3.
Deswegen hat unser Herr seinen Glauben Gebäuden verglichen, darin, daß er sagt: „Jeder, der zu mir kommt und meine Worte hört und sie tut, der ist gleich geworden einem verständigen Manne, der sich das Haus baute, grub und vertiefte und das Fundament auf harten Felsen legte“.1 Und hierin, daß er sagt „grub und vertiefte“, macht er uns klar, daß die Erneuerung und Festigkeit,2 die der Unterricht der Lehre vorfindet,3 nicht nur kommend zu uns kam, sondern schon längst in uns war. Und wenn wir4 fortfahren würden mit Graben, woher würden wir stehen bleiben S. 10 auf der Wahrheit, wenn sie nicht vom Vater zu uns gekommen wäre von Anfang her, von Ewigkeit?5 Und wenn wir auf jenen Stein des Felsens, in dem wir versinnbildet sind, hinblicken, so sehen wir, daß er fest ist von seiner ersten Erschaffung an. Und wann er niedersinkend fällt, wird seine Festigkeit von jenem Fallen und Zertrümmertwerden zertrümmert, und der Baumeister nimmt ein festes eisernes Werkzeug und gräbt [und] nimmt von ihm die überflüssige Erde und den abgebröckelten Lehm und legt sein Fundament auf felsigen festen Stein, der die Wucht der Bauten aushalten kann. So waren auch wir in unserer Kindheit heilig und unschuldig in der Lehre der Gottheit, und wenn die Festigkeit unserer Treue6 in die Unreinigkeit der Unzucht und in Begierde der Tollheit fällt, alsdann können wir die Wucht der Festigkeit des Gebäudes nicht aushalten.
Aber wann wir nach Art des Eisens7 das Evangelium der Erlösung8 in die Hand nehmen und auflesen [und] wegschaffen von uns alt diese Werke der Schlechtigkeiten und dann das Fundament des Glaubens auf unsere Herzen, auf felsigen Grund legen, wenn unser Sinn von allem Bösen gereinigt ist und wenn [dann] die Fundamente des Gebäudes gelegt werden, alsdann sind wir sowohl Arbeiter als auch Baumeister. Und wie es nicht der Fall ist beim Baumeister, wenn ihm überhaupt irgend etwas fehlen S. 11 sollte, daß irgend [anders] wohin geht,9 sondern an die Türe des Herrn des Werkes, so sollen auch wir wissen, daß der reich ist, der der Herr unseres Werkes ist, von dem wir ein Angeld10 genommen haben, ihm dieses Gebäude zu bauen. Denn alles, was uns überhaupt als Material für das Werk des Lebens mangeln wird, werden wir von ihm begehren: die Heiligkeit, Barmherzigkeit, Liebe, Munterkeit, Bruderliebe, und er selbst gibt uns von seinen guten Schätzen mit seiner vollen Hand [und gestattet uns],11 daß wir seine Tür betreten und von ihm erbitten [was uns not tut]. Und in all diesem ist die Lehre12 unseres Herrn Gebäuden gleich.
Und wiederum hat unser Herr seinen Glauben13 mit dem Weine verglichen darin, daß er sagt: "Niemand gießt14 neuen Wein in alte Schläuche, sonst sprengt der neue Wein die alten Schläuche, der Wein wird verschüttet und die Schläuche gehen zu Grunde, sondern sie gießen15 den neuen Wein in neue Schläuche".16 Was nun werden etwa die meinen, die [so] vergleichen? Etwa, daß das Neusein dem Altsein fremd17 ist? Werden sie vielleicht meinen, daß die alten Schläuche von Haus aus18 alt gewesen sind und daß sie niemals neu gewesen sind? Jedem Menschen ist es klar, daß sie, als Gott sie schuf oder als ihr Meister sie machte, neu waren und die Kraft des neuen Weines aushielten; nachher, als sie alt geworden waren, hielten sie die Kraft des neuen Weines nicht aus. So waren auch wir von unserer ersten Erschaffung her neu, schön und wohlgestaltet, um den Unterricht der Lehre Gottes zu empfangen wegen der Sündenlosigkeit der Kindheit. Und hinwieder nach vielen unserer Jahre, während wir rein sind vom Bösen wie ein Kind, halten wir es aus, die Kraft der neuen Lehre aufzunehmen, wie neue Schläuche, die die Kraft des neuen Weines aushalten. Darauf, wenn wir befleckt19 geworden sind und S. 12 abgenutzt20 in den Begierden der Tollheit, in dem Abfall des Geizes21 und in der Trunkenheit der Unzucht, wann wir verwundet und morsch geworden in unseren Sünden und Gottlosigkeiten aufgebraucht sind, alsdann können wir den Unterricht der Lehre nicht aufnehmen.
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Lk 6,47 f. (vgl. Mt 7,24). ↩
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Feststehen. ↩
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in Empfang nimmt, aufnimmt. ↩
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Statt der 1. pers. sing (xxx) lese ich die 1. pers. plur.(xxx). ↩
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Die Stelle richtet sich wohl gegen Markion, nach dessen Lehre die Wahrheit nicht immer in der Welt war, sondern erst mit Christus gekommen ist, des weiteren aber besonders gegen die gnostische Lehre, daß die menschliche Natur, wie alles Erschaffene, der Substanz nach böse sei. Der Sinn der obigen Worte kann wohl nur dieser sein: Man gräbt in die Tiefe, um das Gebäude auf Felsengrund zu stellen. Auch das Glaubensgebäude muß auf festem Fundamente ruhen. Der feste Grund ist die Wahrheit, die tief drinnen in unserem Herzen sein muß, wenn wir durch tiefer und tiefer Graben auf sie stoßen wollen. Und das ist der Fall. Denn von allem Anfange ist die Wahrheit bei uns gewesen. Es handelt sich hier mehr um die Wahrheit in der Welt, als in der Seele. Aber, wie das folgende zeigt, bezieht der Verfasser das auch auf die Seele. Merkwürdig dürfte jedenfalls die Gnadenlehre des Verfassers aussehen. Denn der Verfasser will weit mehr sagen, als: anima naturaliter christiana und vor allem mehr, als daß die Natur eine potentia obedientialis gegenüber der Gnade hat. Was der Verfasser hier und anderswo sagt, dürfte konsequent zum Pelagianismus führen. ↩
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Wahrheit. ↩
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D. i. das eiserne Instrument des Baumeisters, von dem vorhin die Rede war. ↩
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Am Rande der armen. Hs steht für "Erlösung" "Wahrheit". ↩
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Ergänze: "um es zu beschaffen". ↩
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Pfand. ↩
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Das Eingeklammerte habe ich aus dem vorhergehenden "gibt uns" wiederholt. ↩
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Hier steht "Lehre", während zu Beginn der Darlegung "Glaube" steht (p. 262, Abs. 2), ebenso im folgenden. ↩
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Oder: "den Glauben an ihn"; ich lassen "seinen Glauben stehen in dem Sinne: "Glaube (fides quae creditur), den unser Herr gelehrt hat." ↩
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wirft. ↩
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werfen. ↩
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Mt 9,17; Mk 2,22; Lk 5,37 f. ↩
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Sinn: "daß Neusein und Altsein sich ausschließen". ↩
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von ihrer Natur her. ↩
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beschmutzt. ↩
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verbraucht. ↩
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"Abfall des Geizes" = Geiz, der Abfall von Gott ist. Vgl. Mt 6,24; Lk 16,13 und besonders Eph 5,5; Kol 3,5. ↩
