die Berührung mit allerlei zusammengelaufenem Volk in den Städten gebracht hatte. Das ist aber anders nicht möglich als durch Trennung, und das auch nicht gleich, sondern erst eine Weile später, bis die Spuren des früheren unrechten Tuns sich allmählich verdunkeln, sich verwischen und endlich ganz schwinden. Auf diese Weise retten auch tüchtige Ärzte die Kranken; nicht eher nämlich wollen sie ihnen Speise und Trank reichen lassen, als bis sie die Ursachen der Krankheit entfernt haben; denn bleiben diese, so ist jede Nahrung unnütz, ja sogar schädlich, denn sie wird nur weiterer Stoff für das Leiden.
