§ 5. Verfasser, Ort und Zeit.
S. XVII Ich beginne mit der Frage nach dem Entstehungsorte. Schon der Umstand, dass das griechische Original einer Übersetzung ins Koptische für Avert erachtet wurde, setzt die Existenz von Lesern in Ägypten voraus. Für die Entstellung des Werkes in Ägypten selbst sprechen folgende Momente, die bereits Harnack1 hervorgehoben hat: 1. Der ägyptische Kalender wird benutzt, da nach S. 3, 16 u. 4, 19 die Ev- scheinung des Lichtkleides am 15. Tybi stattfindet. 2. Die 5 pseudo- salomonischen Oden sind höchst wahrscheinlich ägyptischen Ursprungs (s. Harnack 1. c. S. 41 ff.). 3. Die zahlreichen barbarischen Namen der Aeonen. besonders die Anrufungen im 4. Buche erinnern an die in Ägypten so zahlreich vorhandenen Zauberpapyri. 4. Die Göttin Bubastis und die Vorstellung vom Sonnenschilf sind spezifisch ägyptisch. 5. Die Bekämpfung einer gnostischen Sekte, die obsconen Riten beim Abendmahl fröhnte (S. 251, 14 ff. meiner Ausgabe) Aveist ebenfalls nach Ägypten, denn dort lernte Epiphanius derartige liberti- nistische Gnostiker kennen und beschrieb sie h. 26 unter dem Namen der »sogen. Gnostiker«.
Auch über die Entstehungszeit hat Harnack 1. c., S. 95 ff. ausführlich gehandelt und hat das Werk auf Grund der Benutzung des ATs und NTs und des sakramentalen Charakters des Ganzen in das 3. Jahrh., näher in die 2. Hälfte des 3. Jahrh. verlegt. Ich kann dieser Datierung nur beistimmen. Avenu ich auch das 4. Buch noch in die 1. Hälfte des 3. Jahrh. verlegen möchte; denn dieses trägt im Vergleich zu den drei andern Büchern einen älteren Charakter.
Es fragt sich zum Schluss, Avelchem gnostischen Kreise der resp. die Verfasser zuzuweisen sind. Eine grosse Reihe von Gelehrten, Avie üVoide, Jabionski. La Croze. Dulaurier, Schwartze, Renan, Revillout, Amélineau, Usener erklärten Valentin seihst, resp. einen Anhänger der valentinianisc-hen Schule für den Verfasser, Avährend insbesondere in Deutschland nach den grundlegenden Untersuchungen von Koestlin - Gelehrte Avie Baur, Lipsius, Jacobi, Harnack u. a. für ophitischen Ursprung eintraten. Ich verweise hier auf meine Untersuchungen3, wie auf die von Harnack (1. c. S. 103 ff.) und gebe in Kürze die Resultate. Die gnostische Sekte, in deren Mitte die Schriften S. XVIII entstanden sind, gehört der grossen Gruppe der sogenannten Barbelo- Gnostiker (Irenaeus I, 29) an, die nach Hippolyts Syntagma in 4 eng verwandte Sekten zerfielen: Nicolaiten, Ophiten, Kainiten und Sethianer, die ihre Heimat in Syrien hatten und sich von dort nach Ägypten verpflanzten. Epiphanius hat sie bei seiner Vorliebe für Differenzierungen willkürlich unter folgenden Namen behandelt: Nicolaiten (h. 25), Gnostiker (h. 26), Ophiten (h. 37), Kainiten (h. 3S), Sethianer (h. 39), Archontiker (h. 40), zu denen ich auch die h. 45 behandelten enkratitischen Severianer rechne, die nach Epiphanius in der oberen Thebais zu seiner Zeit ein kümmerliches Dasein fristeten. Diese ganze Gruppe, die nicht den Charakter von Philosophenschulen, sondern den von Kultvereinen trug, besass eine ungemein reiche Offenbarungs- litteratur (vgl. die Titel bei Harnack 1. c. S. 107), darunter nach Epiph. h. 26, 13 ein Evangelium des Philippus und die grossen und kleinen Fragen der Maria (Epiph. h. 26, 8). Nun gilt in der »Pistis Sophia« S. 44, 19 ff. Philippus als derjenige, welcher neben Thomas und Matthaeus durch das erste Mysterium mit der Niederschrift aller Reden Jesu betraut ist (vgl. auch S. 45, 12 ff. u. 47, 6 f.). Ferner spielt in unserem Werke unter den Jüngern und Jüngerinnen neben Johannes die Maria Magdalena die Hauptrolle, indem sie unaufhörlich Fragen an Jesus richtet, deshalb sie auch von Petrus bekämpft wird (s. S. 36, 6 f.; 104, 19 f'.; 348, 37 f.). Nun kann aber unsere Schrift, d. h. sowohl die drei ersten Bücher, wie das vierte Buch, weder mit dem Evangelium des Philippus (das Zitat bei Epiph. h. 26, 13 deutet auf Libertinismus), noch mit den grossen resp. kleinen Fragen der Maria (auch sie waren obscönen Inhalts) identifiziert werden, denn das ganze Werk ist von ernsten enkratitischen Ideen getragen. Der Befund ist vielmehr dahin zu deuten, dass der resp. die Verfasser jene beiden anerkannten Autoritäten der Sekte bei der Komposition verwendet haben, um auf diese Weise die Leser von vornherein für ihre eigenen Elaborate zu gewinnen.
