4. Über die Geistesbildung und Sprache des Athenagoras.
In der Bittschrift des Athenagoras finden sich zahlreiche Zitate aus griechischen Dichtern, Philosophen, Historikern und eine Menge mythologischer, historischer und archäologischer Details, so daß vor allem die große Belesenheit des Autors auffällt. Wer aber die damalige Literatur näher kennt, der weiß, daß die Schriftsteller, heidnische wie christliche, besonders die Rhetoren, ihre gelehrten Bemerkungen selten aus den primären Quellen schöpften, sondern Zitatenschätzen und Beispielsammlungen entnahmen. Wenn auch Athenagoras bessere Quellen benützte als die Apologeten vor ihm 1, so ist doch auch er, wie Geffcken nachweist, auf den „allgemeinen Weideplatz“ der sekundären und tertiären Quellen herabgestiegen. Wir werden uns daher hüten müssen, sein gelehrtes Wissen allzu hoch einzuschätzen. Der gelehrte Aufputz lag im Geschmacke der Zeit, und die Schriftsteller mußten ihm Rechnung tragen, auch wenn es ihnen nicht darum zu tun war, mit Gelehrsamkeit zu prunken. Und dann ist ja auch Athenagoras ein ganzer Rhetor. Er verschmäht nicht die rednerischen Kunstmittel, und wo er nicht überzeugen kann, da macht er wenigstens den Versuch zu überreden. Er schreibt nach attizistischen Vorbildern in einer schönen rhythmischen Sprache; dabei bewegt er sich nicht selten in ellenlangen Perioden. Diese Satzungeheuer wurden in der Übersetzung bisweilen beibehalten, um dem Leser einen Begriff vom Stile des Athenagoras zu geben. Der Ton seiner Schriften ist S. 268 durchweg ein sehr friedlicher. Geradezu auffallend ist in dieser Beziehung seine Bittschrift beschaffen. Wie ängstlich hütet sich Athenagoras vor jedem Worte, das das Mißfallen der Gewaltigen hätte erregen können! Statt der sonst bei den Apologeten gebrauchten Überschrift „Verteidigungsrede für die Christen“ gibt er seinem Werke den Titel „Bittschrift in Sachen. der Christen“. Athenagoras wird sogar zum Lobredner, ja zum Schmeichler der beiden Herrscher. Es zeigt sich hier der feingebildete Athener, der trotz der Begeisterung für die von ihm vertretene Sache, trotz seiner Entrüstung über die Christenverfolger die Formen des Anstands zu wahren weiß. Auch mochte er von der Überzeugung durchdrungen sein, daß sich mit freundlichem Wort und höflicher Rede mehr erreichen lasse als durch stürmisches Wesen. Darum wendet er sich auch als „Philosoph“ an „Philosophen“. Wie sehr unterscheidet er sich durch seine Ruhe und Sachlichkeit von einem Justin! Die Bittschrift des Athenagoras für die Christen bedeutet daher auch in der Geschichte der Apologetik sowohl inhaltlich als formell einen gewaltigen Fortschritt. - Während die Bittschrift an Zitaten aus der heidnischen Literatur so reich ist, findet sich auffallenderweise in der Auferstehungsschrift keine einzige derartige Stelle; denn hier haben wir nicht den prunkenden Rhetor vor uns, sondern den nüchternen, selbstschaffenden Philosophen, der sich auf keine andere Autorität als auf die Stimme der Vernunft beruft.
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Vgl. hierüber die Bemerkungen von Maass in den Neuen Jahrb. für das klass. Altert. Jahrg. 1911. S. 28, 24, 89. ↩
