2.
1. Wie kommt es denn, daß ihr so nichtigen Sagen Glauben geschenkt habt und annehmt, daß durch Musik die Tiere bezaubert werden, während ihr der Wahrheit glänzendes Antlitz allein, wie es scheint, für geschminkt haltet und mit ungläubigen Augen betrachtet? Der Kithairon und der Helikon1 und die odrysischen2 und thrakischen Berge, Weihestätten des Trugs, sind wegen ihrer Mysterien für heilig gehalten und in Hymnen gefeiert.
2. Mir ist es, wenn es auch nur Sagen sind, unerträglich, daß so viele Unfälle zu Tragödien ausgestaltet werden; euch aber sind die Erzählungen von Unglücksfällen zu Dramen geworden, und die Darsteller dieser Dramen bieten euch ein herzerquickendes Schauspiel. Doch wir wollen einmal die Dramen und die schwärmenden3 Dichter, die bereits völlig trunkenen, mit Epheu bekränzten, die in bakchischer Raserei gänzlich von Sinnen gekommen sind, samt den Satyrn und dem rasenden Schwarm und zusammen mit der übrigen Schar der Dämonen in Helikon und Kithairon einsperren, die selbst alt geworden sind; dagegen wollen wir von oben aus dem Himmel herabführen die Wahrheit zusammen mit leuchtender Weisheit4 auf den heiligen Berg Gottes5 und dazu die heilige Schar der Propheten.
3. Die Wahrheit aber, die ein über alle Maßen glänzendes Licht ausstrahlen läßt, erleuchte allenthalben die, welche in Dunkelheit sich wälzen, und erlöse die Menschen vom Irrtum, indem sie S. 73 ihnen ihre starke Rechte, d. i. die Erkenntnis, zum Heile hinstrecke! Sie aber mögen ihre Augen erheben und emporblicken und den Helikon und Kithairon verlassen und Zion bewohnen; „denn von Zion wird ausgehen das Gesetz und das Wort des Herrn von Jerusalem“,6 das himmlische Wort, der wahre Streiter im Wettkampf, der auf dem Theater der ganzen Welt den Siegeskranz erhält.
4. Mein Eunomos singt freilich nicht die Weise7 des Terpandros8 und nicht die des Kapion,9 auch keine phrygische oder lydische oder dorische Tonart, sondern der neuen Harmonie ewige Melodie, die von Gott ihren Namen hat, das neue Lied,10 das Lied der Leviten; ein süßes und wirksames Mittel gegen Leid, „Lindernd den Schmerz und den Groll, das vergessen macht jegliches Leiden“,11 ist diesem Liede beigemischt.
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Berge in Boiotien. ↩
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Die Odrysen waren ein thrakischer Volksstamm; Orpheus war ein Odryse. ↩
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Vgl. Herakleitos Fr. 15 Diels. ↩
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Vgl. Platon, Phileb. p. 16 C. ↩
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Vgl. z. B. Ezech. 28, 14. ↩
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Is. 2, 3. ↩
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Wortspiel mit dem Wort νόμος, das sowohl Gesetz als Weise, Tonart bedeutet. ↩
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Lyrischer Dichter des 7. Jahrhunderts aus Lesbos. ↩
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Schüler des Terpandros; vgl. Plutarch, De mus. 4 p. 1132 D; 6 p. 1133 C. ↩
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Vgl. Ps. 32, 3; 39, 4; 95, 1; 97, 1; 149, 1. ↩
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Hom. Od. 4, 221. ↩
