§ 4. Komposition.
Der Codex zerfällt, rein äusserlich betrachtet, in 4 grössere Abschnitte resp. Bücher. Der erste Abschnitt geht bis S. S1 meiner Ausgabe, dem ein von einer späteren Hand eingefügtes Stück folgt. Einen Titel findet man nicht. Auf S. S2 lesen wir als Überschrift: »Das S. XIV Journal of theological studies Vol. V, pag. 4U1. zweite Buch der Pistis Sophia«, aber dieser Titel ist, wie schon gesagt, jüngeren Datums. Der wirkliche Titel dieser Abhandlung findet sich S. 162 als Unterschrift : »Ein Teil von den Büchern des Erlösers« resp. in griechischer Iiückübersetzung: Μέρος των τευχών τον Σωτή- ρος. Auf der 2. Kol. von pag. 233 (s. Ausgabe von Schwartze-Peterm. pag. 252) beginnt ein neues Stück, das aber bereits auf der 2. Kol. von pag. 234 endet (s. S. 163 f. meiner Ausgabe). Da es am Ende heisst: »Denn die Gnosis der Erkenntnis des Unaussprechlichen ist es. in der ich heute mit euch geredet habe«, so haben wir offensichtlich den Schluss eines Buches vor uns, dessen Anfang uns verloren gegangen ist. Der Inhalt von dem Mysterium des Unaussprechlichen und von seinen Gliedern stimmt mit den Ausführungen auf S. 155 meiner Ausgabe überein. Nach Ausmerzung dieses Einschubes sehliesst sich der folgende Abschnitt unmittelbar an das Vorhergehende an. Auf der 1. 1vol. von pag. 31S (= S. 231 meiner Ausgabe) steht der gleiche Titel als Unterschrift: Μέρος τέον τευχών τον Σωτήρος, während der letzte Abschnitt wieder jedes Titels entbehrt. Das Stück auf dem letzten unpaginierten Blatte (== S. 254 meiner Ausgabe) beginnt ganz abrupt, bildete aber ursprünglich den Schluss eines grösseren Ganzen, wie der leider ausradierte Titel von 2 Zeilen am Ende zeigt. Auch dem Inhalte nach gehört es nicht zum übrigen Korpus; denn es handelt sich um den Schluss eines apokryphen Evangeliums, das lebhaft an den Markusschluss erinnert.
Aus diesem Befunde entnehmen wir ein Doppeltes: 1. Die übliche Bezeichnung des Ganzen als »Pistis Sophia« ist durch nichts gerechtfertigt, wenn wir auch diesen Titel der Bequemlichkeit halber beibehalten. und zwar schon aus dem Grunde, weil die Figur der Pistis Sophia wohl im ersten Teile des Werkes eine Hauptrolle spielt, im zweiten Teile aber überhaupt nicht vorkommt. Könnte man einen Generaltitel auf dem uns verlorenen Vorsatzblatte annehmen, so müsste dieser Τεύχη τοΰ Σωτήρος 2 gelautet haben. 2. Der Codex Askewianus ist, abgesehen von den drei fremden Einschüben am Ende der Abschnitte, eine Miszellenhandschrift.
Denn sobald man auf den Inhalt sieht, hat man zwei ganz verschiedene Werke zu unterscheiden und zwar umfasst das erste Werk die drei ersten Bücher, das zweite das letzte Buch. Nach der Ein- S. XV leitung hat Jesus 11 Jahre im Gespräche mit seinen Jüngern zugebracht und gilt das zwölfte Jahr als Zeit und der Ölberg als Ort der von jetzt ab beginnenden Unterredungen. Das letzte Buch (S. 232 ff.) ver- legt die Handlung in die Zeit unmittelbar nach der Auferstehung; als Ort der Handlung gilt bald das Wasser des Ozeans (S. 232, S), bald ein luftiger Ort auf den Wegen des Weges der Mitte (S. 233, 29 f.), bald eine Luft von sehr starkem Lichte (S. 212, (i), bald der Berg von Galilaea (S. 243, 12), bald die Amente (S. 253, 3b). Demgemäss bildet das vierte Buch ein selbständiges Ganzes.
Die vorhergehenden drei Bücher bilden ebenfalls ein zusammenhängendes Ganzes, das wiederum in zwei getrennte Abschnitte zerfällt. Die Einleitung reicht bis Cap. 2$. Der erste Abschnitt von Cap. 29—^2 bietet die Erzählung von den Schicksalen der Pistis Sophia seit ihrem Fall bis zu ihrer Zurückführung in ihren alten Wohnort, den dreizehnten Aeon, durch Jesus. Der zweite Abschnitt von Cap. S3—13.‘> enthält eine Menge Fragen, die in der Hauptsache von Maria Magdalena (nämlich 39 von 46 Fragen) an Jesus gerichtet werden und sich mit den Mysterien des Lichts, vor allem mit den höchsten Mysterien, d. h. den Mysterien des Unaussprechlichen und des ersten' Mysteriums beschäftigen.
Innerhalb des ersten Abschnittes sind nach Li echt en hau wiederum zwei verschiedene Erzählungen des Vorganges vereinigt. Das Stück Cap. 64—SO störe den Zusammenhang, nach dessen Ausscheidung der Zusammenhang ganz glatt wäre, indem die Anfangsworte Cap. Sl: »Es geschah nun .... begehrte« eine vom Bedactor herrührende Verbindung beider Stücke bildeten. Die Abtrennung in dieser Gestalt ist m. E. nicht haltbar, denn wenn nach Liechtenhan das in jenem Abschnitt Erzählte von einer nochmaligen Fesselung, Verfolgung und vorläufigen Versiegelung Ins zum endgültigen Entscheiduugskampfe einen Rückschritt bedeutet, so hat er nicht deutlich zwischen der erstmaligen Erlösung der Pistis Sophia aus dem Chaos durch Jesus vor seinem Eintritt in die W7elt und der definitiven Einführung in den früheren Wohnort bei Gelegenheit seines Aufstiegs vom Ölberg unterschieden. Der erste Akt beginnt Cap. 60 und endet Cap. 76; der zweite Abschnitt (Cap. 77—S2) behandelt in Kürze die letzten Ereignisse und knüpft an die Erzählung Cap. 29 wieder an. Xun ergiebt sich das Merkwürdige, dass die von Liechtenhan für seine These geltend gemachten Eigentümlichkeiten, dass nämlich im Einschub Jesus durchweg primum S. XVI mysterium genannt und die Lieder der Pistis Sophia Satz für Satz erklärt werden, über die von ihm angegebene Grenze hinausreichen. Denn bereits Cap. 63 vrird Jesus als das erste Mysterium, das herausblickt1, eingeführt. Ferner beginnt die Kommentierung der einzelnen Sätze schon Cap. 60 und erscheint auch noch in Cap. S2. Diese und andere Momente weisen m. E. darauf hin, dass die drei Bücher von ein und demselben Verfasser redigiert sind, der aber bei der Darstellung des Falles der Pistis Sophia und ihrer 13 Busslieder eine ältere Vorlage benutzt, dagegen die Geschichte von der doppelten Erlösung durch Jesus selbständig hinzugefügt hat-.
Aber auch der zweite grosse Teil mit den Fragen steht trotz seines abweichenden Inhaltes mit dem Vorhergehenden in engem Konnex. Denn die erste Frage der Maria (S. 119, 35 f.): »Mein Herr und mein Erlöser, von welcher Art sind denn die 24 Unsichtbaren und von welchem Typus oder vielmehr von welcher Beschaffenheit ist denn ihr Licht?« hat die Erzählung von der Einführung der Pistis Sophia in den dreizehnten Aeon und ihre Vereinigung mit ihren früheren Genossen, den 24 Unsichtbaren, zur Voraussetzung. Ohne Zweifel hat der Verfasser auch in diesem Abschnitte zum Teil ältere Stoffe verarbeitet. In diesem Sinne können die drei ersten Bücher als ein Werk aus einem Gusse" betrachtet werden.
Und dass diese sowohl wie das 4. Buch aus demselben gnostischen Kreise stammen, bedarf kaum einer weiteren Untersuchung: nur das chronologische Verhältnis kann noch in Frage kommen.
