6. Das erste Rufen nach einer Schrift für die armenische Sprache.
S. 205 Und so war er von traurigem Geist umlagert und umstellt und verfiel in erregende Gedanken, wie er wohl einen Ausgang für die Sache fände. Nachdem er viele Tage darüber zugebracht hatte, machte er sich auf und kam zum heiligen Katholikos von Groß-Armenien, dessen Name Sahak1 war. Er fand diesen bereit und voll Zustimmung zu demselben Unternehmen. In gemeinsamer Bereitwilligkeit taten sie sich zusammen und stellten sich unter vielem Gebet vor Gott, um dazu zu gelangen, daß der von Christus gebrachten Erlösung alle Seelen teilhaftig würden. Und das taten sie viele Tage. Da ward es ihnen geschenkt vom allgütigen Gott, in seliger Einmütigkeit den um das Land sorgenden Plan zu fassen und Buchstaben für die armenische Schrift zu erlangen; nachdem die Väter viele Versuche und die Untersuchung hingebungsvoll angestellt und vieler Mühe sich unterzogen hatten, da machten sie dann auch von dem zuvor von ihnen Erstrebten dem König von Armenien Mitteilung, dessen Namen Wramschapuh2 hieß.
Da erzählte ihnen der König von einem vornehmen Syrer, einem Bischof, dessen Name Daniel hieß, der unerwarteterweise Buchstaben des Alphabets der armenischen Sprache [hatte]. Und als ihnen vom König von dem von Daniel Geschriebenen erzählt wurde, bestürmten sie den König, sich dieses Bedürfnis angelegen sein zu lassen. Und er sandte einen gewissen Wahritsch mit Namen mit einem Befehl zu einem Priester, dessen Namen Abel hieß. Dieser stand in naher Beziehung mit dem syrischen Bischof Daniel.
Als dieser Abel nun von der Sache hörte, ging er alsbald zu Daniel, und zuerst lernte er selbst von Daniel die Schrift und hernach nahm er sie von ihm und sandte S. 206 sie zum König im Lande der Armenier3 . Im fünften Jahr seines Königtums ließ er sie ihm zukommen. Der König mit dem gleichgesinnten Sahak und Maschthotz waren, als sie die Schrift von Abel empfingen, [hoch] erfreut. Hernach nahmen die Besorgten den unvermutet erlangten Fund und erbaten dringend vom König junge Knaben, damit sie ihnen die Schrift lehren könnten. Und als viele aus ihnen unterrichtet worden waren, gab er Befehl, alle in derselben zu lehren. Dadurch gelangte auch der Gütige, Verehrungswürdige zum Range der Lehrerwürde. Und während er zwei Jahre lang einer Lehrtätigkeit waltete, hielt er sich an diese Schriftzeichen4 . Allein er fand hernach, daß die Schriftzeichen nicht genügten, um zutreffend die Silben und Verbindungen5 der armenischen Sprache auszudrücken, zumal weil die Buchstaben von anderen Literaturen fallen gelassen [wörtlich: begraben] und wieder aufgeweckt waren.
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Die armenische Umformung von Isaak, der letzte männliche Abkömmling Gregors des Erleuchters in gerader Linie. ↩
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Vorletzter arsazidischer König Armeniens unter persischer Oberhoheit. ↩
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Etwas abweichend erzählt Moses v. Ch. den Vorgang s. III, 52. Eine Ergänzung bietet Lazar v. Ph. I, 10 Tiflis 1904, S. 14. ↩
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Welte: „Bei dieser Veranlassung wurde der Selige zum Rang eines Wardapet erhoben, nachdem er bereits zwei Jahre lang mit jener Schrift und den Lehrern derselben sich beschäftigt hatte." ↩
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Nach Welte die vokallosen, nur mit "jet" ausgesprochenen Silben. ↩
